Essen. Gutachter bescheinigen dem maroden Komplex mangelnde Standfestigkeit. Die Stadt akzeptiert den Abriss, die LVR-Denkmalpflege hält dagegen. Und nun?
Wer das Gelände am Rande Rüttenscheids aus der Luft betrachtet, sonnenbeschienen und an drei Seiten vom Herbstwald umfasst, der kann nur ins Schwärmen kommen. Was Regierungsbaumeister Kleinpoppen da anno 1929 für die Polizei entwarf wirkt alles so in sich stimmig und ausbalanciert, dass die Denkmalschützer einst mit Glanz in den Augen selbst den freien Blick übers Gelände unter Schutz stellten: ein Gebäude-Ensemble aus einem Guss, vom Bürotrakt bis zur Garage, von den Schulräumen bis zum Schießplatz, vom Pferdestall bis zur Dienstwohnung.
Die Gutachten für Statik und Brandschutz legen den Schluss nahe: Das Gebäude ist nicht zu halten
Wer glaubt, für all dies müsste sich doch locker ein neuer Nutzer finden, der sollte allerdings doch noch mal näher heranzoomen. So haben es die neuen Eigentümer gemacht, die RAG-Stiftung und der Essener Immobilien-Entwickler Marcus Kruse. Sie haben ein halbes Dutzend Expertisen in Auftrag gegeben, Gutachten für Bauphysik und Brandschutz, Statik und Schadstoffe, und kommen nach deren Lektüre zu einem simplen Schluss: „Das Gebäude ist nicht zu halten.“
Also beantragten sie den Abriss. Die bei der Stadt Essen angesiedelte Untere Denkmalbehörde, die das Ensemble unter der laufenden Nummer 193 von inzwischen 1000 schutzwürdigen Objekten in der hiesigen Denkmalliste führt, ließ sich die Gutachten vorlegen – und am Ende überzeugen: Nicht dass der Bauhaus-Komplex schon jetzt eine einsturzgefährdete Bruchbude wäre. Doch „konnte in Summe dargelegt werden, dass eine wie auch immer geartete (Büro- oder Wohn-) Nutzung für das Hauptgebäude der Landespolizeischule unter den auch bei Denkmälern zu berücksichtigen heutigen bautechnischen Anforderungen ausscheidet“.
Beim LVR-Amt für Denkmalpflege stößt der Gedanke an einen Abriss auf heftigen Widerstand
So heißt es dem Vernehmen nach in einer Stellungnahme der Essener Denkmalschützer, eine Position, die bei den Fachkollegen des Landschaftsverbands Rheinland (LVR) seit Monaten jedoch auf heftigen Widerstand stößt. Die Denkmalschützer dort finden die Argumente für einen Abriss „nicht nachvollziehbar“ und halten die vorgelegten Gutachten „weder für überzeugend noch für zielführend“, das haben sie den Essener Kollegen schriftlich gegeben. Ein veritabler Behörden-Zank mit derzeit ungewissem Ausgang.
Einer, bei dem Immobilien-Entwickler Marcus Kruse nur kopfschüttelnd kommentieren kann: „Wir haben bewiesen, wie behutsam und gut wir mit Denkmälern umgehen“, sagt Kruse mit Verweis auf seine Zeit bei Kölbl Kruse. Ob Essens Glückaufhaus, Minister Stein in Dortmund oder der ehemalige Getreidespeicher im Duisburger Innenhafen – es gehe entscheidend darum, „dass eine Immobilie zukunftsfähig ist“.
Wollte man nur die Geschossdecken sanieren, gingen bereits zwei Drittel der Gebäude-Substanz verloren
Im Mittelpunkt steht bei der einstigen Landespolizeischule das vier- bis fünfgeschossige sogenannte Kammgebäude, dessen Fortbestand den Grundstein für den Denkmalwert des gesamten Komplexes bildet. Allein, genau daran hapert es, wie ein Blick in das Statik-Gutachten des Essener „Ingenieurbüro Prof. Dr. Held“ zeigt: „Im Hinblick auf die Standsicherheit“, so heißt es da, sei „für jedwede Nutzungskategorie (...) eine reine Instandsetzung als Wiederherstellung des Sollzustands ausgeschlossen“.
Nichts zwar, was man nicht mit reichlich Stahl und Beton auffangen könnte, doch der Substanzverlust, so heißt es achselzuckend, läge dann bei rund 60 bis 65 Prozent, eher höher. Von den erforderlichen Anpassungen bei Türöffnungen und Brüstungshöhen, Stolperstufen und Stützen mitten im Raum oder aus Brandschutz-Gründen gänzlich geschlossene Fasaden ganz zu schweigen.
Die Käufer hätten das Objekt ja auf die künftige Nutzung hin eingehend prüfen können, heißt es. Wirklich?
