Essen. Auf dem größten Essener Friedhof gab es Vorträge, Lichtinszenierungen und eine ungewöhnliche Führung mit der „Schwarzen Witwe“. Wir waren dabei.
So kennen die wenigsten den städtischen Parkfriedhof in Essen-Huttrop: Zum 100-jährigen Bestehen machte er seinem Namen alle Ehre. Die farbige Beleuchtung und Nebeleffekte ließen ihn mystisch wirken, zeigten aber auch die fröhliche, lebensbejahende Seite eines Friedhofs, der eben auch Park-Charakter hat. Der war schon zur Gründungszeit durchaus mitgedacht, erfuhren die Teilnehmerinnen und Teilnehmer beim einstündigen Rundgang unter dem Titel „Parkgeflüster“.
Anja Kretschmer (43), promovierte Kunsthistorikerin aus der Nähe von Rostock, brachte den Zuhörern, verkleidet als „Schwarze Witwe“, Sitten, Gebräuche und Aberglauben rund um die Themen Tod und Friedhof nahe. Und dabei ging es keineswegs düster, sondern sehr humorvoll zu.
Als der Parkfriedhof zu Anfang des vergangenen Jahrhunderts entstand, legte man ganz bewusst Friedhöfe mitten in der Stadt an. Sie sollten nicht nur zur Bestattung der Toten dienen, sondern auch als grüne Erholungsflächen für die Bevölkerung. Gleich nach der Eröffnung setzte ein großer Besucheransturm ein, so die „Schwarze Witwe“, die ihr Geburtsjahr mit 1870 angibt. Jeder wollte sich den neuen Friedhof ansehen und sich auch gleich das beste Plätzchen für die damals übliche Erdbestattung sichern.
Zum 100-jährigen Bestehen des Parkfriedhofs in Essen gab es besondere Führungen
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Früher wurde anders gestorben, erzählt die Führerin. Man wurde zu Hause geboren und starb dort auch im Kreis der Familie, während heute die meisten Menschen ihre letzten Tage in Krankenhäusern oder Altenheimen verbringen. Damals war die Lebenserwartung nicht sehr hoch und man tat gut daran, rechtzeitig vorzusorgen, den Sarg schon mal auf den Dachboden zu stellen und das Totenhemd bereitzulegen. Wenn es dann so weit war, wurden die Toten nicht sofort abgeholt, sondern in der Diele oder in der guten Stube aufgebahrt, damit sich die Familie verabschieden konnte.
Aberglaube spielte vor 100 Jahren noch eine große Rolle: Man glaubte an sogenannte Todesboten als Hinweise auf einen nahen Todesfall: an Träume von weißer Wäsche und trübem Wasser, Bilder, die von der Wand fielen, sich öffnende Türen, vor denen niemand stand. „Da hat man gedacht, der Tod sei schon ins Haus gekommen“, sagt Anja Kretschmer, die als Trauerrednerin arbeitet und deutschlandweit Führungen anbietet.
Ein bisschen unheimlich wurde den Teilnehmern schon, die in der Dämmerung der „Schwarzen Witwe“ folgten. Die erzählte von Straßenhunden, die vor bestimmten Häusern bellten, von schwarzen Katzen, Maulwürfen oder „Todesvögeln“ wie Raben, Eulen, Käuzchen, Nachtigallen oder Tauben, deren Ruf man mit einem bevorstehenden Sterbefall in Verbindung brachte.
Die „Schwarze Witwe“ berichtete bei ihrer Führung in Essen über ausgestorbene Berufe
„Bestimmte Berufe, die mit dem Tod in Verbindung standen, gibt es heute nicht mehr“, sagt Kretschmer. Statt des Arztes, der den Tod feststellt, kam die Totenfrau ins Haus. Sie hatte keine medizinische Ausbildung, stellte einfach ein Wasserglas auf die Brust oder hielt einen Spiegel vor den Mund, um festzustellen, ob die Person noch atmet.
War das nicht der Fall, kam die Leichenkleiderin, wusch den Toten, kleidete ihn ein und frisierte ihn – Aufgaben, die heute der Bestatter übernimmt. Der Leichenbitter nahm den Angehörigen die Aufgabe ab, zur Beerdigung einzuladen. Er wurde später durch die Todesanzeigen ersetzt. Mit unbewegter Miene informierte der Leichenbitter auch Tiere, Pflanzen oder sogar Gegenstände über den Tod ihres Besitzers. Alles musste seine Ordnung haben, niemand wollte schließlich eine zusätzliche Pechsträhne riskieren, zum Beispiel in Form einer Missernte oder Kühen, die plötzlich keine Milch mehr gaben.
