Essen-Vogelheim. Seit Jahrzehnten fordern Essener Tempo 30 für die Hafenstraße. Neue Schilder gibt es nun, aber die Anwohner empfinden sie als Hohn.
Über 2800 Lkw täglich – wenn es gut läuft. An schlechten können es auch schon einmal bis zu 5000 sein, sagt Peter Wallutis, Anwohner der Hafenstraße und umwelt- und verkehrspolitischer Sprecher der Stadtteilkonferenz Vogelheim. Vor 40 Jahren ist er nach Vogelheim gezogen. Seit 20 Jahren liegt er – gemeinsam mit zahlreichen anderen Anrainern – wegen der Verkehrssituation vor Ort mit der Stadt im Clinch. Die 2800 Lkw hat er aus Prozentzahlen, die er auf Nachfrage von der Verwaltung erhalten hat, konkret errechnet. Die 5000 sind „die Erfahrung, die man macht, wenn man hier lebt“.
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An diesem Montagmorgen steht Wallutis an der Kreuzung Vogelheimer-/Hafenstraße, und eigentlich ist alles wie immer: Es ist laut, es stinkt nach Diesel, ein Lkw reiht sich an den nächsten. Neu sind fünf Schilder. Zwei Tempo-30-Schilder, zwei, auf denen das Wort „Altenheim“ auf das Albert Schmidt Haus unmittelbar im Kreuzungsbereich hinweist, und eines, das die Begrenzung angibt: 100 Meter. Über die gesamte Breite des Seniorenheims herrscht seit Montag durchgehend ein Tempolimit. Unmittelbar dahinter gilt Richtung Hafen bereits seit 2007 Tempo 30 – allerdings nur zwischen 22 und sechs Uhr.
Krach auf der Essener Hafenstraße ab morgens um vier Uhr
An diesem Vormittag hält sich niemand an die neue Vorgabe. Was auch daran liegen mag, dass das Schild aus Fahrtrichtung Altenessen hoch über der Ampelanlage montiert ist und schlicht übersehen wird. 15 Jahre lang hat die Stadtteilkonferenz, in der sich auch das Albert Schmidt Haus engagiert, unter anderem auf diese Schilder hingearbeitet. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte.
„Anfang des Monats“, hatte Stadtsprecher Patrick Betthaus auf Nachfrage in der vergangenen Woche erklärt, habe die „zuständige Verkehrsbehörde“ das Tempolimit angeordnet. Die Anbringung der Schilder sollte zunächst „zeitnah“ erfolgen, später konkretisierte Betthaus auf „im Laufe der nächsten Woche“. Tatsächlich war das Straßenverkehrsamt am Montagmorgen vor Ort, gut eine halbe Stunde vor dem angekündigten Ortstermin der Anrainer mit der Presse.
Dass die Schilder jetzt tatsächlich hängen, ist für Wallutis allerdings kaum mehr als „ein Brotkrumen, den uns die Verwaltung hinstreut; das ist blanker Hohn“. Tina Topolko, Leiterin der Senioreneinrichtung, ist ihrerseits vollkommen überrascht: „Da sollen tatsächlich schon Schilder hängen? Hier ist doch alles wie immer.“
Wie immer: Das meint, daran hat Wallutis keinerlei Zweifel, vor allem gesundheitsschädigend. „Der Krach geht um vier Uhr morgens los. Tempo 30 oder das Thema Feinstaub interessieren hier niemanden.“ Topolko sieht das ähnlich: „Die Situation ist unzumutbar. Wir können unseren Garten nicht nutzen, denn er geht zur Kreuzung raus, da versteht man sein eigenes Wort nicht. Und geöffnete Fenster sind auf dieser Seite des Hauses schlicht nicht machbar.“
„Wir kommen so nicht weiter. Ende des Jahres geht die Klage raus.“
Das Tempolimit vor der Einrichtung sei, da sind sich beide einig, nur ein erster Schritt. Für mehr Lebensqualität in diesem Teil der Stadt, brauche es deutlich mehr. „Angefangen mit einer ganztägigen Tempo-30-Regelung für die Hafenstraße, verbunden auch mit regelmäßigen Geschwindigkeitskontrollen“, fasst Wallutis die zentrale Forderung der Initiative zusammen. Die ideale Lösung ist indes kaum mehr als ein frommer Wunsch: ein Lkw-Verbot für den kompletten Bereich.
