Moers. Wie der Schriftsteller Feridun Zaimoglu den Studierenden im Projekt „Eine Stadt erinnert sich“ des Schlosstheaters als Experte zur Seite steht.
Migration, Heimat und Erinnerungen: Das sind Themen, die den Schriftsteller Feridun Zaimoglu eigentlich schon sein ganzes Leben lang begleiten. Er selbst kam als Kind türkischer Gastarbeiter nach Deutschland, beschreibt in seinem Roman „Leyla“ – eines seiner bekanntesten Werke – die Lebensgeschichte einer türkischen Einwanderin der ersten Generation und bringt diese Geschichten auch gerne auf die Theaterbühne. Nun ist der 57-Jährige Teil des Projekts „Eine Stadt erinnert sich“. Im Interview mit Jasmin Ohneszeit (NRZ) spricht er über seine Rolle, über Erinnerungen und über seine Sicht auf Moers.
„Eine Stadt erinnert sich – ein literarisches Projekt zur städtischen Erinnerungskultur in Moers mit Feridun Zaimoglu“ – so lautet der ausführliche Titel des Projekts. Welche Rolle nehmen Sie denn dabei genau ein?
Feridun Zaimoglu: Ich begleite die einzelnen Schritte des literarischen Schreibens und bin sozusagen der Geburtshelfer, der gerne zur Seite steht, wenn es darum geht, die Abschrift des Interviews in einen literarischen Text zu verwandeln.
Sie kommen aus Kiel, Gaby Herchert ist Professorin an der Uni Duisburg-Essen. Wie kam da eine Zusammenarbeit zustande?
Auch interessant
Das war schon ziemlich spontan. Gaby Herchert hat mich nach einer Lesung in Essen einfach angesprochen. Wir kamen ins Gespräch und fanden, dass es interessant wäre, eine Stadt nicht einfach nur architektonisch, sondern über die Geschichten der Menschen, die dort leben, abzubilden. Getreu dem Motto: Eine Stadt erzählt sich selbst.
Sie selbst erzählen in Ihren Büchern gerne Geschichten von Menschen und sprechen dafür auch mit ihnen. Haben die Studierenden das auch gut hinbekommen?
Ich bin mit den vorliegenden Texten wirklich sehr zufrieden. Die Studentinnen und Studenten haben es geschafft, den interviewten Moerserinnen und Moersern Wissen, aber auch sehr persönliche Geschichten zu entlocken.
Klingt spannend. Was erwartet denn die Zuhörer, die eine Lesung besuchen. Geplant ist die ja im Frühjahr.
Sie erwartet eine erzählte Geschichte von unten, bei der die Menschen sichtbar werden. Es ist definitiv keine touristische Darbietung. Hier ist die Sehenswürdigkeit der Mensch, nicht die Historie von Moers. Wir setzen alles daran, die Geschichten – beispielsweise bei einer szenischen Lesung – so zu präsentieren, dass die Besucher von Anfang an das Gefühl haben, es geht um sie und um ihre Stadt.
Wird es neben Lesungen noch weitere Formate geben?
Auch interessant
Wenn alles gut geklappt und die finanziellen Mittel vorhanden sind, ist ein Buch mit Bildern und Texten geplant. Das wäre etwas für die Ewigkeit. Später würde man einmal sagen, das waren Zeitzeugen, die zu Wort kamen.
Nun setzen auch Sie sich schon eine ganze Weile mit Moers auseinander. Beschreiben Sie doch einmal bitte Ihre Sicht auf die Stadt.
Ich habe als Ortsfremder nur ein paar Einblicke sammeln können. Eine große Beurteilung steht mir daher nicht zu. Aber ich habe gesehen, dass Moers mit den gleichen Problemen zu kämpfen hat, wie andere Städte: Leerstände, ökonomische Folgen der Corona-Krise und hohe Mieten. Ansonsten habe ich hier sehr freundliche, zuvorkommende Menschen getroffen, die sich aber nicht anbiedern. Die Moerser sind auf gewisse Ecken der Stadt stolz, haben aber auch den Mut zu sagen, das gefällt mir nicht. Zum Beispiel die schlechten Busverbindungen oder unbeleuchtete Straßen in der Dunkelheit. Diese Ehrlichkeit gefällt mir.
Sie sind selbst als Sohn türkischer Gastarbeiter nach Deutschland gekommen. Was verbinden Sie mit Ihrem Herkunftsland? Ein Gefühl von Heimat?
Ich kann die Türkei nicht als meine Heimat bezeichnen. Mit fünf Monaten bin ich mit meinen Eltern nach Deutschland gekommen. Ich schließe also nicht mit einem Leben in der Türkei ab, ich hatte nun mal eher ein deutsches Leben. Viel spannender als meinen sogenannten Migrantenhintergrund finde ich daher auch meinen deutschen Vordergrund und meine deutsche Vergangenheit.
Und beim Gedanken an Ihre deutsche Vergangenheit: Woran erinnern Sie sich gerne?
Erinnerungen sind für mich nie ideologisch, sondern eher biografisch. Ich schaue gerne hin, was gewesen ist. Ich bin in meinem Leben 26 Mal umgezogen. Das macht was mit einem. Ich erinnere mich gerne an die Zeit in München oder in Bonn-Bad Godesberg zurück.
Bleiben wir zuletzt noch einmal bei den Erinnerungen: Ist Ihnen im Projekt etwas besonders aufgefallen?
Ja, Erinnerungen sind sehr individuell. Anders als ich erinnern sich viele der Interviewten an ihre persönlichen Kämpfe, die sie austragen mussten, um dahin zu kommen, wo sie jetzt sind. Diese Individualität macht es aber umso spannender, Erinnerungen verschiedenster Menschen zusammenzutragen.