Kreis Wesel. Kinder und Jugendliche mit psychisch kranken oder süchtigen Eltern haben oft selbst Probleme. Wie viele es betrifft und was der Kreis unternimmt.
Der Einfluss der Eltern auf die kindliche Psyche ist riesig, das gilt vor allem im Spektrum der psychischen Erkrankungen und der verschiedenen Suchtformen. Wie groß das gesellschaftliche Ausmaß ist, zeigen Zahlen, die der Kreis Wesel auf Grundlage des AOK-Gesundheitsreports 2023 erstellt hat. Demnach sollen 15 bis 20 Prozent der Kinder im Kreis mit mindestens einem Elternteil zusammenleben, das unter einer psychischen Beeinträchtigung leidet. Das seien „drei bis vier Kinder pro Schulklasse oder in tatsächlicher Anzahl für den Kreis Wesel im Jahr 2023: 11.558 bis 15.410 Kinder und Jugendliche“, schreibt die Kreisverwaltung in einer Vorlage für den Gesundheitsausschuss, in der sie über die Probleme und Herausforderungen berichtet.
„Nachweislich hatten im vergangenen Jahr 17,3 Prozent der Kinder und Jugendlichen unter 18 Jahren, deren Eltern ebenfalls bei der AOK Rheinland/ Hamburg krankenversichert waren, einen chronisch psychisch erkrankten Elternteil“, so der Kreis.
Psychische Erkrankungen bei Kindernund Jugendlichen: So groß ist der Bedarf im Kreis Wesel
Die Gefahr, dass das Kind selbst eine psychische Erkrankung entwickelt, ist groß. Krankheit und Überforderung in der Elternschaft mündeten häufig „in dysfunktionalem Erziehungsverhalten“, schreibt der Kreis. Der Einfluss der elterlichen Erkrankung auf die Entwicklung des eigenen Kindes ist beträchtlich, hinzu kommt laut Kreis eine etwaige genetisch bedingte Anfälligkeit der Töchter oder Söhne für eine psychische Beeinträchtigung. Es gibt aber Hilfe.
„Studien belegen, dass eine frühzeitige, passgenaue und präventiv ausgerichtete Unterstützung der Kinder und ihrer Familien negative Entwicklungsverläufe abwenden oder zumindest abmildern kann“, heißt es in der Vorlage. Kreis, Kommunen und freie Träger bieten Hilfe an. Die Möglichkeiten sind vielfältig, aber auch unübersichtlich und kompliziert. Grund sind die verschiedenen Sozialgesetzbücher, „die sich in ihren Denk- und Handlungsweisen, Abrechnungssystematiken, sowie Berufsgruppen und Strukturen deutlich unterscheiden“, so der Kreis. Das Problem: Familien leben in einem System miteinander, bekommen aber in unterschiedlichen Systemen Hilfe, gebündelt ist nichts.
Vor allem Jugendliche und junge Erwachsene mit psychischer Erkrankung müssen viele Systemwechsel durchlaufen, um versorgt zu bleiben. Allerdings funktionieren diese Wechsel nicht nahtlos. Häufig, so der Kreis, vergingen mehrere Jahre, in denen junge Erwachsene unversorgt bleiben. Dies wiederum führe „zu ungünstigen Krankheits- und Lebensverläufen“. Diese Zielgruppe müsse dringend frühzeitig begleitet werden und leichter zugängliche Hilfen bekommen, um die Gesundheit zu fördern, so der Kreis.
Aus diesem Grund wurde mit Ina Küpperbusch eine Koordinatorin eingestellt, die sich seit Anfang des Jahres für die Vernetzung, Kooperation und den Austausch von Fachkräften der freien und öffentlichen Jugendhilfe, der Gemeindepsychiatrie, der Kinder- und Jugendpsychiatrie sowie der Erwachsenenpsychiatrie, Suchthilfe und dem Sozialraum im Kreisgebiet einsetzt. Das Ziel: Die Verzahnung der unterschiedlichen Sozialsysteme, in denen sich Kinder psychisch erkrankter und süchtiger Eltern sowie junge Heranwachsende mit psychischer Erkrankung bewegen.
Stelle wird vom Bund gefördert
Die Stelle der Netzwerkkoordinatorin „KipsE“ (Kinder psychisch und/ oder suchterkrankter Eltern) und Transitionspsychiatrie (Übergang von den Kinder- und Jugendpsychiatrie in die Erwachsenenpsychiatrie) ist an den Fachdienst Gesundheitswesen angegliedert. Die Personalkosten der Sozialarbeitenden-Stelle wird zu 100 Prozent mit Bundesmitteln refinanziert und der Fachstelle Psychiatriekoordination zugeordnet.
Betroffene finden auf der Internetseite des Kreises eine Broschüre mit allen Hilfsangeboten, die es in den Kommunen und auf Kreisebene gibt. Sie ist auf www.kreis-wesel.de unter dem Suchwort „KipsE“ abrufbar.
Die neue Netzwerkstruktur soll Ressourcen schonen und Doppelstrukturen vermeiden. Es finden hierzu Kooperationen mit der Netzwerkerin Kinderschutz des Kreisjugendamtes und den kommunalen Netzwerken der frühen Hilfen und Kinderschutz statt.
Obwohl das neue Netzwerk noch jung ist, hat es schon einiges erreicht. Seit Aufnahme der Tätigkeit haben bereits 24 Kooperationsgespräche stattgefunden und die Tätigkeit wurde in sieben Netzwerken im Kreis Wesel vorgestellt. Eine Fachkräfte- oder Lotsenberatung für Betroffene finde außerdem statt. Auch konnten erste multiprofessionelle Fallkonferenzen initiiert werden. Bald soll eine Fachtagung mit dem Titel „Erwachsenwerden mit psychischer Erkrankung im Kreis Wesel“ und ein Fachvormittag zum Thema „Psychische Widerstandsfähigkeit von Kindern psychisch kranker Eltern sowie ihrer Bezugssysteme fördern“ stattfinden. So sollen für das Netzwerk nachhaltige Strukturen im Kreis Wesel geschaffen werden, die Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen noch besser helfen.