Dass es dazu kommt, ist tatsächlich mehr als unwahrscheinlich. „Zwei Tonnen Schriftverkehr“ hat Wallutis zur Verkehrssituation in Vogelheim in den vergangenen Jahren angesammelt. Die jüngste Antwort von Oberbürgermeister Thomas Kufen stammt von Ende Juni. Die dort gelisteten Argumente sind für die Anrainer allerdings nichts Neues. Jenes etwa, dass es sich bei der Hafenstraße um eine „Vorbehaltstraße“ handle, also eine verkehrswichtige Straße von gesamtstädtischer Bedeutung. Ein solcher Status, so Wallutis, müsse „per Ratsbeschluss“ festgelegt werden – „und auf diesen Nachweis warte ich seit 15 Jahren“.
Zusätzliche Belastung durch A42-Baustelle
Tatsächlich fühlen sich die Vogelheimer in ihrem Anliegen – gelinde gesagt – stiefmütterlich behandelt. „Wir müssen hier aufgrund der Feinstaubbeschränkungen bereits den Lkw-Verkehr der Gladbecker Straße auffangen und kriegen jetzt zusätzlich den umgeleiteten Lkw-Verkehr von der Großbaustelle auf der A42 ab.“ Zwar sei eine Umleitung durch den Hafen ausgeschildert. Da dort jedoch niemand die alten Schilder „Durchfahrt verboten/Werkverkehr frei“ entfernt habe, seien viele Fahrer verunsichert – und wählten daher lieber den Weg über die Hafenstraße. Ein Problem, das man bei der Stadt offenbar nicht sieht. Im Schreiben des OB zumindest heißt es, dass aus Sicht des Amtes für Straßen und Verkehr, die „bestehende Beschilderung nicht zu beanstanden“ sei.
Auch vieles andere in diesem Schreiben lässt in Wallutis das Gefühl vom „Bürger zweiter Klasse“ keimen. „Im Norden ist Essen einfach nur Wilder Westen. Es gibt hier kein vernünftiges Verkehrskonzept.“ Der OB indes verweist auf das Projekt Freiheit Emscher, mit dem „planerische Vorüberlegungen verkehrsberuhigender Maßnahmen an der Hafenstraße“ einhergingen. Die jedoch gelte es „in ein Gesamtkonzept einzubinden und zu bewerten, da solitäre Maßnahmen zu Verkehrsverlagerungen in andere Gebiete und auf andere Strecken führen“.
Genau diese „Rücksicht“ vermisst Wallutis vor der eigenen Haustür. Vor allem aber trifft ihn die Tatsache, dass „man sich hier in 40 Jahren etwas aufgebaut hat, was aber offensichtlich überhaupt nicht zählt“. Tatsächlich macht der seit 2021 geltende Lärmaktionsplan der Stadt Tempo-30-Regelung von der Anzahl der betroffenen Bürger abhängig. In seinem Antwortschreiben verweist OB Kufen auf Zahlen des Umweltamtes, denen zufolge „auf dem Abschnitt der Hafenstraße zwischen der Vogelheimer Straße und der Wildstraße zu wenig Anwohner leben, die am Gesamttag (24 Stunden) von einem Lärmpegel von über 70 Dezibel betroffen sind. Im Kriterienkatalog wurde festgelegt, dass auf einem mindestens 200 Meter langen Abschnitt durchschnittlich mindestens 50 Menschen auf 100 Metern betroffen sein müssen. Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben.“ Heißt übersetzt: zu wenig Betroffene, kein Handlungsbedarf.
Für Wallutis sind die nächsten Schritte daher klar: „Wir kommen so nicht weiter. Ende des Jahres geht die Klage raus.“ Aufbauen soll diese auf der vom Bundesgerichtshof aktuell definierten Zumutbarkeitsschwelle in Sachen Lärmbelästigung. „Die liegt in Wohngebieten tagsüber bei 70 Dezibel, nachts bei 60. In Mischgebieten tagsüber bei 72 Dezibel, nachts bei 62 Dezibel.“ Für den Kreuzungsbereich Vogelheimer/Hafenstraße sind über 75 Dezibel angegeben, nachzulesen in der Lärmkarte der Stadt Essen.
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