Essen-Schönebeck. Feiern, Berlinreise oder Demo: Was ein Essener Verein in 50 Jahren auf die Beine gestellt hat. Ein persönlicher Blick auf eine lokale Entwicklung.

Der 11. November 1974 war ein besonderer Tag für Irene Buchholz (84), nicht nur, weil Karneval war. Damals hob sie gemeinsam mit ihrem damaligen Mann Heinz und einigen Mitstreitern einen eigenen Ortsverein der Arbeiterwohlfahrt (Awo) für Essen-Schönebeck aus der Taufe. Der Beginn einer lokalen Erfolgsstory – und einer sehr persönlichen Geschichte.

„Ich war damals 34 Jahre alt, habe als Stenotypistin gearbeitet und war damit bestens für den Job als Schriftführerin geeignet“, erinnert sich Buchholz. Ihr Mann hatte gerade hauptberuflich im Bereich Organisation und Öffentlichkeitsarbeit bei der Awo angefangen – „und da lag es quasi auf der Hand, dass wir dort, wo wir wohnten, einen eigenen Ortsverein gründen“. Dessen Ziel: gesellige Treffen vor allem von älteren Nachbarinnen und Nachbarn, gemeinsamer Austausch, gegenseitiges Kennenlernen.

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Reklame für den neuen Verein machte das Gründungsteam damals, natürlich, zunächst in den Reihen der SPD. Mit Erfolg: Nach einem Jahr kam der junge Ortsverein bereits auf 40 Mitglieder, die sich regelmäßig in den Kneipen des Stadtteils trafen. „Wir sind im Gummersbach zusammengekommen, in der Schönbecker Schweiz oder in der Weide.“ Gesellig, aber auf Dauer zu kostspielig. Bis zur eigenen, noch heute genutzten Begegnungsstätte an der Schönbecker Straße – ein ehemaliger Tante-Emma-Laden – sollten allerdings noch ganze vier Jahre vergehen.

Familienkreis: Auftakt für ein neues Angebot der Awo in Essen

 „Und als es dann so einigermaßen lief, habe ich gesagt: Ich bin eigentlich zu jung für die Senioren, ich möchte etwas für Jüngere machen. Und dann ist der Ferdi los, der war damals Kassierer bei der SPD. Der ist hier in Schönebeck von Haus zu Haus und hat gefragt, ob die Leute nicht Lust auf eine gemeinsame Wochenendfahrt haben. Mit Kindern und allem Drum und Dran.“

Studienfahrt der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Essen-Schönebeck in den 1970er-Jahren: Eine Gruppe Kinder quetscht sich auf die Rücksitze eines Reisebusses.
Studienfahrt der Arbeiterwohlfahrt (Awo) Essen-Schönebeck in den 1970er-Jahren: Eine Gruppe Kinder quetscht sich auf die Rücksitze eines Reisebusses. © Irene Buchholz

Sie hatten Lust. Und so startete am 28. Februar 1976 – wieder in der Karnevalssession – die erste Fahrt des Awo-Ortsvereins in eine Skihütte in Willingen. Eine Premiere in mehrfacher Hinsicht. Denn diese erste Fahrt markierte zugleich so etwas wie den Auftakt für ein neues Awo-Format, das es bis heute gibt: den Familienkreis. „Wir waren im Bereich der Awo die ersten in Essen, die etwas für jüngere Menschen, für Familien und nicht nur für Senioren angeboten haben. Und die anderen Ortsvereine haben dann nachgezogen.“

Es folgten viele weitere Reisen, Wanderungen, gemeinsame Veranstaltungen – Karnevalsfeiern, natürlich. Aber auch Bildungswochenenden, in denen Referenten etwa zu Erziehungsthemen eingeladen wurden. „Da waren dann manchmal auch die Kinder mit dabei, damit die auch selbst zu Wort kommen konnten, um zu sagen, was sie sich wünschen.“

Große Jubliäumsfeier

Der Awo-Ortsverein Schönebeck/Bedingrade feiert sein 50-jähriges Bestehen am Samstag, 12. Oktober, ab 17 Uhr im Gemeindesaal Antonius Abbas, Kiek Ut 8.

Das Unterhaltungsprogramm bestreiten unter anderem die „Herbstzeitlosen“, die Awo-Wolgamöwen und der Ruhrpottbarde Erni. Irene Buchholz wird aus der Gründungszeit berichten.

Der Familienkreis des Ortsvereins trifft sich an jedem zweiten und vierten Dienstag von 13 bis 17 Uhr in der Begegnungsstätte an der Schönebecker Straße 59.

Das weitere Angebot kann unter www.awo-essen.de/mitmachen/ortsverein-im-stadtteil/ortsverein-schoenebeck abgerufen werden.

Der Vorsitzende des Awo-Ortsvereins, Karlheinz Freudenberg, ist unter der Rufnummer 0201 1897407 oder per E-Mail unter karlheinz.freudenberg@awo-essen.de zu erreichen.

