Essen. Es ist fast paradox: Die Arbeitslosigkeit geht nicht zurück und trotzdem wächst die Beschäftigung in Essen weiter. Das steckt dahinter.
Das Wirtschaftswachstum dümpelt vor sich hin. Die Arbeitslosigkeit in Essen ist im vergangenen Monat wieder gestiegen. Da erscheint es fast paradox: Die Beschäftigung wächst hingegen weiter und ist nach einem kurzen Einbruch während der Corona-Pandemie längst wieder auf einem Rekordstand.
Das zeigen Zahlen, die die Arbeitsagentur in ihrem jüngsten Arbeitsmarktbericht vorgelegt hat. So gibt es in Essen fast 271.000 sozialversicherungspflichtige Jobs. Das sei ein Allzeithoch, so die Behörde.
Die Zahl stammt von Ende Dezember 2023. Jüngere Angaben gibt es nicht, denn die Beschäftigungsstatistik der Bundesagentur für Arbeit hinkt immer ein halbes Jahr zurück. Bemerkenswert ist diese Entwicklung dennoch, zumal die Arbeitsagentur einschätzt, dass es auch in diesem Jahr keinen Einbruch geben wird. „Dafür gibt es keine Anzeichen“, sagte Andrea Demler, Chefin der Arbeitsagentur in Essen.
Beschäftigungswachstum in Essen etwas gedämpft
Gänzlich unberührt von den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist die Entwicklung dennoch nicht: Das Beschäftigungswachstum lag zuletzt bei 1,6 Prozent und war damit schwächer als in den Boomjahren vor Corona. Unternehmen stellen also momentan nicht mehr so stark ein, was die Arbeitsagentur an den Meldungen über freie Stellen spürt, aber die Betriebe versuchen, ihre Fachkräfte auch in schwierigen Zeiten zu halten.
Zwei Job-Treiber: Ausländer und Ältere über 65
Dass es immer mehr versicherungspflichtige Jobs in Essen gibt, hat vor allem zwei Gründe: Erstens finden vor allem mehr Ausländer in der Stadt Arbeit. Deren Beschäftigung wuchs in den vergangenen fünf Jahren um über 52 Prozent. „Die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt uns immer besser“, sagte Demler. Die ausländischen Arbeitskräfte würden somit helfen, den Fachkräftebedarf zu lindern.
Zweitens sind die Älteren ein „Beschäftigungstreiber“. Die Arbeitsagentur beobachtet, dass die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Personen über 65 Jahren zugelegt hat; also derjenigen, die eigentlich schon in den wohlverdienten Ruhestand gehen könnten. Ob dies aus der Not heraus geschieht, weil die Rente nicht reicht, oder weil sie weiter im Betrieb gebraucht werden, mag Demler aus den Zahlen allein nicht herauslesen können. „Wahrscheinlich sind beide Faktoren.“ Allerdings würden die Qualifikationen derjenigen eher auf letzteres hindeuten. „Bei einem Großteil geht es nicht um prekäre Beschäftigung“, so die Arbeitsagenturchefin.
Das sind die Branchen mit den meisten sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Essen:
Die TOP 10 der Wirtschaftszweige | Anzahl der sozialvers. Jobs (Dez. 2023) |
Freiberufliche, wissenschaftliche und techn. Dienstleistungen | 35.326 |
Handel | 33.644 |
Gesundheitswesen | 26.142 |
sonstige wirtschaftl. Dienstleistungen | 23.898 |
Heime und Sozialwesen | 23.839 |
Verkehr und Lagerei | 15.505 |
Information und Kommunikation | 14.164 |
Erziehung, Unterricht | 13.440 |
Baugewerbe | 12.960 |
Öffentliche Verwaltung | 11.372 |
Dass sich die Beschäftigungsdynamik nicht in gleichem Maß auf die Arbeitslosenzahlen in Essen auswirkt, liegt an der Systematik der Statistik. Sie zählt einzig die Arbeitsplätze in der Stadt. Und die sind nicht nur von Essenern besetzt. „Essen ist traditionell eine Einpendlerstadt“, unterstrich Demler.
Gewinner- und Verliererbranchen in Essen
Freilich zieht sich der Jobboom nicht durch alle Branchen gleichermaßen. Es gibt Gewinner und Verlierer. Die meisten neuen Arbeitsplätze (über 1800) sind in den Bereichen Immobilien, freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen entstanden. Dahinter verbergen sich Arbeitgeber wie Unternehmensberatungen, Rechtsanwaltskanzleien, Werbeagenturen, Architekturbüros, aber auch Forschungseinrichtungen. Auf Platz 2 der Gewinnerliste folgt der Wirtschaftsbereich Energie- und Wasserversorgung, Entsorgung und Bergbau. Der Zweig „Sozialwesen und Heime“ landet auf Rang 3 und liegt wenig überraschend angesichts des enormen Arbeitskräftebedarfs weit vorn. „Manche Branchen könnten wahrscheinlich noch viel mehr Menschen einstellen, aber sie finden kein Personal“, sagte Demler.
Jobverluste gab es hingegen im vergangenen Jahr in diesen Bereichen: „Verkehr und Lagerei“, „Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kfz“, „Herstellung von überwiegend häuslich konsumierten Gütern“. Zu letzterem zählen vor allem Hersteller von Nahrungs- und Futtermitteln.
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Dass es im vergangenen Jahr besonders die Logistikbranche (-786 Jobs) getroffen hat, die Arbeitsplätze abbauen musste, überrascht ebenso wenig. Zum einen dürfte sich der Wirtschaftszweig nach dem Paketboom der Coronazeit wieder auf ein Normalmaß einpendeln. Zum anderen gibt es auch Sondereffekte. Bereits vor der Schließung des Fiege/Galeria-Lagers Ende Juni 2024 gab es an dem Standort schon einen Arbeitsplatzabbau.
Auch wenn die Beschäftigung in Essen kurzfristig weiter zunehmen dürfte, zeichnet sich nach Meinung von Arbeitsmarktexperten ein Ende des Wachstums an. „Die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung dürfte ihren Zenit erreichen“, betonte Demler mit Blick auf die demografische Entwicklung. Die Generation der sogenannten Babyboomer geht in Rente und weniger junge Leute stehen dem Arbeitsmarkt zur Verfügung. In den nächsten fünf bis zehn Jahren scheiden in Essen mehr Menschen aus dem Arbeitsleben aus, als nachkommen.
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