Emmerich. Für die Trajektlinie Spyck-Welle wurde eine der engsten Stellen des Niederrheins ausgeguckt. Wann die Eisenbahnfähre ihren Betrieb einstellte.
Der geneigte Zeitungsleser aus Emmerich erfährt in der Sonntagsausgabe nicht, was sich am Vortag ereignet hat. Es ist der 6. Juli 1862 und auf den Seiten des Bürger-Blatts für den Kreis Rees dominieren zwei Themen: die Emmericher Kirmes und das anstehende Schützenfest der Borussia. So empfiehlt ein Tabakhändler vom Fischerort „fein geschnitten Schützen-Tabak“ und die „Kurzwaaren-Handlung“ J.W. Becker preist Eau de Cologne in „vorzüglichen Qualitäten“ an.
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Apropos Cologne. Eben in Köln wird am 5. Juli 1863 eine wichtige Vereinbarung geschlossen. Die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft (RhE) und die Nederlandse Rhijnspoorweg (NRS) wollen ihre beiden Gleisstrecken verknüpfen. Das bedeutet konkret, dass die ab Köln linksrheinisch verlaufene Strecke den Rhein queren muss. Dafür wird eine der schmalsten Stellen des Niederrheins ausgeguckt – zwischen dem linksrheinischen Spyck und dem rechtsrheinischen Hüthum.
Niederländer und Preußen waren gegen eine Brücke
Eine Eisenbahnbrücke soll den Fluss allerdings nicht queren. Das lehnen sowohl die zuständigen Stellen in den Niederlanden als auch in Preußen ab. Allerdings mit unterschiedlichen Argumenten, die rückblickend auch durchaus einen Einblick in den Gemütszustand der beiden Nationen geben. Während die Niederländer die hohen Kosten einer Brücke scheuen, verweigert das preußische Militär auf der anderen Seite die Zustimmung zu einem solch permanenten Bauwerk aus Sicherheitsbedenken wegen der Grenzverteidigung.
Weitere Trajektlinien über den Rhein
Eisenbahnfähren über Flüsse waren in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Europa und Nordamerika keine Seltenheit. Allein sieben Trajekte gab es über den Rhein. Hinzu kamen noch vier weitere Eisenbahnfährverbindungen, die ausschließlich während des Baus von Brücken eingerichtet wurden.
Das für die Trajektlinie Spyck-Welle entwickelte Trajektsystem wurde von der Rheinischen Eisenbahn-Gesellschaft zudem auch noch bei den beiden Trajekten Rheinhausen-Hochfeld und Bonn-Oberkassel eingesetzt.
Also muss der Rhein eine Eisenbahnfährverbindung erhalten, ein sogenanntes Trajekt. Die Trajektlinie wird offiziell am 1. Mai 1865 eingeweiht und erhält den Namen Trajekt Spyck-Welle. Welle bezieht sich auf den in Hüthum eingerichteten Bahnhof. Noch heute erinnert der Name einer Stichstraße an eben diesen Bahnhof. Von dort führt die Trajektlinie in einem großen Bogen mit einer Brücke über die Wild Richtung Elten bis an die vorhandene Bahnstrecke Oberhausen-Arnheim und dort entlang bis nach Elten.
Zurück zur eigentlichen Rheinquerung. Die Dampfloks selbst können den Fluss wegen ihres Gewichts nicht passieren, daher steht auf jeder Rheinseite eine Lok bereit. Wegen des Läutewerks der Lokomotiven (sie führen die Namen Hermann und Wittekind) nennt man die Bahn in Elten „Bello“. Die Fährponten mit den Wagen der Bahn sollen nicht frei über den Strom fahren, sondern diesen zwischen zwei quer über den Rhein gespannten Ketten überqueren. Erst als starke Seile die Ketten ersetzen, gelingt die Trajektierung. Die Ponten können an Deck entweder sechs Güterwagen oder fünf Personenwagen tragen. Die Fahrgäste bleiben während der Überfahrt in den Wagen.
Die Trajektierung dauert 20 Minuten
Die Eisenbahngesellschaften geben an, dass die Rheinüberfahrt mittels Trajektierung 20 Minuten Zeit in Anspruch nimmt, wobei die eigentliche Fahrt über das Wasser lediglich acht Minuten dauert. Die Restzeit wird für das Verladen der Waggons gebraucht. Zwischen 20.000 und 30.000 Züge werden so jährlich über den Rhein geschippert, obwohl der Verkehr immer wieder unterbrochen wird. Denn bei Eisgang, Sturm, Nebel oder Hochwasser ist die Trajektlinie nicht nutzbar.
Aus heutiger Sicht scheint es logisch, dass das Trajekt Spyck-Welle nur eine temporäre Erscheinung ist. Bereits im Jahr 1887 setzt zum letzten Mal ein überregionaler Schnellzug mit der Trajektlinie über. Ab dann nutzen nur noch Züge, die zwischen Zevenaar und Kleve verkehren, die Rheinquerung. Der Güterverkehr wird auch nur bis zum Jahr 1888 auf dieser Strecke verkehren. Im Jahr 1912 kommt das endgültige Aus für die Trajektierung. Fahrgäste werden in den folgenden Jahren zwischen Spyck und Welle noch mit einem Boot übergesetzt, diese Bootsverbindung wird zum 31. August 1926 eingestellt. Dies hat die Stilllegung der Gleise zwischen Elten und Bahnhof Welle zur Folge. Schließlich besteht in den 30er- und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts noch ein Fährbetrieb für Fußgänger.