Am Niederrhein. Nach den Corona-Lockerungen zeigt die Geschäftswelt im Kreis Wesel wieder er mehr Zuversicht, sagt die Chefin des Handelsverband im Interview.
Seit einigen Tagen ist ein Stück Normalität in den Alltag zurückgekehrt. Was nicht heißt, dass alles gut wieder wäre. Corona bleibt präsent, Vorsicht ist angesagt. Aber einiges ist doch wieder möglich im Kreis Wesel, beim Einkaufen beispielsweise oder in der Gastronomie. Das lässt hoffen und macht zuversichtlich. Thomas Wittenschläger sprach mit Doris Lewitzky, der Geschäftsführerin des Handelsverbandes Niederrhein, über die Lage im Einzelhandel.
Frau Lewitzkiy, der Inzidenzwert liegt stabil unter 50. Einkaufen in Geschäften des nicht-täglichen Bedarfs ist ohne Terminbuchung und ohne Nachweis eines Coronatests mit negativem Ergebnis möglich. Wer in die Innenstadt geht, kann auch ins Restaurant. Wie waren die ersten Tage für den Einzelhandel?
Doris Lewitzky: Es war rundum super! Man hatte am Wochenende das Gefühl, als gehe ein Ruck durch die Gemüter. Einkaufen ohne Testnachweis, zwischendurch ins Restaurant oder Café - Shoppen ist wieder ein rundes Erlebnis. Das Wetter spielt auch mit. Dazu sind die Geschäfte sommerlich dekoriert, es ist die jahreszeitlich passende Ware da, weil sie schon vor dem Lockdown bestellt worden war. Die Umsätze stimmen ebenfalls. Die Kunden freuen sich, dass sie vor dem Kauf mal etwas anfassen und sich in den Geschäften inspirieren lassen, auf neue Ideen kommen können. In dieser Richtung kann es – mit der gebotenen Vorsicht – weitergehen, der Handel will jedenfalls den Blick nach vorne richten.
Welche Folgen hatte die Pandemie bis jetzt für den stationären Einzelhandel im Kreis Wesel? Die befürchtete Pleitewelle scheint ausgeblieben.
Doris Lewitzky: Es ist zu früh, um die Frage konkret zu beantworten. Bis Ende April war die Beantragungspflicht für eine mögliche Insolvenz ausgesetzt. Jetzt, nach den Lockerungen, werden viele Geschäftsinhaber darauf setzen, die Umsatzverluste der letzten Monate mit dem Sommergeschäft wenigstens teilweise aufzuholen. Außerdem stehen bei manchen die Schlusszahlungen aus den Überbrückungshilfen noch aus. Ob das dann alles reicht und in welchem Ausmaß es doch zu Geschäftsschließungen kommt, werden wir wohl erst im Spätherbst sehen. Natürlich hat es einen Umsatzrückgang gegeben, zeitweise bis 80 Prozent. Die Branchen sind aber unterschiedlich betroffen. Am meisten haben der Textil- und Schuhhandel in den Innenstadtlagen und Centern gelitten.
Gibt es jetzt Zuversicht bei den Händlern? Oder sind sie verhalten und trauen dem Braten nicht?
Doris Lewitzky: Der Handel hat ja während der ganzen Zeit versucht, den Kopf hoch zu halten. Bei den Geschäftsleuten waren immer der Wille und das Bemühen zu spüren, mit den Kundinnen und Kunden in Kontakt zu bleiben, auch umgekehrt übrigens, es gab vielfach eine Art „gemeinsamen Spirit“, zusammen durch die schwierige Situation zu kommen. Und ja, wir hoffen jetzt auf gute Umsätze. Für uns ist auch wichtig, dass die Außen- und die Innengastronomie wieder geöffnet haben. Die Menschen können Shoppen und ein Restaurant oder Café besuchen – das macht mehr Spaß, man hat mehr vom Besuch der Innenstadt. Außerdem konnte man in den letzten Monaten nicht so viel Geld ausgeben, das möglicherweise noch da ist und erlaubt, sich jetzt einen Wunsch zu erfüllen. Die neue Ware liegt bereit.
Rechnen Sie mit vielen Sonderangeboten in den kommenden Wochen?
