Kleve. Feuerwerker entschärften erfolgreich die Bombe an der Kapitelstraße. Rückblick auf einen spannenden Tag in der Klever Innenstadt.
Als am Samstag um kurz nach 14 Uhr das Leben auf die Straßen in der Innenstadt zurückkehrte, war die Stimmung am aufregendsten Klever Ort der vergangenen Stunden spürbar gelöst. Die Feuerwerker der Bezirksregierung Düsseldorf schauten im einsetzenden Regen zufrieden auf die Baustelle zwischen Kapitelstraße, Nassauermauer und van-Galen-Straße. Dort hatten sie kurz zuvor eine Zehn-Zentner-Weltkriegsbombe entschärft, die jetzt sicher verstaut und fertig für den Abtransport auf der Ladefläche eines Lkw lag. „Das war nicht ganz ohne“, sagte Truppführer Tim Hoferichter und untertrieb damit maßlos.
Denn einiges hatte zunächst darauf hin gedeutet, dass die Fliegerbombe des US-amerikanischen Typs SAP 1000 kontrolliert gesprengt werden müsste – mitten im Wohngebiet, in direkter Nähe zur Stiftskirche. „Der Zünder ist schwer defekt und deformiert“, sagte der Technische Einsatzleiter Dirk Putzer noch am Samstagmorgen vor Ort. Das waren deutlich schwierigere Voraussetzungen für die Mitarbeiter des Kampfmittelbeseitigungsdienstes, als noch bei den Bombenentschärfungen am Vortag an der Küppersstraße (siehe Text weiter unten) und auf derselben Baustelle an der Kapitelstraße Ende März. Die Hoffnung, dass eine konventionelle Entschärfung trotzdem gelingen könnte, hatte Putzer bei seiner Ankunft in Kleve am Morgen aber noch längst nicht aufgegeben.
4500 Menschen mussten evakuiert werden
Zunächst musste jedoch der innere Sicherheitsbereich mit einem Radius von 500 Metern rund um den Fundort geräumt werden. 4500 Menschen waren ab dem Morgen von der großen Evakuierung des Klever Zentrums betroffen, darunter auch die Bewohner des Seniorenzentrums Herz-Jesu-Kloster und des Alten- und Pflegeheims der Evangelischen Stiftung Kleve.
„Wir profitieren von den Erfahrungen vom letzten Mal, auch wenn die Vorbereitungszeit kürzer ist. Für die Bewohner ist die Situation aber wieder schwierig, weil sie die Evakuierung teilweise nicht verstehen können“, sagte Kevin Fitten, Pflegedienstleiter in der Einrichtung der Evangelischen Stiftung, im Gespräch mit der NRZ. „Wir versuchen, es wie ein Event aussehen zu lassen.“
Der Großteil der 112 Bewohner verbrachte den Tag in der Dietrich-Bonhoeffer-Schule. Dort war beispielsweise auch das Küchenteam und kochte. Betreuungsassistenten hatten ein Programm vorbereitet. Anders als bei der Bombenentschärfung Ende März mussten die bettlägerigen Bewohner diesmal vorübergehend stationär im Krankenhaus aufgenommen werden. Pflegekräfte begleiteten und betreuten sie. Die Corona-Herausforderung war an diesem Samstag dagegen etwas leichter zu bewältigen: „Weil über 90 Prozent geimpft sind, dürfen wir die Gruppen diesmal durchmischen“, erläuterte Fitten. So konnten beispielsweise zuerst alle Bewohner, die gut zu Fuß sind, gemeinsam das Alten- und Pflegeheim verlassen.
