Goch. Bürgermeister Ulrich Knickrehm zeigt sich zufrieden mit der wirtschaftlichen Situation. Die Probleme der Innenstadt leugnet er dabei nicht.

Arbeitsreiche Tage liegen hinter Gochs Bürgermeister Ulrich Knickrehm. Mit der Verabschiedung des Haushalts 2022 am Dienstagabend (die NRZ berichtete) ist ein wichtiger Schritt geschafft, von dem sich der Verwaltungschef für die Stadt „Rückenwind für die nächsten Monate“ erwartet, wie er in der Ratssitzung sagte. Im Interview mit der NRZ spricht der 66-Jährige aber auch ausführlich über die künftige Wirtschaftsförderung, den Klosterplatz, den Klimaschutz und seine Pläne nach der aktuellen Amtszeit.

Herr Knickrehm, in Emmerich und Geldern haben Razzien in überbelegten Leiharbeiterunterkünften kürzlich ein Schlaglicht auf teilweise furchtbare Lebensverhältnisse geworfen. Dieses Problem gibt es seit Längerem auch in Goch. Hat sich die Situation zuletzt verbessert?

Wir waren 2020 sehr früh an diesem Thema dran und haben als Stadt in einer gemeinsamen Aktion mit der Bezirksregierung und dem Kreis Kleve alle Objekte durchsucht und die Missstände festgehalten. Weil wir die Unterbringungen als Beherbergungsbetriebe eingestuft haben, können wir sie begehen und strengere baurechtliche Vorschriften machen. Deshalb gibt es keine Massenbelegungen mehr. Doch auch wenn sich die Wohnverhältnisse etwas bereinigt haben, kann man die gesamten Lebensbedingungen der Menschen, die in der niederländischen Fleischindustrie arbeiten und hier wohnen, keinesfalls als befriedigend bezeichnen.

Sprechen wir nun über ein Thema, das die Stadtverwaltung direkt beeinflussen kann: Die Frage zur zukünftigen Ausrichtung der Wirtschaftsförderung wird aktuell intensiv diskutiert. CDU, SPD und FDP wollten eine GmbH, während BFG und Grünen sich für eine Stabsstelle aussprachen. Nun soll es einen gemeinsamen Antrag geben. Was ist Ihre Position?

Ich begrüße, dass eine für die Stadt so wichtige Frage nicht in einer Kampfabstimmung entschieden wurde, sondern ein politischer Konsens gesucht wird. Vor allem, weil sich in der Sache eigentlich alle einig waren: Im Fokus stehen das Stadtmarketing und die Innenstadtentwicklung. Es gibt keinen, der leugnet, dass wir als Stadt in den letzten Jahren eine außergewöhnlich gute wirtschaftliche Entwicklung hinter uns gebracht haben.

Woran machen Sie das fest?

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Die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze hat sich um 1000 auf jetzt fast 10.000 stark erhöht. Wir haben unsere Gewerbesteuereinnahmen deutlich gesteigert. Und wir sind die einzige Stadt im Kreis Kleve, die massiv an Einwohnern gewinnt. Ich wage die Prognose, dass wir spätestens im nächsten Jahr die 35.000er-Marke übertreffen werden. Wir sind bereits heute mit großem Vorsprung die zweitgrößte Kommune im Kreis.

Diesen positiven Zahlen stehen Leerstände gegenüber in der Innenstadt, die an Attraktivität sichtbar einbüßt.

Man kann die Probleme nicht leugnen, sie sind das Ergebnis eines bundesweiten Trends. Ich finde, dass wir in Goch vergleichsweise noch ganz gut dastehen. Aber ich gebe gerne zu, dass wir das Stadtmarketing und das Innenstadtmanagement bearbeiten müssen.

Funktioniert das aus Ihrer Sicht mit einer GmbH oder einer Stabsstelle besser?

Welche Organisationsform gewählt wird, ist zweitrangig. Es geht um die Sache und darum, wie die Anforderungen am besten erfüllt werden können. Für mich, und ich glaube auch für die Bürgerinnen und Bürger, ist es wichtig, dass der gewählte Bürgermeister als Chef der Verwaltung auch die Wirtschaftsförderung und die Außendarstellung der Kommune maßgeblich beeinflussen kann. Ich bin zuversichtlich, dass wir bereits im Laufe des Monats März zu einer guten Regelung kommen werden.

Die jüngste Haushaltsberatung verlief fast schon harmonisch. Sind Sie zufrieden mit dem Haushalt 2022, den der Rat am Dienstag verabschiedet hat?

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Ja, denn die einstimmigen Beschlüsse im Haupt- und Finanzausschuss und im Rat zum Haushalt 2022 sind ein bärenstarkes Votum und eine sehr schöne Bestätigung für die Arbeit unserer Kämmerin. Wir wollen uns als Verwaltung gemeinsam mit der Politik die Dinge vornehmen, die wir auch abarbeiten können und nicht mehr wie in der Vergangenheit vieles über Jahre mitschleppen.

Vor allem die Grünen hätten sich jedoch bereits für dieses Jahr größere Investitionen in den Klimaschutz gewünscht. Wo steht die Stadt Goch bei dieser riesigen Aufgabe?

Ganz am Anfang. Denn bei jeder einzelnen Entscheidung – von der Aufstellung eines Bebauungsplans über den Ausbau einer Straße bis zur Anschaffung von Büchern – gilt es, Klimaschutzaspekte zu berücksichtigen. Wir müssen das Bewusstsein dafür schärfen. Gleichzeitig sind wir beim aktiven Klimaschutz, zum Beispiel bei der Versorgung mit E-Ladesäulen, sogar im Deutschland-Vergleich ganz weit vorne.

