Kreis Wesel/Kreis Kleve. Im VRR und bei der Niag können bald nur noch wenige Tickets in Bussen gekauft werden. Wie das Verkehrsunternehmen die Entscheidung begründet.
Die Niederrheinischen Verkehrsbetriebe (Niag) stellen ihren Ticketverkauf in den Bussen um: Ab dem 1. September können die Fahrgäste in den Bussen des Unternehmens und des Partnerbetriebes Look nur noch bestimmte Fahrkarten bei den Busfahrerinnen und Busfahrern kaufen – dazu zählen Einzel-, Kinder- und Fahrradtickets. Vierer- oder andere Mehrfahrtentickets sind dann nicht mehr in den Fahrzeugen erhältlich. Die neue Regelung gilt ab dem Monatswechsel im gesamten Gebiet des Verkehrsverbundes Rhein-Ruhr, der zuständige Verwaltungsrat hatte die Änderung in seiner jüngsten Sitzung beschlossen.
Fahrgäste von Niag und Look sollen ab der zweiten Augusthälfte durch Handzettel in den Bussen, Aufkleber auf den Entwertern und Informationen auf den Bildschirmen auf die Änderungen hingewiesen werden. Vor allem in der Coronazeit habe der Ticketkauf beim Fahrpersonal stark abgenommen, heißt es vom Unternehmen. „Die Verkäufe im Bus gehen seit Jahren zurück, seit der Einführung des Deutschlandtickets hat sich dieser Trend noch mal verstärkt“, sagt Niag-Sprecher Michael Block im Gespräch mit der Redaktion. Auch deshalb werde es in den Fahrzeugen künftig nur noch das Grundsortiment an Tickets zum Kauf geben.
Niag wirbt für die App als Alternative
In den Fahrzeugen soll zudem in den kommenden Monaten sukzessive die Möglichkeit geschaffen werden, digital mit Giro- oder Kreditkarte oder auch mit dem Smartphone zu bezahlen. „Diese Änderungen beschleunigen den Verkauf im Fahrzeug, entlasten das Fahrpersonal und sorgen für pünktlichere Fahrten“, formulieren es die Verkehrsbetriebe.
Außerdem wirbt die Niag als Alternative zum herkömmlichen Fahrkarten-Angebot für den digitalen Tarif „eezy“ – unter anderem über die App der Verkehrsbetriebe können Tickets direkt übers Smartphone gekauft werden. Ein Ein- und Ausschecksystem errechnet den Fahrpreis anhand der kürzesten Entfernung zwischen Start- und Zielhaltestelle. Durch die Berechnung der Luftlinienkilometer zahlen Fahrgäste nur für die Strecke, die sie tatsächlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln zurücklegen. Für Fahrten in der zweiten Klasse ist der Preis übrigens auf 49 Euro im Monat gedeckelt, dem aktuellen Preis des Deutschlandtickets.
Einzeltickets sind teurer als Vierfahrtenkarten
Wer keine Möglichkeit dazu hat oder schlichtweg kein digitales Ticket erwerben will, bekommt das traditionelle Viererticket in Papierform nur noch in den Kundencentern und den Verkaufsstellen der Niag im Kreis Wesel, im Kreis Kleve und im Duisburger Westen – dazu gehören zum Beispiel Lotto-Toto-Läden, Reisebüros oder Kioske. Eine Übersicht mit den rund 25 Anbietern ist unter www.niag.de/verkaufsstellen abrufbar.
Allerdings befinden sich diese Anlaufstellen vornehmlich in den Ortszentren oder den größeren Städten. Wer bisher an der Haltestelle in seiner Straße in den Bus gestiegen ist und dort ein Mehrfahrtenticket erworben hat, muss künftig auf Einzeltickets umsteigen, wenn er oder sie keine App benutzen möchte. Das ist unterm Strich teurer: So kostet zum Beispiel das Viererticket der Preisstufe A derzeit 12,50 Euro, vier Einzelfahrten summieren sich auf 13,20 Euro – bei der Preisstufe B fällt der Unterschied mit 1,70 Euro noch etwas deutlicher aus.
Für Frank Berger, CDU-Fraktionsvorsitzender im Weseler Kreistag und Mitglied im VRR-Verwaltungsrat, ist die Entscheidung des Verkehrsverbundes im Zuge der Digitalisierung nur folgerichtig. „Es gibt vergleichsweise wenige Kunden, die diese Tickets nachfragen“, sagte der Christdemokrat gegenüber der Redaktion. Wer regelmäßiger mit dem öffentlichen Nahverkehr unterwegs sei, steige aufs Deutschlandticket um, für Gelegenheitsfahrer ohne Smartphone gebe es weiterhin die Einzelfahrkarten. „Wir werden in zehn Jahren gar keine Tickets aus Papier mehr haben“, wagt der Verkehrspolitiker einen Blick in die Zukunft.
VRR will schrittweise weniger Papiertickets
Damit ist Berger auf einer Linie mit dem VRR-Vorstandssprecher Oliver Wittke. Laut seinen Aussagen stehen die digitalen Vertriebskanäle bei den Verkehrsunternehmen im Verbund deutlich im Fokus. „Unser Ziel ist eine große Tarifreform in unserem Verbundgebiet, bei der Vertriebswege neu geordnet, Kundenprozesse vereinfacht und Ticketsortimente reduziert werden“, wird Wittke in einer Pressemitteilung zur Abschaffung der Mehrfahrtentickets in den Bussen zitiert. „Mit dem aktualisierten Ticketangebot in den Fahrzeugen ist ein erster wichtiger Schritt getan. Weitere Schritte wie die Reduzierung von Papiertickets und die Abschaffung der Entwerter müssen folgen.“
Kritisch sieht diese Entwicklung hingegen Horst Vöge. „Es werden ganze Menschengruppen ausgeschlossen“, sagt der Kreisvorsitzende des Sozialverbandes VdK vor allem mit Blick auf Seniorinnen und Senioren. „Viele Menschen sind immer noch auf Papiertickets angewiesen“, so Vöge. „Ich gehe davon aus, dass die Reduzierung nur ein erster Schritt ist“. Der Sozialexperte erwartet, dass schon in wenigen Jahren gar keine Tickets mehr bei den Fahrerinnen und Fahrern gekauft werden können. „Das ist eine Welle, die man nicht aufhalten kann.“