Propst: Gelände sondieren
Als „sehr souverän“ bezeichnete Propst Johannes Mecking die Organisation von Evakuierung und Entschärfung. Er stellte die „gute Kommunikation“ heraus, nachdem es daran beim letzten Bombenfund gehapert hatte.Auf der Baustelle entsteht, wie berichtet, ab Sommer entlang der Kapitelstraße das neue Pfarrheim der Kirchengemeinde St. Mariä Himmelfahrt. Auch das Haus für die Pfarrverwaltung und das Priesterhaus werden gebaut.„Ich hoffe, dass nicht noch eine Bombe gefunden wird“, sagte Mecking. Er möchte ausloten, ob auch das übrige Grundstück sondiert werden kann, auch wenn noch kein genaues Baufenster für die Familienbildungsstätte und das Kreisdekanat existiert. Der Architektenwettbewerb für die Gebäude läuft.Die jüngste Bombe war eher zufällig in rund einem Meter Tiefe gefunden worden.
Hunderte Kräfte waren im Einsatz
Unterstützung erhielten sie von Hunderten Kräften, die im Einsatz waren. Nach Angaben der Stadt waren es allein von der Feuerwehr und dem Rettungsdienst insgesamt 230 Personen. 100 Polizisten und 40 Ordnungskräfte halfen bei den Sicherungsmaßnahmen. Auch 29 Kräfte des DLRG und weitere vom DRK, Malteser, Johanniter und THW packten mit an. „Das ist eine riesen Aufgabe. Das Konzept vom letzten Mal ist allerdings sehr hilfreich“, sagte Kleves Feuerwehrsprecher Florian Pose. In der Einsatzzentrale in der Feuerwehrwache an der Brabanter Straße liefen alle Fäden zusammen: Von hier wurden auch die zahlreichen Krankentransporte koordiniert.
Am frühen Nachmittag meldete die Stadt Kleve: Evakuierung abgeschlossen. Es war das Signal für die Feuerwerker am Bomben-Fundort, die Entschärfung zu versuchen – und eine noch spannendere kontrollierte Sprengung zu vermeiden. Sicherheitshalber waren dafür schon einmal ab dem frühen Samstagmorgen Vorkehrungen getroffen worden: Mitarbeiter der Firma Loock baggerten ein circa fünf Meter tiefes Loch aus und transportierten einige Lkw-Ladungen Sand zur Baustelle. Im Fall der Sprengung wäre die Bombe vorsichtig in den Erdtrichter gelegt und mit Sand bedeckt worden. Wasserbehälter mit einem Volumen von insgesamt 45.000 Liter hätten die Explosion zusätzlich dämpfen und verhindern sollen, dass Splitter weit durch die Gegend fliegen.
Doch es kam gar nicht erst zum Äußersten, weil „wir Glück hatten, dass der Zahn der Zeit am Zünder genagt hat“, sagte Truppführer Tim Hoferichter. Mit Spezialgerät konnten die Feuerwerker den Zünder zusammen mit der Buchse entfernen und in der Grube sprengen. Der Knall und das Risiko waren so deutlich kleiner. Nach knapp einer Stunde hatten die Experten die Bombe entschärft. Menschen blieben unversehrt und Gebäude unbeschädigt. Um exakt 14.01 Uhr gab die Stadt Entwarnung und öffnete wieder die gesperrten Zufahrtsstraßen in die City.
Wochenmarkt wurde verlegt
Die Bombenentschärfung hatte zu großen und kleinen Einschränkungen in Kleve geführt. So wurde der Wochenmarkt von der Lindenallee zum Wohnmobilstellplatz am Bahnhof verlegt worden. „Davon bin ich nicht begeistert, denn wir sind hier ja am Ende der Welt. Ich wundere mich, dass überhaupt Leute hierhin gefunden haben“, sagte Händlerin Elfriede Honig aus Goch-Pfalzdorf am Samstagmorgen um kurz vor 8 Uhr, als einige treue Kunden über den Parkplatz hinter den Bahnschienen schlenderten. „Mir ist natürlich bewusst: Was muss, das muss. Aber wenn ich früher von der Verlegung erfahren hätte, wäre ich nicht gekommen“, sagte Honig. Als der Anruf am Freitagmittag kam, hatte sie allerdings bereits alles eingekauft für den Markttag.
