Emmerich/Rees. Düsseldorf muss mehr Tempo bei der Deichsanierung machen, sagt Holger Friedrich vom Deichverband. Die Klima-Anpassung sei jetzt gefragt.
Das Telefon von Deichverbands-Geschäftsführer Holger Friedrich stand nicht still. Und das im Urlaub. Gerade erst waren die Bilder der Flutkatastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz zu sehen. „Viele Freunde haben mich sofort angerufen und gefragt, ob das auch in Emmerich und Rees passieren kann. Und ob sie ihre Häuser jetzt schützen müssen“, erzählt Friedrich. Er habe sie erst einmal beruhigen können. Ein Starkregen-Ereignis in dieser Form am Niederrhein würde nicht solche Folgen haben. Und wenn der Rhein steigt, hätte man Vorwarnzeit. Aber trotzdem: „Bei einem Deichbruch würde es hier auch Tote geben“, warnt er. Und fordert deshalb in Richtung Bezirksregierung mehr Tempo für die Deichsanierung.
Denn die Menschen im Verbandsgebiet leben nun mal am größten Strom Europas – und schützen sich vor Hochwasser seit gut 600 Jahren. „Hochwasser war hier immer ein Naturereignis“, weiß der Fachmann. Klimaschutz sei wichtig, betont Friedrich, Ergebnisse werden man aber erst in vielen Jahren sehen. Anders die Klima-Anpassung: „Die ist jetzt gefragt“, gerade mit Blick auf die Deichsanierung.
70.000 Menschen müssten bei Deichbruch evakuiert werden
Denn es ist für jeden offensichtlich etwas in Bewegung geraten beim Klima. Hochwasserstände von acht Metern, wie sie gerade vor Wochen gemessen wurden, seien im Winter absolut kein Problem. Für Juli sei das aber ein sehr hoher Wasserstand, leider rekordverdächtig. Weil extreme Dürren einerseits, extrem starke Regenfälle anderseits wohl erkennbar häufig eintreten, müsse man gut vorbereitet sein.
Immerhin wären bei einem Deichbruch gut 70.000 Menschen im Gebiet des Deichverbandes Bislich-Landesgrenze betroffen, müssen im Notfall evakuiert werden. „Deshalb muss der Deich unbedingt saniert werden, möglichst schneller als jetzt geplant“, findet Friedrich. Über die Hälfe der über 45 Kilometer langen Hochwasserschutzanlage von Bislich bis zur Landesgrenze seien bisher saniert, hätten statt des alten, rein aus Lehm gebauten Deiches einen Drei-Zonen-Deich mit Sandkern.
Personalmangel bei Bezirksregierung verzögert weiter die Sanierung
Der ist nicht nur 70 Zentimeter höher als die bisherige Schutzeinrichtung, etwa zwischen Rees und Bienen, sondern auch doppelt so breit. „Das bedeutet ein enormes Plus an Sicherheit“, sagt Holger Friedrich. Beim alten Deich bestehe die Gefahr, dass er nach 14 Tagen durchnässt ist und zum Problem werden kann, wenn das Wasser direkt am Deich steht. „Wobei es auch beim neuen Deich zu einem Bruch kommen kann, wenn er überspült wird“, verheimlicht er nicht.
Ärgerlich sei, so der Geschäftsführer vom Deichverband, dass die Deichverbände schon vor vielen Jahren ihre Hausaufgaben gemacht und entsprechende Genehmigungsanträge bei der Bezirksregierung eingereicht hätten. Die seien damals in den 90er Jahren aber liegen geblieben, wegen Personalmangels. „Am Geld lag’s nicht“, weiß Friedrich.
Denkmalschutz geht zu Lasten des Hochwasserschutzes
Jetzt hat die Bezirksregierung zwar mehr (technisches) Personal, es fehlt aber an entsprechenden Verwaltungsleuten. „Außerdem sind die Genehmigungsanträge beziehungsweise Planfeststellungsverfahren komplexer als früher“, klagt der Geschäftsführer des Deichverbandes. Und hat Beispiele parat. In Bislich etwa gibt es einen alten Splitterschutzbunker. Da müsse der Deichverband für den neuen Deich jetzt aus Denkmalschutz-Gründen Varianten zu Lasten des Hochwasserschutzes prüfen. Entweder soll eine Spundwand gebaut, oder der Deichverlauf verändert werden - zu Lasten des Hochwasserschutzes, denn Überflutungsraum geht verloren.
Verständlich sei das nicht. „Sicherheit hat doch absoluten Vorrang“, stellt er seine Sicht klar. Und wenn etwa ein Bauernhof der Schutzanlage weichen müsse, so Friedrich, müsse erst einmal mit Detektoren Tag und Nacht gecheckt werden, ob sich da vielleicht Fledermäuse aufhalten. „Das steht alles in keinem Verhältnis mehr zum Schutz durch den Deich, der dringend saniert werden muss“, ärgert er sich.
Friedrich fordert mehr Mut zur Entscheidung in der Behörde
Da dürfe es nicht verwundern, dass es ob der extremen Komplexität der Genehmigungsverfahren zu großen Zeitverzögerungen kommt. „Erst sollte die komplette Sanierung 2015, dann 2025 abgeschlossen sein. Jetzt sind wir bei 2028 und auch das ist bei der Dauer der Verfahren sehr optimistisch.“ Was sich Holger Friedrich wünscht, bringt er auf den Punkt: „Die Bezirksregierung braucht einfach mehr Verwaltungs-Personal. Und die Entscheider sollten den Mut haben, denen, die die Genehmigungen schreiben, den Rücken zu stärken, damit es schneller geht“, sagt Friedrich.
Und meint „Mut zur Entscheidung und die Verfahren beschleunigen, sprich kurzfristig Personal einstellen“. Das sei spätestens jetzt nach der Flutkatastrophe das Gebot der Stunde. Denn bei der Deichsanierung müsse jetzt mehr Tempo gemacht werden – für die Sicherheit von Menschen, Tieren und Sachwerten. Damit es nicht doch irgendwann einmal zur Katastrophe kommt.
>>>Bachelor-Arbeit über Zusammenarbeit geplant
Der Deichverband Bislich-Landesgrenze kontrolliert bei Hochwasser ab einem bestimmten Pegel die Deiche. Sollten Schwachstellen entdeckt werden, die nicht mehr zu verteidigen wären, übernimmt ein Krisenstab beim Kreis das Kommando. Dort würde dann auch über eine mögliche Evakuierung entschieden.
Formell ist Holger Friedrich nur für den Hochwasserschutz im Verbandsgebiet verantwortlich. Weil ein Deichbruch aber auch die Kreise Kleve, Wesel und Borken sowie große Teil der niederländischen Nachbarn betreffen würde, ist ihm der kreisübergreifende Aspekt wichtig. Darüber will er jetzt eine Bachelor-Arbeit in Auftrag geben, sagt der Geschäftsführer.
Im Falle eines Deichbruchs würden viele Gebiete im rechtsrheinischen Raum sehr schnell hoch unter Wasser stehen, und zwar bis zu vier Meter, etwa die Ortschaften Millingen, Praest und Vrasselt. Ab Isselburg würde es einen Wasserstand von bis zu zwei Meter geben können. Der Deich hat übrigens eine durchschnittliche Höhe von fünf bis sieben Metern, je nach Geländehöhe.