Ein zentrales Ergebnis der Haushaltsberatung ist, dass im Sommer ein autofreier Marktplatz getestet werden soll. Was versprechen Sie sich davon?

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Ich glaube, dass dies eine kluge Entscheidung ist. Wir diskutieren seit 30 Jahren über einen autofreien Marktplatz, aber im Grunde weiß niemand, was das eigentlich bedeutet. Deshalb liegt es nahe, es einfach mal auszuprobieren. Wir geben heute den Marktplatz und den Bereich am Steintor dem Autoverkehr preis. Diese schönen Orte sind aber zum Abstellen von Blechkisten viel zu schade. Es wird sich zeigen, ob wir es schaffen, dass die Bürgerinnen und Bürger, Gastronomen und Geschäftsleute mitziehen.

Um einen anderen Innenstadtplatz ist es dagegen ruhig geworden: Es ist ein offenes Geheimnis, dass DFE Pharma zum Klosterplatz umziehen wollte. Sind die ambitionierten Plänen vorerst gescheitert?

Das will ich so nicht sagen. Der vorliegende Bauantrag eines Unternehmens wurde vorläufig zurückgestellt, unter anderem wegen der Veränderungen im Arbeitsleben. Vielfach wurden die Vorteile des Homeoffices erkannt. Was dies für den geplanten Bau des Bürogebäudes konkret bedeutet, ist noch offen. Die Pandemie ist nicht die richtige Zeit, eine Firma mit Anfragen unter Druck zu setzen. Eines ist aber sicher: Wir treiben die Entwicklung des Klosterplatzes voran und werden die archäologische Untersuchung des Platzes vornehmen.

Wie ist der Stand im Gewerbepark Weeze-Goch, wo unter anderem XXXLutz künftig ansässig sein soll?

Der Bauantrag des Möbelunternehmens, das sich ansiedeln möchte, wird derzeit bearbeitet. Wir rechnen mit einem zeitnahen Baubeginn, sobald die Baugenehmigung erteilt ist. Daran soll sich der große Wellpappenhersteller anschließen, mit dem wir in der Endphase der Planungsgespräche aktuell über viele technische Details sprechen. Und auch für den dritten Teil des Geländes gibt es einen Interessenten, der das Grundstück erwerben wird und ebenfalls bis Mitte 2024 mit der Produktion beginnen will. Insgesamt werden so 800 bis 1000 neue Arbeitsplätze entstehen.

Die Ankündigung des Gocher Streetfood-Frühlings für den 5. und 6. März konnte man als positives Signal in der Corona-Krise deuten. Sind Sie für die baldige Bewältigung der Krise zuversichtlich und wo bremst die Pandemie immer noch?

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Corona legt sich wie Mehltau über die Gesellschaft, und auch die Öffnungsdiskussion hat zwei Seiten: Wir wollen beispielsweise mit dem Streetfood-Frühling den Gocherinnen und Gochern und allen Gästen ein Stück unbeschwertes Leben ermöglichen. Es gibt aber auch viele Leute, die bei solch einer Veranstaltung Angst vor einer Infektion haben. Deshalb wägen wir die Organisation sorgfältig ab. Unser Vorhaben ist nicht nur im Einklang mit den geltenden Regelungen, sondern aus unserer Sicht auch absolut verantwortbar. Sollten die Infektionszahlen tatsächlich wie prognostiziert sinken, dann denken wir auch darüber nach, statt 500 Besucher bis zu 700 zuzulassen.

Zum Abschluss ein Blick in die ferne Zukunft: Die Pläne für den baldigen Ostring-Ausbau wurden jetzt vorgestellt. Damit rückt auch der Ringschluss näher, der 2028 vollzogen sein soll. Reizt es Sie nicht, dieses für Goch historische Ereignis als amtierender Bürgermeister zu erleben?

Ich kann ausschließen, dass ich nach Ablauf der jetzigen Amtszeit noch einmal als Bürgermeister kandidiere. Dann bin ich 70 Jahre alt, und ich finde, dass die Stadt nicht von einem Greis regiert werden muss. Man muss für die vielfältigen Aufgaben mitten im Leben stehen.

Im Zuge der spektakulären Razzia auf Kloster Graefenthal und des anschließenden Prozesses ist Goch häufig in einem negativen Zusammenhang genannt worden. Sie dürften als Bürgermeister nicht glücklich sein, dass eine Sekte, deren Führer vom Landgericht Kleve wegen schwerer Straftaten zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt wurde, in der Stadt heimisch ist.

Für unser Image als Stadt Goch ist das alles andere als schön. Mich betrübt, dass die weiter auf Graefenthal handelnden Personen sich davon nicht distanzieren. Das würde möglicherweise der Sache guttun. Vielleicht können sie es aber auch nicht – aus welchen Gründen auch immer.

Durch zahlreiche publikumswirksame Events hatte der Orden der Transformanten auch eine Strahlkraft in der Stadt. Kann der Betrieb – ungeachtet dessen, was der Prozess zutage gefördert hat – einfach so weitergehen?

Die Betreiber haben einen Anspruch darauf, von der Verwaltung genauso behandelt zu werden wie alle anderen auch. Das tun wir. Über eine gewisse Zurückhaltung in der Bevölkerung und auch bei uns gibt, was die Veranstaltungen betrifft, darf man sich aber auch nicht wundern.