Essen. Theater und Philharmonie Essen: Geschäftsführer Fritz Frömming spricht über intelligentes Sparen, mögliche Streiks und eingefahrene Strukturen.
Fritz Frömming hat das Amt des Geschäftsführers der Theater und Philharmonie Essen (TuP) in unruhigen Zeiten übernommen. Sein Vorvorgänger Berger Bergmann hat nach massivem Druck der Mitarbeiter 2020 vorzeitig seinen Hut genommen. Die Auswirkungen der Corona-Pandemie und ein umfangreicher Personalwechsel an der Spitze der verschiedenen TuP-Sparten haben den Theaterbetrieb in den letzten Jahren herausgefordert. Wie viele bundesdeutsche Bühnen kämpft auch die TuP mit steigenden Personal- und Sachkosten. Im Gespräch mit Martina Schürmann schildert Frömming, der 2023 vom Landestheater Coburg nach Essen gewechselt ist, was die Aufgaben der kommenden Jahre sind.
Herr Frömming, die erste Spielzeit als TuP-Geschäftsführer ist vorbei. Wie lautet Ihre Bilanz?
Was ich bislang vorgefunden habe, macht Hoffnung, dass wir gut in die Zukunft gehen. Es gibt fraglos viele Baustellen am Haus, organisatorische und personelle. Aber ich hatte im ersten Jahr viel Gelegenheit, mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu kommunizieren. Manchmal war ich wohl gar nicht so sehr Geschäftsführer, sondern auch Seelsorger. Was Vorteile hat: Man weiß relativ zügig, wo das Konfliktpotenzial liegt.
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Bei Ihrem Vorvorgänger Berger Bergmann hatte sich am Ende so viel Konfliktpotenzial angesammelt, dass die Mitarbeiter öffentlich gegen den Geschäftsführer revoltiert haben. Hat Sie das anfangs besorgt?
Natürlich war mir klar, dass Essen das Haus mit dem doppelten Ruf ist. Künstlerisch eine tolle Adresse! Aber der ein oder andere Kollege hat im Vorfeld auch gesagt: Essen, willst du da wirklich hin? Das ist doch ein Minenfeld? Ich kann sagen: Ein Minenfeld ist es nicht, aber es ist auch nicht Problem-befreit. Das Positive überwiegt bislang in jedem Fall. Ich bin mit unserem Betriebsrat einverstanden, denn wir haben einiges gelöst. Aber wir haben auch noch viele Baustellen, an denen wir arbeiten müssen. Was die Ensembles mit den neuen Leitungen der Häuser auf die Bühne gebracht haben, macht Freude. Und auch persönlich bin ich mit meiner Familie gut angekommen. Mit der Art des Esseners kommen wir wunderbar klar, das gefällt uns richtig gut.
Die Spielzeit 2023/24 war in vielen TuP-Sparten ein Jahr der Anfänge und Abschiede. Wie hat sich das auf die Publikumsresonanz ausgewirkt?
Mit der Resonanz können wir erst einmal zufrieden sein. Konkrete Auslastungszahlen werden wir zur Aufsichtsratssitzung im September vorlegen. Wir erreichen auf jeden Fall unsere Einnahmeziele. Grundsätzlich aber kann Zufriedenheit nicht das Maß der Dinge in den kommenden Jahren sein. Die TuP ist schon aufgerufen, ihrem Ruf als große Kulturinstitution gerecht zu werden. Vor allem bei den Abonnenten wollen wir besser werden. Da ist noch Luft nach oben.
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Muss man nicht einigermaßen besorgt sein, wenn sich bei der Repertoire-Vorstellung eines musikalischen Crossover-Projekts gerade mal eine dreistellige Zahl von Zuschauern im Opernhaus verliert?
Natürlich. Künstler wollen vor vollem Haus spielen und Besucher wollen in einem gut besetzten Zuschauerraum sitzen. Das ist wichtig für das Theatererlebnis. Das Angebot muss einfach so sein, dass die Leute zu uns kommen wollen. Das ist nach meiner Ansicht die Aufgabe der Intendantinnen und Intendanten. Der künstlerische Output muss dafür sorgen, dass sich das Haus nach außen legitimiert. Genau hier wird sich jede einzelne Sparte Gedanken machen müssen. Aber ich sehe auch, dass sie das tun. Man muss den Teams erst mal die Gelegenheit geben, eine Form der künstlerischen Sprache zu finden. Jedes Theater bringt sowohl Erfolge als auch Nicht-Erfolge heraus. Wichtig ist, welche Lehren man daraus zieht. Und in der Oper hat es auch schon Monate gegeben, da waren die Zahlen besser als vor Corona.
Finanziell steht die TuP vor großen Herausforderungen. Die Rücklagen, die zum Ausgleich der Fehlbeträge genutzt werden können, schmelzen dahin. Die Ausgaben gehen weiter nach oben. Der städtische Verlustausgleich müsste in den kommenden Jahren deutlich angehoben werden. Fürchten Sie Sparvorgaben?
