Kleve. Die Entschärfung einer Weltkriegsbombe im Klever Zentrum am Mittwoch verzögerte sich um viele Stunden. Das Problem: Der Spezialbagger fehlte.
Zehn Zentner wog die Bombe, die mitten in der Klever Innenstadt drei Meter tief in der Baugrube fürs Pfarrheim vor der Stiftskirche in Kleve lag. Dass sie dort ist, ahnte man seit 2019. So gut Truppführer Frank Höpp und Räumarbeiter Martin Bartels die Entschärfung auch gelang, der Tag der Evakuierung war Höhepunkt einer Serie von Pannen und Verzögerungen in Kleve. Die zentrale: Der Bagger fehlte!
„Die Fachfirma aus Duisburg, die den Spezialbagger anliefern sollte, hat uns vergessen“, bedauerte Frank Höpp, Truppführer beim Kampfmittelräumdienst, auf NRZ-Nachfrage.
„Ich habe eine ziemlich dicke Krawatte“
Der Tag begann mit Ärger. „Es ist höchst peinlich. Es ist loriot-reif. Es ist eine Unverschämtheit“, war Propst Johannes Mecking über die Verzögerung recht empört. „Ich habe eine ziemlich dicke Krawatte“, stimmte Seniorenheim-Leiter Holger de Lange mit ein. „Es ist schon heftig, was den Bewohnern zugemutet wird“, sagte Seniorenheimleiterin Susanne Lamers.
Am Mittwoch sollte um 8 Uhr morgens der Kampfmittelräumdienst anrücken, um früh zu klären, ob an der Pfarrheim-Baustelle an der Kapitelstraße überhaupt eine alte Weltkriegs-Bombe lag. Wenn ja, musste das Klever Zentrum evakuiert werden. Auf die Antwort wartete man sechs Stunden. 4300 Anwohner und über 200 Bewohner von zwei Seniorenheimen saßen zum Teil wortwörtlich auf gepackten Koffern.
Ausführliches Konzept war vorbereitet
Dabei hatte die Kreisleitstelle der Feuerwehr ein 19-seitiges Konzept durchdacht: aufgelistet, wer mit Rollator, Rollstuhl, sitzend oder liegend transportiert werden müsse. Aus umliegenden Kreisen wurden extra Rettungsfahrzeuge und Krankentransporte angefordert, um eine Evakuierung von so vielen teils bettlägerigen oder gehbehinderten Menschen zu ermöglichen, beschrieb Holger de Lange, Leiter des Alten- und Pflegeheims und betreuten Wohnens der Evangelischen Stiftung.
Dort hingen organisatorische Prozesse daran, auch in der Küche, bei der Verpflegung. Evakuiert wurde in die Bonhoeffer-Schule. Geplant für tagsüber. „Das gesamte Personal wurde auf das Einsatzkonzept eingestimmt“, doch wurden viele wieder nach Hause geschickt. Betreuungshelfer und unterstützende Hilfsorganisationen warteten per Telefonkette, am Handy, ob sie Stunden später dann kurzfristig doch benötigt würden – sie alle mussten übrigens einen negativen Corona-Schnelltest vorweisen.
Dilettantisch vorbereitet
„Das Informationsmanagement und die ganze Aktion ist dilettantisch vorbereitet“, beklagte de Lange die Organisation der städtischen Ordnungsbehörde. Auch für die alten Leute sei die Belastung nicht zu unterschätzen. So mancher verbindet mit Bombe schwere Kriegs-Erinnerungen.
Das Seniorenzentrum Herz-Jesu-Kloster wollte die Evakuierung in die Begegnungsstätte Rindern deshalb positiver einstimmen und sie als einen sonnigen Ausflug organisieren. Die Bewohner aus Antoniusresidenz und Patrizierhaus sollten zur Mehrzweckhalle Materborn, Bettlägerige ins Krankenhaus gebracht werden. Stattdessen auch hier: warten. Das bringe für die Senioren den ganzen Tag durcheinander, „sie sind es gewohnt, früh zu Bett zu gehen“, gab Susanne Lamers zu bedenken. Das gelang nicht. In der Evangelischen Stiftung war von einer Rückkehr gegen 23 Uhr die Rede. Die Feuerwehr hatte für die Notunterkünfte 30 Saunaliegen vom Goch-Ness und elf Gartenstühle vom Hagebaumarkt geliehen. 225 Ganztages-Lunchpakete, Wasser, Kaffee waren gepackt.
Die Entschärfung gelang dann um 19 Uhr
Grobes Ziel der Entschärfung war 15 Uhr, laut Feuerwehr-Konzept. Es wurde 19 Uhr daraus. Denn die Innenstadt war nicht geräumt. Noch um 17 Uhr bummelten Spaziergänger durch die Fußgängerzone. Feuerwehrleute sammelten sie ein. Ordnungskräfte wollten noch mal mit Lautsprechern rundfahren. Die Entschärfung selbst verlief „ohne Probleme“, sagte Frank Höpp.
„Es kostet so viele Nerven“, sagte Propst Mecking. Er war schriftlich aufgefordert worden, am Mittwoch am besten die Morgenmesse ausfallen zu lassen. Er hat sich beeilt und sie möglichst schnell vollzogen. An der Baustelle tat sich nichts. „Dass ein Bagger da ist, ist kein Hexenwerk“, fand Propst Mecking.
Für ihn geht es nicht nur um diese Stunden des Mittwoch, sondern gleich um die letzten eineinhalb Jahre. Seit September 2019 weiß man von der „Boden-Anomalie“, sprich: dass dort etwas in der Baugrube steckt. Erst habe die Stadt auf Anfrage der Kirche nicht reagiert, dann einen Termin von Januar auf Februar geschoben, dann auf März.
Corona verbot Evakuierungen – doch jetzt sind alle geimpft
Dann kam Corona, was Evakuierungen verbot. Die Stadt habe eine mögliche Bombenräumung im Sommer „verschlafen“, so Mecking, dann kam wieder Corona. Mittlerweile sind die Senioren geimpft. Vor sechs Wochen rief der Propst die Ordnungsbehörde erneut an, bekam den 24. März genannt. Der wurde aber vertagt: wegen der Osterferien – „die fallen ja immer aus heiterem Himmel“, so Mecking ironisch – nun auf den 31. März, damit Schulen für die Evakuierung frei stünden.
„Wer zahlt am Ende die Musik?“, fragte der Propst. Die Kostenkalkulation der Pfarrei St. Mariä Himmelfahrt für den Neubau von Pfarrzentrum und Familienbildungsstätte an Kapitelstraße/Nassauer Mauer stimmt nicht mehr. Die Mehrwertsteuer-Verminderung vom vorigen Jahr ist vorbei, jetzt kommen aber 4,1 Prozent Lohnkostenerhöhung hinzu.