Kreis Wesel. Vier Wölfe im Kreis Wesel sind verschwunden. Der Nabu kritisiert das Monitoring und äußert Befürchtungen. Wie das Lanuv die Situation einschätzt.
Wo sind GW1857m, GW2889m, GW2890f und GE1415f? Diese Frage stellen sich drei Nabu-Verbände im Kreis Wesel, im Kreis Borken und in Bottrop. Denn hinter diesen etwas kryptischen Bezeichnungen stehen zwei männliche und zwei weibliche Wölfe aus dem Wolfsgebiet Schermbeck, von denen jede Spur fehlt. Die Tiere sind verschwunden, gelten als „ausgefallen“, wie das in der Fachsprache heißt. Weil es zuletzt keine Nachweise von den vier Wölfen gab, sie aber auch nicht tot gefunden wurden, rätseln Experten über ihren Verbleib. Die Umweltschützer bringen sogar illegale Tötungen der Rüden und Fähen ins Spiel, wie es sie bereits in anderen Bundesländern gegeben hat.
„Warum sollte es in NRW gesetzestreuer zugehen als in anderen Bundesländern? Nun kann es für das Verschwinden der genannten Wölfe auch natürliche Gründe geben, aber Wilderei nach dem Motto ‚Schießen, schaufeln, schweigen!‘ schließen wir nicht aus“, schreibt Frank Boßerhoff, der stellvertretende Vorsitzende des Kreisverbandes Wesel in einer Pressemitteilung der drei Nabu-Organisationen, die sich in einer Arbeitsgemeinschaft zum Wolf zusammengetan haben. „Auch wenn das schwer nachzuweisen sein dürfte, die Behörden müssen in diesem Bereich wachsamer werden. Die Tötung eines Wolfes ohne Genehmigung ist kein Kavaliersdelikt, das ist ein krimineller Akt.“
Getötete Wölfe? Dunkelziffer bei Wilderei ist hoch
Die Dunkelziffer bei Wilderei sei hoch. Nach Angaben der Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes für den Wolf habe es in Deutschland seit 1990 rund 100 dokumentierte illegale Wolfstötungen gegeben – mit einer steigenden Tendenz. In Sachsen, wo es deutlich mehr Wölfe als in Nordrhein-Westfalen gibt, sind zuletzt gleich vier illegal getötete Wölfe gefunden worden. Deshalb ermittelt dort nun das Landeskriminalamt.
„Da es sich bei den Tieren jeweils um Zufallsfunde handelt, ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer der illegalen Tötungen höher ist“, halten die Ermittler dort fest. Zwei Wölfe wurden durch illegalen Beschuss getötet. Die beiden anderen Tiere verendeten qualvoll an den Verletzungen durch ausgelegte Köder. Es drohen für die verantwortlichen Täterinnen und Täter hohe Geld- und Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren sowie – wenn vorhanden – zusätzlich der Entzug des Jagdscheins. Auch in Niedersachsen gab es im April 2024 laut Nabu eine nachweislich illegale Tötung.
„Die Tötung eines Wolfes ohne Genehmigung ist kein Kavaliersdelikt, das ist ein krimineller Akt“
Anhaltspunkte dafür, dass sich die Befürchtung der Umweltschützer auch im Kreis Wesel bestätigt, hat das zuständige Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen allerdings bisher nicht. Das bestätigte Sprecher Wilhelm Deitermann auf Nachfrage der Redaktion. „Dem Lanuv liegen hierzu keinerlei Erkenntnisse vor. Falls konkrete Verdachtsmomente bestehen, müssen diese zur Anzeige gebracht werden“, so Deitermann. Über den Verbleib der vier verschwundenen Wölfe könne nur spekuliert werden. „Eine Abwanderung in andere Gebiete ist ebenso möglich und so wahrscheinlich wie eine natürliche Todesursache“, betont der Lanuv-Sprecher. Zuletzt war ein Wolf im Kreis Wesel tot an einer Landstraße bei Xanten gefunden worden, dabei handelt es sich aber nicht um ein Tier aus dem Schermbecker Rudel, sondern um eine wandernde Altwölfin aus den Niederlanden. Sie wurde vermutlich von einem Auto angefahren.