Der steigende Zuschussbedarf ist in einem Betrieb mit 76 Prozent Personalkosten mit einfacher Logik zu erklären: Wir sind fast jeden Abend live. Und hinter jedem Sänger auf der Bühne stehen virtuell noch einmal 120 Mitarbeiter. Wenn die Kosten für Löhne und Gehälter tarifbedingt steigen, steigt natürlich auch der Finanzbedarf. Einsparungen lassen sich da nicht von heute auf morgen erzielen. Ein Theater kann man nur über einen längeren Zeitraum reformieren. Dafür müssen jetzt Gespräche geführt, politische Beschlüsse gefasst und Strategien entwickelt werden. Wir sind darüber natürlich auch im Gespräch mit der Kämmerei. Wir müssen intelligent sparen und die Strukturen verbessern, die historisch gewachsen sind. Unser Ziel muss es sein, die TuP finanziell so zu bauen, dass sie leistungsfähig bleibt und sich legitimiert.
Die Theater und Philharmonie Essen
Die Theater und Philharmonie Essen (TuP) zählt mit rund 700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu den großen Arbeitgebern der Stadt.
Zur TuP gehören fünf Sparten: das Schauspiel Essen, das Aalto-Musiktheater, das Aalto-Ballett sowie die Essener Philharmoniker und die Philharmonie Essen.
Das Schauspiel Essen wird seit der Spielzeit 2023/24 mit Selen Kara und Christina Zintl erstmals von einer weiblichen Doppelspitze geleitet. Merle Fahrholz hat 2022/23 die Intendanz des Musiktheaters und der Essener Philharmoniker übernommen. Generalmusikdirektor Andrea Sanguineti ist seit 2023/24 im Amt.
Marie Babette Nierenz ist seit 2023/24 die Intendantin der Philharmonie Essen Das Aalto-Ballett hat den Führungswechsel ebenfalls vollzogen: Auf Ben Van Cauwenberg folgen in der neuen Spielzeit Marek Tůma und Armen Hakobyan.
Neben den Tarifabschlüssen im öffentlichen Dienst belasten auch steigende Energie- und Materialkosten den Etat. Wird man das auf der Bühne bald sehen können?
Das wollen wir auf jeden Fall vermeiden. Meine Haltung ist da klar: Lasst uns die Kunst nicht beschädigen. Wenn das Geld zu knapp ist, sollten wir lieber weniger produzieren, als die Zuschauer merken zu lassen, dass die Decke überall ein bisschen zu kurz ist. Das können wir uns als Theater und Philharmonie Essen einfach nicht leisten.
Auch in puncto Personal droht Ungemach. Die Bühnengewerkschaften GDBA und BFFS haben den für das künstlerische Personal gültigen Normaltarif-Bühne zum Ende des Jahres gekündigt. Befürchten Sie Streiks?
Noch weiß keiner, was nach dem 31. Dezember passiert und wie die Verhandlungen laufen. Beim NV-Bühne geht es ja schon seit Jahren immer stärker um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das klingt natürlich ein Stück weit paradox im Künstlerbereich, wo man vorwiegend abends und an Sonn-und Feiertagen spielt. Aber das heißt ja nicht, dass das unmöglich ist. Am Ende steht für die Städte, in denen ein Theater steht, die Frage, was man sich noch wird leisten können. Die Gewerkschaften müssen da auch die Realität der Betriebe von ganz unterschiedlicher Größenordnung und Finanzausstattung im Blick haben.
Neben der Finanzlage war in Ihrer ersten Spielzeit die Debatte um das Aus für die Schauspiel-Bühne Casa ein großes Thema. Der Umbau-Beschluss für ein neues Domizil an der Rottstraße ist mittlerweile besiegelt. Wo kleinere Produktionen in der kommenden Spielzeit aufgeführt werden können, steht offenbar noch nicht fest?
Es wird gerade viel daran gearbeitet und an einigen Stellen sind wir auch schon auf einem guten Weg. Diese kleineren Spielstätten sind auch deshalb so wertvoll, weil viele Einsteiger am Theater dort ihre ersten Schritte machen. Es geht um eine Form von Nachwuchsförderung. Dass das jetzt zurückgefahren werden muss, macht traurig. Aber ich muss auch sagen: Dass die Stadt Essen sich zu einer neuen Spielstätte für das Schauspiel bekennt, ist fantastisch.
Der Casa-Ersatz dürfte auf längere Sicht nicht die einzige Baustelle der Theater und Philharmonie Essen sein. Die Situation der Probenräume ist weiterhin unbefriedigend. Beim maroden Kulissenhaus tut sich nichts. Dringender wohl noch der bauliche Zustand der TuP-Werkstätten in Vogelheim. Wie bewerten Sie die Lage?
Ich glaube, allen ist klar, dass der Zustand der Theater-Werkstätten nicht nur aus wirtschaftlicher Sicht unhaltbar ist. Erst vor kurzem gab es einen schweren Wasserschaden. Wir nehmen einfach viel gutes Steuer-Geld und stecken es in eine schlechte Immobilie. Das ist eine Lost-lost-Situation, aus der man meiner Ansicht nach schleunigst aussteigen sollte. Denn ohne die Werkstätten und ihre Mannschaften, vom Schreiner bis zum Plastiker, passiert auf der Bühne gar nichts. Das technische Personal wird oft nicht wahrgenommen, das ist absolut falsch.
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