Irene Buchholz holt alte Fotos mit typischem 70er-Jahre-Rotstich aus einer Mappe. Auf einem quetscht sich eine Gruppe Kinder auf die Rücksitze eines Reisebusses, albert herum. Nach langweiligen Studienfahrten sieht das nicht aus. War es wohl auch nicht. „Wir sind mal abends in Berlin zurück ins Hotel gekommen, und die Straße war übersät mit Bierdeckeln. Und je näher wir gekommen sind, desto lauter haben wir gemurmelt, dass unsere Kinder so etwas doch bestimmt nicht tun würden.“

Awo Essen-Schönebeck: Demo für sichere Schulwege verärgerte die Politik

Sie hatten es getan. Direkt aus den Hotelfenstern heraus. Buchholz lacht herzlich und erzählt weiter. Von Motto-Abenden, gemeinsamen Ausflügen, Bastelnachmittagen und einer Demo für sichere Schulwege, für die es von der Ortspolitik damals „einen über die Rübe gegeben hat, weil das angeblich kein Thema für die Awo sei“. Funktioniert hat es trotzdem. 

Karnevalsfeier bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Essen-Schönebeck Anfang der 1970er-Jahre.
Karnevalsfeier bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Essen-Schönebeck Anfang der 1970er-Jahre. © Irene Buchholz

Und dann, von jetzt auf gleich, war plötzlich Schluss. 1986 trennten sich Irene Buchholz und ihr Mann Heinz. „Und ich habe dann auch mein Amt bei der Awo niedergelegt, ganz damit aufgehört. Weil ich wollte, dass mein Mann da weitermachen kann.“ Kein leichter Entschluss. Aber auch keiner für die Ewigkeit.

Seit gut acht Jahren ist Irene Buchholz – nach drei Jahrzehnten Pause – wieder Teil der Awo Schönebeck, engagiert sich unter anderem im heutigen Familienkreis. „Ich wurde angesprochen, ob ich nicht mal wieder kommen wolle. Und tatsächlich kam es mir vor, als wäre ich nie weg gewesen.“ Viele Freunde von damals sind mittlerweile zwar verstorben, doch „schöne Überraschungen“ gebe es immer wieder. „Ich habe neulich erst diese Bekannte wieder getroffen“, Irene Buchholz tippt fest mehrfach auf eines der alten Gruppenfotos auf dem Tisch, „und sie ist jetzt auch wieder bei der Awo dabei und Feuer und Flamme“.

Stolz, sagt die 84-Jährige, sei sie vor allem darauf, „dass es uns noch immer gibt, nach all diesen Jahren“. Erst vor gut vier Jahren habe sich der damals ins Leben gerufene Montagsclub aus Altersgründen aufgelöst, die verbliebenen Mitglieder sind in den Club am Donnerstag gewechselt. „Das habe ich mit aufgebaut, aus unserer Bastelgruppe heraus.“

Ortsvereins-Vorsitzender Karlheinz Freudenberg, Irene Buchholz und die stellvertretende Vorsitzende Gretel Kovac (v.l.).
Ortsvereins-Vorsitzender Karlheinz Freudenberg, Irene Buchholz und die stellvertretende Vorsitzende Gretel Kovac (v.l.). © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Zur Jubiläumsfeier am Samstagnachmittag will Buchholz von diesen Anfängen erzählen. Vor allem freut sie sich jedoch darauf, alte Bekannte zu treffen. Und genau das, bestätigt auch Karlheinz Freudenberg, Vorsitzender des Ortsvereins Schönbeck, sei das, worum es bei der Awo letztendlich gehe: „Wir wollen die Leute zusammenbringen, die Nachbarschaft beleben, der Vereinsamung entgegenwirken. Das betrifft sehr oft Senioren, und deshalb haben wir auch ein entsprechendes Angebot. Aber die Awo hat Ressourcen, die auch andere Begegnungen möglich machen.“ Begegnungen über die Generationen hinweg zum Beispiel, wie etwa im Familienzentrum Heidbusch, wo an diesem Tag Awo-Mitglieder und der Kita-Chor einfach mal zusammen Kuchen essen.

Ortsverein Essen-Schönebeck kämpft mit Nachwuchsproblemen

150 Mitglieder zählt der Ortsverein Schönebeck derzeit. Das Verhältnis von aktiven und passiven Mitgliedern hält sich, sagt Freudenberg, die Waage. Das Problem jedoch sei, wie so oft, der Nachwuchs. „Es gibt in unserer Gesellschaft eine Tendenz zur Individualisierung, das macht unsere Arbeit wirklich schwieriger. Wir wollen Gemeinschaft leben, denn das ist eine ganz wichtige soziale Funktion, die heutzutage leider häufig unterschätzt wird.“

Irene Buchholz nickt heftig. „Ich habe früher auch gearbeitet, meinen Sohn und meine Tochter versorgt und trotzdem Zeit gefunden für die Awo. Und diese Treffen, dieser Austausch hat auch mir selbst sehr geholfen, ich sage nur: Pubertät der Kinder.“ Ihr Rat an jüngere Generationen: „Trefft euch doch einfach mal, versucht eine Wanderung, eine Fahrradtour, setzt euch einfach mal mit Nachbarn zusammen. Diskutiert und vor allem: Schmeißt euer Handy einfach mal zur Seite.“

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