Wölfe im Kreis Wesel: Nabu kritisiert die Datengrundlage
Anlass für die Sorge vor Wilderei der Nabu-Verbände ist die aus ihrer Sicht unbefriedigende Datenlage. „Die Qualität des Monitorings hat deutlich nachgelassen“, findet Rolf Fricke vom Nabu Bottrop. „Bis einschließlich 2022 wussten viele rund um Schermbeck aufgrund der Lanuv-Daten recht gut Bescheid über die hiesigen Wölfe. Jetzt kann niemand genau sagen, ob die Wölfe noch in der Gegend sind, wie viele es sind und ob sie Junge führen. Gerüchte gibt es dazu viele, Fakten wenige. Wir brauchen hier daher wieder ein kompetentes und aktives Monitoring.“
Das gezielte Suchen nach Wolfsspuren, vor allem durch das Aufstellen von Fotofallen und die Suche nach Wolfslosung, sei bis einschließlich 2022 im Kreis Wesel recht erfolgreich gewesen. In 2023 und 2024 konnten aber, das zeigten die öffentlich zugänglichen Lanuv-Daten, deutlich weniger Wolfshinweise ausgewertet werden. In 2024 war noch kein Losungsfund zu verzeichnen, und es gab nur zwei Hinweise aus Fotofallen, so der Nabu.
„Wenn wir richtig beobachtet haben, sind noch Wölfe in der Gegend. Es ist uns daher völlig unverständlich, warum die Behörden diese unbefriedigende Datenlage zu akzeptieren scheinen. Der Wolf ist überall ein wichtiges, da politisch stark polarisierendes Thema. Valide Daten würden Entscheidungen nachvollziehbar machen und manche hitzige Diskussion versachlichen“, kritisiert Rolf Fricke.
Diese Wölfe können derzeit im Wolfsgebiet Schermbeck nachgewiesen werden
Nach Angaben des Landesumweltamtes liegen derzeit im Wolfsgebiet Schermbeck (mittlerweile offiziell als Förderkulisse Westmünsterland bezeichnet) zwei aktuelle Nachweise vor – von Wölfin GW945f, besser bekannt als Gloria, sowie dem Wolf mit der Kennung GW3616m. Die Behörde widerspricht dem Vorwurf der Umweltschützer, dass in den vergangenen beiden Jahren tatsächlich weniger Wölfe nachgewiesen worden sind, zumindest mit Blick auf ganz NRW. So gab es 2020 insgesamt 189 Nachweise (davon 75 im Kreis Wesel), 2021 waren es 265 (davon 71 im Kreis). Landesweit konnten 2023 dann 236-mal Wölfe nachgewiesen werden, davon 40-mal im Kreisgebiet. Für dieses Jahr existieren bereits 161 Nachweise, davon allerdings nur elf im Kreis Wesel.
„In den Jahren 2020 und 2021 gab es vor allem im Kreis Wesel insgesamt eine höhere Anzahl an Nachweisen. Diese resultierten aus Reproduktionsnachweisen mit teilweise mehreren Individuen in einem recht kleinen Territorium“, hält Lanuv-Sprecher Deitermann fest. „Im Monitoringjahr 2023/24 hat es eine Verlagerung/Vergrößerung des Territoriums gegeben. Nach jetzigem Kenntnisstand hat sich das neue Territorium bis in den Raum Raesfeld im Kreis Borken verlagert. Rechnet man diese Nachweise zu den Weseler Zahlen hinzu, relativiert sich die gefühlt geringere Anzahl.“ Es habe zudem keine Veränderungen beim Monitoring gegeben, Nordrhein-Westfalen halte sich weiterhin an das bundesweit verabredete Konzept.