Kritik von direkter Anwohnerin
Ärger gab es auch direkt am Bomben-Fundort. Anwohnerin Eva Marie Breuer kritisierte am Morgen das „dilettantische Informationsmanagement der Stadt“. Sie habe vergeblich versucht, beim Ordnungs- und Bauamt etwas zu Sicherungsmaßnahmen an den Häusern wegen der potenziellen Sprengung zu erfahren. „Man hat mich und alle anderen Anwohner aber alleine gelassen“, meinte sie. Die Bürgerin hatte am Freitagabend dann selbst die Initiative ergriffen: Eine Schreinerei verbarrikadierte die Fenster ihres Hauses im Erdgeschoss mit Spanplatten.
Die Stadtverwaltung konnte die erhobenen Vorwürfe nicht nachvollziehen: „Sowohl bei Entschärfungen als auch bei kontrollierten Sprengungen kann etwas passieren. Es ändert sich also nicht. Wir geben keine Empfehlung zu besonderen Sicherungsvorkehrungen ab“, sagte Stadtsprecher Jörg Boltersdorf auf NRZ-Anfrage.
Ein Lob für die Organisation der sehr aufwendigen Evakuierung sprach dagegen Feuerwerker Tim Hoferichter aus: „Ordnungsamt, Feuerwehr, Polizei – alle Beteiligten haben super Arbeit geleistet.“
So lief die Entschärfung des Blindgängers an der Küppersstraße am Freitag:
Bei Straßenbauarbeiten an der Küppersstraße war am Donnerstag eine Zehn-Zentner-Bombe gefunden worden, die am frühen Freitagabend vom Kampfmittelräumdienst der Bezirksregierung Düsseldorf erfolgreich entschärft wurde. Truppführer Frank Höpp bewies ein ruhiges Händchen und konnte den Aufschlagzünder der amerikanischen Typs SAP 1000 nach anfänglichen Problemen entfernen.
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Im Vorfeld mussten 4500 Menschen aus der Klever Innenstadt in Sicherheit gebracht werden. Zwischen Hoffmannallee und Stadionstraße gab es einen großen Sicherheitsbereich mit einem Umkreis von 500 Metern. Bereits am Vormittag kamen viele Polizisten in die Kreisstadt, um die Straßen zu sperren.
Die Entschärfung der Bombe gestaltete sich schwierig. Am Morgen wurde bei den Ausgrabungsarbeiten eine Gasleitung beschädigt, diese musste erst repariert werden. Als Frank Höpp und seine Kollegen Dirk Schmitz und Martin Ochmann richtig loslegen konnten, erwies sich der Zünder als widerspenstig. Höpp musste die Bombe erst gut säubern und dann immer wieder mit WD-40-Spray versuchen, den Zünder zu lockern. Am Ende hat es funktioniert.
Viele Autofahrer und Radler in Kleve waren ungeduldig
Am späteren Nachmittag waren in Kleve viele Auto- und Radfahrer unterwegs. Sie alle durften nicht in die Innenstadt fahren, auch wenn viele nach Feierabend nach Hause wollten. An der Kreuzung Arntzstraße/Heideberg musste ein freundlicher Polizist dutzenden Menschen mitteilen, wie sie sich zu verhalten haben. Viele zeigten Verständnis, aber einige „mussten“ unbedingt in den Sicherheitsbereich.
Der Polizist behielt die Nerven und wies die Verkehrsteilnehmer freundlich, aber bestimmt zurück. „Einige Autofahrer kommen hier schon zum achten Mal an dieser Kreuzung vorbei“, erzählte der Polizist und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Schwer im Einsatz war auch der Malteser Hilfsdienst. Die Gruppen aus Emmerich, Goch-Kalkar, Kevelaer, Kleve und Rees wurden alarmiert. Sie bereiteten unter anderem die Evakuierung des Altenheims an der Hagschen Poort für Samstag vor