Der Beruf des Leichenbitters wurde durch die Todesanzeigen ersetzt
„Später gab es dann durchaus Todesanzeigen, die gleichzeitig Kontaktanzeigen waren“, sagt die „Schwarze Witwe“ und kichert dabei. So mancher zeigte da nicht nur den Tod des Partners an, sondern startete auch gleich die Suche nach einem neuen, indem er sich selbst anpries.
Manche Bräuche waren den Teilnehmern der Führung durchaus noch bekannt, nicht immer aber deren Bedeutung. So sollten Tote „nicht übers Wochenende liegen“ und schon gar nicht über den Jahreswechsel. Dann werde nämlich schnell ein weiterer Mensch sterben, im zweiten Fall sogar in jedem Monat des Jahres einer. „Man musste sich schon genau überlegen, wann man stirbt, sonst konnte man die Angehörigen ganz schön in Bedrängnis bringen“, resümierte die „Schwarze Witwe“ mit einem Augenzwinkern. Der Hintergrund: Man sollte mit dem Sterbefall in einem bestimmten Zeitraum abschließen, um dann zum normalen Leben zurückzukehren.
Der größte Essener Friedhof
Der Parkfriedhof in Huttrop ist mit 40,46 Hektar der größte Essener Friedhof. Aktuell bietet er Platz für 29.000 Gräber. In ganz Essen stehen etwa eine Viertelmillion Grabstellen zur Verfügung, so Corinna Habner von der Bürgerinformation der Friedhofsverwaltung.
Im alten Teil des Parkfriedhofs befindet sich in der Nähe der Trauerhalle ein Außenkolumbarium für Urnen. Im neuen Teil gibt es eine weitere Trauerhalle, einen Memoriamgarten und ein Innenkolumbarium.
Der alte Friedhofsteil steht samt der dortigen Trauerhalle unter Denkmalschutz. Der Parkfriedhof liegt mitten im Wohngebiet zwischen den Straßen Am Parkfriedhof, Schulzstraße, Sunderlandstraße und Mählerweg.
Zum Jubiläum waren in der Trauerhalle Schautafeln zur Geschichte des Friedhofs sowie im Obergeschoss eine Ausstellung mit Karikaturen rund um das Thema Tod aufgebaut.
Auch das hatten viele schon gehört: Man soll beim Verstorbenen das Fenster öffnen, damit die Seele herausfliegen kann, die Spiegel verhängen, um nicht durch das zweite Gesicht einen weiteren Todesfall zu provozieren und die Uhren bis zur Beerdigung anhalten, um den Toten zur Ruhe kommen zu lassen, bevor man zum Alltagsgeschäft zurückkehrt.
Beim Rundgang über den Essener Parkfriedhof ging es auch um Beerdigungsbräuche
Zwischen den Grabstätten auf dem Parkfriedhof erzählt Anja Kretschmer von Trauerzügen mit Kindergesang und Glockengeläut. „Niemand sollte sang- und klanglos zu Grabe getragen werden.“ Ausnahmen: Fremde, Selbstmörder und Straftäter, die bei Nacht und Nebel verscharrt wurden. Und ganz wichtig: Die Toten wurden mit den Füßen zuerst aus dem Haus getragen, sie sollten auf keinen Fall zurückblicken und zurückkehren wollen, weil sonst weder sie noch die Angehörigen Ruhe finden könnten.
Aus diesem Grund wählen die Trauernden auch nach der Beerdigung einen anderen Weg, damit die Toten ihnen nicht folgen. „Manchmal wurde der Sarg sogar mehrfach im Kreis um das Grab getragen, um den Toten zu verwirren.“ Der ehemals sehr üppige Leichenschmaus, oft mit deftiger, dicker Erbsensuppe, wurde als gesellschaftliches Ereignis zelebriert. Etwa zur Gründungszeit des Parkfriedhofs ging man zu einem bescheideneren Mahl über: Streuselkuchen und Co. „Den Ausspruch ,das Fell versaufen‘ gibt es aber noch immer“, so die Führerin. Mit Schnaps oder Bier wird bis heute auf die Seele des Toten angestoßen, dann endet die Beziehung zum Verstorbenen, man kehrt zum Alltag zurück.
Für Frauen folgte zur Zeit der „Schwarzen Witwe“ dann allerdings noch eine mindestens einjährige, oft auch zweijährige, Trauerzeit in Schwarz. Männer begnügten sich hingegen schnell mit einer schwarzen Armbinde und durften auch im ersten Jahr nach dem Tod der Frau erneut heiraten. Sie sollten schließlich ihre Gene weitertragen - und für bereits vorhandene Kinder eine Ersatzmutter suchen.
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