Und die Kosten? Schon vor eineinhalb Jahrzehnten wurde eine Sanierung, die den historischen Ist-Zustand wiederherstellte, erst mit 180, später gar mit annähernd 250 Millionen Euro taxiert. Mit dem erloschenen Bestandsschutz müssten die Arbeiten an das heutige Baurecht angepasst werden – eine absehbar noch gigantischere Summe, jenseits aller Wirtschaftlichkeit. Ist damit jene „unzumutbare Belastung“ erreicht, von der die Denkmalpfleger des Landschaftsverbands Rheinland sprechen, um einen Abriss abzusegnen?
In einer Stellungnahme von März diesen Jahres, teilt der LVR noch unüberlesbar Spitzen gegen die örtlichen Denkmalpfleger aus: Die hätten zwei wesentliche Gründe „nicht erkannt oder nicht zutreffend rechtlich bewertet“, warum die neuen Eigentümer sich auf eine wirtschaftliche Unzumutbarkeit des Erhalts nicht berufen könnten: Der Erwerb sei schließlich „sehenden Auges“ erfolgt und man hätte ja „hinreichend Gelegenheit“ gehabt, „das Objekt zuvor darauf zu prüfen, ob es sich für die (...) angestrebten Zwecke eignet“. Und wenn nicht, hätte man es ja wieder verkaufen können.
RAG-Stiftung und Projektentwickler Kruse haben „ein Stück weit die Katze im Sack gekauft“
Marcus Kruse, dessen Familie ein Viertel des alten Polizeischul-Geländes gehört, widerspricht auch hier: „Kein Interessent durfte vor dem Kauf Substanzuntersuchungen an den Gebäuden durchführen“, beteuert der Projektentwickler, „insofern haben wir ein Stück weit die Katze im Sack gekauft“. Zugleich habe er eine alte Erkenntnis der Immobilien-Szene umgesetzt und zuallererst eine hervorragende Lage erworben: „Grundstücke, zumal in dieser Größe, sind ein rares Gut im Ruhrgebiet.“
Stirnrunzeln löst unter Immobilien-Kennern auch eine andere Behauptung des LVR aus: Dass die weitläufige Anlage nämlich „bis vor wenigen Jahren kontinuierlich genutzt und regelmäßig instandgesetzt“ wurde. Das haben Insider ganz anders in Erinnerung. Danach habe sich die Polizei in den vergangenen 25 Jahren Zug um Zug aus dem Gebäudekomplex zurückgezogen. „Instandgehalten wurde weniger als das Notwendigste“, klagen Beteiligte von damals, „der gesamte Komplex ist, mal mehr, mal weniger, eine Ruine mit Wasser- und Frostschäden sowie defekten Heizungen“.
„Wir hätten das Verfahren verzögern und damit höhere Kosten auslösen können“
Erkennen lässt sich an solchen Scharmützeln mit allerlei Spitzen unterm Strich: An der alten Landespolizeischule stehen sich beinharte Denkmalschützer und Pragmatiker gegenüber. Den einen wird vorgeworfen, Luftschlösser zu bauen und sich mit Maximalforderungen einen schlanken Fuß zu machen, indem man den Schutz aufrechterhalten will und dafür Stimmung in Fachkreisen macht – ohne sich den Kopf über eine realitätsnahe Nutzung zu zerbrechen. Den anderen wird hingegen bescheinigt, allzu schnell vor Investoren-Interessen einzuknicken.
„Wir hätten das Verfahren verzögern und damit höhere Kosten auslösen können“, wehrt sich Johannes Müller-Kissing, Leiter der Unteren Denkmalbehörde bei der Stadt Essen, gegen diesen unterschwelligen Vorwurf, „aber wozu“? Statik und Baurecht sprechen für ihn „eine klare Sprache“, und die neuen Eigentümer hat er weder als allzu spitzfindige noch als rücksichtslose Streiter erlebt, die allein auf den eigenen Vorteil bedacht sind: „Da haben wir deutlich ,kreativere‘ Investoren“, so Müller-Kissing. Denkmalschutz wolle eben „keine Disneylands bauen“.
Zwei Monate Zeit für das LVR-Amt den Abriss abzusegnen – oder auf dem Erhalt zu beharren
„Es muss daher leider festgestellt werden, dass die Untere Denkmalbehörde der Stadt Essen einem Abriss des Gebäudes zustimmen muss.“ So heißt sein Fazit der Anhörung, zu dem das Amt für Denkmalpflege im Rheinland binnen zwei Monaten noch ein letztes Mal Stellung nehmen kann. Bleibt es bei der bisherigen Position, muss notfalls NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach entscheiden.
Und wie schreibt das LVR-Amt für Denkmalpflege so schön? „Die Aufhebung des Denkmalschutzes wird im zweiten Schritt seitens der Unteren Denkmalbehörde eingeleitet, wenn das geschützte Objekt substanziell nicht mehr existent ist.“ Dass der Denkmalschutz erlischt, wenn das Gebäude dem Erdboden gleich gemacht wurde – wenigstens darauf werden sich wohl alle einigen können.