Kleve. Kleve hat nur drei Straßen nach einer Frau aus der Region benannt. Ein neuer Leitfaden soll künftig dabei helfen, klare Regeln einzuhalten.

Im Kulturausschuss herrschte auf einmal betretenes Schweigen: Die Stadt Kleve hat in ihrer langen Historie nur drei Straßen nach einer Frau mit regionalem Bezug benannt: Anna von Cleve, Maria Reymer und Gertrude Boss. 680 Straßen gibt es in Kleve, und auf 101 Straßenschildern werden Persönlichkeiten der Stadt geehrt – überwiegend Männer, gerne Pfarrer oder CDU-Politiker.

Klare Regeln für die Vergabe von Straßennamen

Die Historikerin Helga Ullrich-Scheyda hat sich anlässlich der Diskussionen um die Beuthstraße ausführlich mit den Straßennamen in ihrer Stadt beschäftigt und jetzt ihren „Leitfaden zur Erinnerungskultur im öffentlichen Raum in Kleve“ vorgestellt. Dieser soll den Stadtverordneten als Handreichung dienen, wenn neue Straßen benannt werden müssen, wie man mit historisch schwierigen Persönlichkeiten umgeht oder worauf man achten sollte, wenn Gedenkstätten oder Plätze im Fokus stehen.

Historikerin Helga Ullrich-Scheyda.
Historikerin Helga Ullrich-Scheyda. © NRZ | Anke Gellert-Helpenstein

Bei der Analyse der Straßennamen fiel ihr auf, dass es eine große Unwucht bei der Namensnennung gibt. Von den insgesamt 163 geehrten Persönlichkeiten, haben 101 einen örtlichen Bezug. Immerhin haben 24 Namensträger einen kulturellen Hintergrund, wie etwa B.C. Koekkoek, Klombeck oder Künstler des Spätmittelalters.

Viele Pfarrer und Christdemokraten wurden geehrt

Aber Helga Ullrich-Scheyda kam nicht umhin festzustellen, dass in der konservativ-geprägten Stadt Kleve auch viele christdemokratische Politiker und Pfarrer verewigt wurden. 17 Geistliche hat sie gezählt und 15 regionale Politiker, davon elf dem Zentrum bzw. der CDU angehörig. Zwischen 1957 und 2013 wurde gar keine Straße mehr nach einer Frau benannt. Die Historikerin rät dazu, hier künftig stärker darauf zu achten.

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Äußerste Vorsicht will sie bei der Umbenennung von Straßennamen walten lassen, da dies für die Betroffenen mit einem gehörigen Verwaltungsakt einhergehen kann. Unter anderem müssen die Personalausweise der Anwohner auf den neuen Namen geändert werden.

Vorsicht bei der Umbenennung von Straßen

Die Beuthstraße in Kleve. Der Name soll erhalten bleiben.
Die Beuthstraße in Kleve. Der Name soll erhalten bleiben. © NRZ | Andreas Gebbink

Die Diskussion um Christian Peter Wilhelm Beuth hat dazu geführt, dass auch kritischer auf die gesamte Lebensleistung der Persönlichkeit geachtet werden muss. Wie mehrfach berichtet, geriet Beuth in Misskredit, weil er sich abwertend gegenüber jüdischen Mitbürgern geäußert hatte. In solchen Fällen schlägt Ullrich-Scheyda nun vor, die Biografien genau anzusehen. Kriterien für die Überprüfung sollten historisch belastende Faktoren sein, wie Kolonialismus, Rassismus, Antisemitismus, Verfolgung von Minderheiten, Militarismus, Nationalismus oder Chauvinismus sowie biografische Bezüge zur NS-Diktatur.

Nur dann, wenn eine Persönlichkeit so schwer belastet ist, dass die Gesamtbiografie keine Ehrung mehr zulässt, sollte man den Namen ändern. So einen Fall gebe es aber in Kleve nicht, so Scheyda: „Ich sehe keinen aktuellen Handlungsbedarf“, so die Historikerin. Sie listet in ihrem Leitfaden gleichwohl die Namen von Johann Moritz von Nassau-Siegen auf, der auch als maßgeblich Beteiligter des transatlantischen Sklavenhandels zwischen Benin und Brasilien in die Geschichte eingegangen ist oder „Turnvater Jahn“, der Begründer der Turnbewegung und gleichzeitig nationalsozialistischer Publizist war.

Straßennamen sollten eindeutig sein

Bei der künftigen Benennung von Straßen sollte darauf geachtet werden, dass die jeweilige Person eindeutig identifizierbar ist. Eine Schröder- oder Schmidtstraße seien beliebig und stellten keine Würdigung dar. Daher sollten die Schilder mit Vor- und Nachnamen beschriftet werden. Auch kleine Zusatzschilder mit den wichtigsten Lebensdaten der Person wären sinnvoll. Der Klever Rat hatte dies bereits 1971 beschlossen, dies wurde aber nur sehr zögerlich umgesetzt. Ullrich-Scheyda schlägt vor, dass die Zusatzschilder die Geburts- und Sterbedaten sowie die Geburts- und Sterbeorte, den Beruf und den Grund für die Ehrung enthalten sollten.

Straßennamen nach aktuellen Unternehmen soll es nicht mehr geben. Das Unternehmen Medline hat einen eigenen Straßennamen erhalten.
Straßennamen nach aktuellen Unternehmen soll es nicht mehr geben. Das Unternehmen Medline hat einen eigenen Straßennamen erhalten. © Funke Foto Services | Thorsten Lindekamp

Gleich auf mehreren Straßenschildern entdeckte die Historikerin eine falsche Schreibweise des Namens. So ist die „Bödickerstraße“ nach dem ersten Präsidenten des Reichsversicherungsamtes „Tonio Bödiker“ benannt worden und die Namensgeberin der „Brandströmstraße“ habe sich „Elsa Brändström“ geschrieben. Der Dichter des Klever Liedes hieß nicht „Schröder“, sondern „August Schroeder“. Es gibt weitere Beispiele, unter anderem auch zum verstorbenen Bürgermeister „Johann Derith“. Der dazugehörige Straßenname lautet „Deriethstraße“ in Donsbrüggen.

Keine Namen mehr für aktuell bestehende Unternehmen

Persönlichkeiten sollten erst zehn Jahre nach ihrem Tod geehrt werden, damit auch wirklich eine herausragende Leistung geehrt wird, die auch über den aktuellen Eindruck hinaus Bestand hat. Auch sollte dringend vermieden werden, dass eine Straße und ein Platz nach einer Person benannt wird. Grundsätzlich solle künftig keine Benennung mehr nach aktuellen Unternehmen erfolgen – wie zuletzt bei der Medline-Straße geschehen.