Doris Lewitzky: Wir sind noch am Anfang der Sommersaison. Sicherlich wird es das ein oder andere Angebot geben, wir denken jedoch, dass die Aktualität der Ware, das Einkaufserlebnis und das neue Freiheitsgefühl im Vordergrund des Kundeninteresses stehen werden und nicht in erster Linie das Schnäppchenangebot.
Welche Rolle spielt im Handel der Wegfall des Testnachweises für das Einkaufen von Waren des nicht-täglichen Bedarfs?
Das spielt tatsächlich eine große Rolle. Wir stellen fest, dass die Kunden bei größeren Anschaffungen – beispielsweise eine Küche, Möbel – eher bereit sind, dafür einen Coronatest zu machen. Der Handel lebt aber nicht zuletzt von spontanen Käufen, und da schreckt der Test eher ab. „Click & Meet“ hatte sich ganz passabel eingespielt. Wenn ich den Termin im Laden nicht sofort bekam, konnte ich eine halbe Stunde später wiederkommen und mich zwischendurch woanders umschauen. Danach brauchte man keinen Termin mehr, aber einen Test. Der hat sich als Barriere erwiesen. Und zwar obwohl wir mittlerweile viel mehr Testmöglichkeiten haben als noch in der Anfangszeit der Einführung der Testpflicht.
Angenommen, die Inzidenz steigt wieder über 50 – fordert der Handelsverband für diesen Fall einen Verzicht auf den Test? Reichen die übrigen Hygieneregeln?
Ja, alle Studien unseres Bundesverbandes zeigen, dass vom Einzelhandel bei Einhaltung der Regeln – Maske tragen, Abstand halten in Verbindung mit der Beschränkung der Besucherzahlen – keine erhöhte Gefahr ausgeht. Die Testpflicht halten wir daher im Handel nicht für unbedingt erforderlich.
Was muss geschehen, um wieder Leben in die Innenstädte und Stadtteilzentren zu bringen?
Das ist ein riesiges Feld. Dazu gehören grundsätzliche Themen: Kann ich die Innenstadt oder die Stadtteilzentren gut erreichen? Habe ich ordentliche Radwege, funktioniert der ÖPNV? Wo kann ich nah und günstig parken? Darüber hinaus braucht es Erlebnisse. Das kann der Wochenmarkt sein, ein Flohmarkt, ein verkaufsoffener Sonntag, Feste, Musik, Ausstellungen wie die „Alltagsmenschen“ in Moers. Die Innenstädte konkurrieren heute auch mit Freizeiteinrichtungen. Die Besucher wollen sich wohl fühlen, sauber muss es sein, eine gute Gastronomie ist sehr wichtig. Der Handel muss sich natürlich selber bemühen mit gut ausgebildetem und freundlichem Personal, mehr Aufenthaltsqualität in den Geschäften, er muss immer wieder neue Ideen produzieren. All dies ist zu pflegen, wahrnehmbar konstant zu halten, so dass es sich bei den Menschen abspeichert und sie wiederkommen – auch ohne Veranstaltung. Obendrein sollten die Städte das Stadt-Marketing forcieren, das muss man sich auch etwas kosten lassen.
Ein Teil der Geschäfte hat in der Pandemie digital „aufgerüstet“, Onlineshops auf- und ausgebaut. Welche Erfahrungen sind damit gemacht worden und ist das ein Modell für die Zukunft?
Die Bereitschaft ist vorhanden, sich damit auseinanderzusetzen. Unsere Digital-Trainer waren und sind sehr gut ausgelastet. Man muss auch nicht gleich einen Online-Shop installieren, zumal das sehr aufwändig ist und solch ein Shop viel Pflege und Personaleinsatz erfordert. Es bringt schon eine Menge, über Facebook und Instagram mit den Kunden in Kontakt zu bleiben, immer wieder Neuigkeiten aus dem Sortiment zu posten und sich auf diese Weise im Gespräch zu halten. Einiges von dem Erprobten wird sich sicher dauerhaft etablieren, wir werden die Kunden vermehrt auf verschiedenen Wegen ansprechen. Vor allem jüngere Kunden erwarten diese Art der Ansprache ja. Das wird aber den Weg in die Stadt und in die Geschäfte nicht komplett ersetzen können. Der Wunsch der Menschen nach einer direkten Begegnung mit anderen Menschen ist Teil unserer Lebensqualität und wird bleiben.