Essen. Die „Essener Tafel“ verlässt den Huttroper Wasserturm und zieht um in ein neues Domizil. Von der Stadt ist Tafel-Chef Sartor enttäuscht
Wer eine neue Bleibe sucht- zentral gelegen, groß genug und möglichst günstig -, braucht Glück und Geduld. Die „Essener Tafel“ hatte offenbar beides. Nach jahrelanger Suche nach einem neuen Domizil ist die im Steeler Wasserturm beheimatete soziale Einrichtung endlich fündig geworden, freut sich ihr Chef Jörg Sartor.
Der Mietvertrag sei unterschrieben, berichtete Sartor am Freitag im Gespräch mit dieser Redaktion. Noch werde es aber einige Monate dauern, bis die Umzugswagen am Wasserturm vorfahren. Anfang 2026 soll es soweit sein. Dann heißt das Ziel: Frohnhauser Straße/Ecke Westendhof. Dort wird die „Essener Tafel“ im rückwärtigen Teil einer Gewerbeimmobilie 1200 Quadratmeter nutzen.
Die Eigentümerin, eine Essener Unternehmerfamilie, welche die „Essener Tafel“ seit vielen Jahren finanziell mit Spenden unterstützt, sei dem eingetragenen Verein weit entgegenkommen. Nur dadurch werde der Umzug überhaupt möglich, berichtet Sartor, der bei aller Freude mit Kritik nicht hinterm Berg hält. Der Adressat ist die Stadt Essen und in Person Oberbürgermeister Thomas Kufen.
Tafel-Chef Jörg Sartor sagt, die Stadt Essen habe ihr Versprechen nicht gehalten
„Vor dreieinhalb Jahren hat uns der Oberbürgermeister ein Objekt zugesagt“, so Sartor. Doch diese Zusage habe der OB nicht eingehalten.
Bei besagtem Objekt handelt es sich um das ehemalige Leihhaus der Stadt Essen an der Söllingstraße im Ostviertel. Der viergeschossige Backsteinbau ist mehr als 100 Jahre alt, steht unter Denkmalschutz und verfällt zusehends. 15 Millionen Euro, so eine Schätzung, sollte eine umfassende Sanierung kosten. 500.000 Euro hatte der Rat der Stadt Anfang vergangenen Jahres für die Planung freigegeben.
Da die oberen Geschosse wegen der nur zwei Meter hohen Decken aus Brandschutzgründen nicht als Büroräume herhalten, wollte die Stadt die Immobilie größtenteils als Lager nutzen. Ins Erdgeschoss sollte die „Essener Tafel“ einziehen. Aber: „Bis heute ist noch kein Bleistift angespitzt worden“, sagt Sartor in der ihm eigenen, direkten Art. Persönlich enttäuscht sei er vom Oberbürgermeister, schiebt der Tafel-Chef noch hinterher. Kufen habe zwei Anfragen unbeantwortet gelassen.
Stadtsprecherin Silke Lenz zeigte sich gegenüber der Redaktion überrascht über die Vorwürfe Sartors. Die Verwaltung habe sehr wohl im Austausch mit dem Tafel-Chef gestanden. Sämtliche Planungen seien darauf ausgelegt, dass die „Tafel“ wie abgesprochen ins Erdgeschoss der Immobilie an der Söllingstraße zieht. Als nächster Schritt sollte in Kürze ein Generalplaner beauftragt werden. Was die Nutzung des Erdgeschosses angeht, müsse die Verwaltung nun umdenken.
Die Stadt Essen zeigt sich überrascht von den Vorwürfen des Tafel-Chefs
Sartor und seine Mitstreiter im Vorstand der „Essener Tafel“ hatten Annoncen und Internetportale studiert, und waren auf die Gewerbeimmobilie an der Frohnhauser Straße 71 im Westviertel gestoßen. Den Gebäudeteil zur Straße hin nutzt das Jobcenter, hintere Bereiche des Gebäudekomplexes stehen leer. Nach ersten Gesprächen über einen Makler sei man sich mit dem Eigentümer schnell einig geworden. Als vertraglich letzte Details geklärt waren, unterzeichnete Sartor den Mietvertrag.
Der sichert der „Essener Tafel“ 1200 Quadratmeter im Erdgeschoss plus 1000 Quadratmeter Hoffläche für Fahrzeuge und Anlieferung. Im Wasserturm an der Steeler Straße nutzt die „Tafel“ 600 Quadratmeter, verteilt auf drei Etagen.
Wöchentlich versorgt der Verein am Wasserturm und an dezentralen Ausgabestellen etwa 6000 Bürgerinnen und Bürger mit Lebensmittelspenden. Zudem unterstützt die „Tafel“ etwa 100 soziale und karitative Einrichtungen mit Frühstücks- oder Mittagstischen.
Die Platzverhältnisse im Wasserturm seien beengt, weshalb sich der Verein, der im kommenden Jahr sein 30-jähriges Bestehen feiert, seit geraumer Zeit nach einer Alternative umschaut, bisher ohne Erfolg.
An der neuen Adresse will die „Essener Tafel“ mehr Menschen versorgen
Im neuen Domizil soll vieles einfacher werden. „Ich bin sicher, dass wir 20 bis 30 Prozent mehr Menschen versorgen können als heute“, sagt Sartor. Im Wasserturm führt ein Tor zur Lebensmittelausgabe, durch dasselbe Tor müssen Personen und Waren das Gebäude wieder verlassen. In der Immobilie an der Frohnhauser Straße werden Ein- und Ausgang voneinander getrennt sein. Zudem soll es einen Aufenthaltsraum geben, sodass niemand mehr im Freien auf Einlass warten muss. Bus- und Straßenbahnhaltestelle sind nicht weit entfernt, ab 2026 hält die „City-Bahn“ ganz in der Nähe.
Bis es so weit ist, muss das Gebäude für die Belange der „Tafel“ umgebaut werden. Der Verein wird dies laut Sartor selbst finanzieren, größtenteils aus Spenden. Zusagen lägen bereits vor.
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Mit dem Umzug soll für Sartor auch ein persönlicher Lebensabschnitt enden, den Vorsitz will er abgeben, um die Geschicke der „Tafel“ Jüngeren zu überlassen. Sartors Amtszeit endet 2026. „Ich habe mich noch einmal für zwei Jahre wählen lassen. Aber für mich steht fest: Mit 70 ist Schluss“, sagt der 68-Jährige. 20 Jahre ehrenamtliche Arbeit hätten bei aller Freude viel Kraft gekostet. Sartor verhehlt nicht, dass er auch enttäuscht sei, einmal mehr von der Stadt Essen. Er vermisse Wertschätzung, „nicht für mich als Person, sondern für unsere Einrichtung als Essener Tafel.“
Offen bleibt vorerst, was nach dem Auszug der „Tafel“ aus dem Wasserturm wird. Eigentümer sind die „Stadtwerke Essen“.
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