Rees. Grietherort in Rees ist durch das Hochwasser zu einer Insel geworden. Fernsehsender berichten darüber, doch die Anwohner nehmen es gelassen.
Nahe des Grietherbuscher Turms waren schon von Weitem zahlreiche Passanten zu sehen. Entlang des gesperrten Weges liefen sie, um sich das Schauspiel der überfluteten Flächen in Rees anzusehen. „Das ist erstens für die Enkelkinder schön. Aber auch für Erwachsene ist das ein Ereignis. Das kommt nicht alle Jahre vor“, meinte der Millinger Ortsvorsteher Hans-Jürgen Klug.
Wann er zuletzt sowas gesehen hat? „Ich denke mal, vor drei, vier Jahren hier. Da war der Stand ähnlich wie jetzt.“ Und „vor vielen Jahren stand es bis an den Sommerdeich, ich glaube 1998, da war hier alles unter Wasser. Und Anfang 2000 hatten wir auch eine Hochwassersituation. Da war erst Hochwasser – und dann setzte der Frost ein. Da bin ich mit den Schlittschuhen von Dornick bis Rees gefahren. Total genial.“
Touristen beobachten Hochwasser-Schauspiel
Auch Willi Selders und Elisabeth Neumann waren extra gekommen. „Einfach mal schauen, das ist Tourismus-Neugier“, meinte der Kevelaerer. „Da vorne am Hof hängt ein Foto, wo der ganze Hof unter Wasser stand. Die sagten, wenn das richtig hoch steht, wird der Deich geöffnet und das ganze Gebiet überflutet. Aber es sieht hier nicht danach aus.“ Seine Liebste fand es einfach nur „super“ und erklärt: „Wenn man es so sieht, ist das faszinierend gut. Wir haben gerade auch das Boot der Feuerwehr Bienen gesehen.“
Und nicht nur die: Eine Familie aus Grietherort bestieg ein eigenes Motorboot und fuhr los, als das Feuerwehrboot Bienchen II gerade mit einem Fernsehteam anlegte. Am Anleger wartete Theo van Elsbergen auf die Überfahrt. Hochwasser kenne er quasi seit seiner Geburt, das sei „gefühlt das dreißigste Hochwasser“, meinte der 39-jährige, der mit seinem dreijährigen Sohn Leo („Da ist seine erste Bootsfahrt“) beim Arzt war. Das Hochwasser sei für ihn nicht überraschend gekommen: „Man kann das ein, zwei Wochen vorher feststellen. Man kauft alles an Lebensmitteln ein, das Nötigste, damit man die Feuerwehr nicht belastet, auch Getränke und sowas.“
Ehrenamtliche fahren im Drei-Schicht-System
Gregory van der Woude betreibt seit 2014 in Grietherort den Campingplatz, der nahe des Altrheins liegt. „Das gehört dazu. Man erledigt Sachen, nächste Woche geht es ja wieder runter und dann wird die Brücke frei sein. Es ist nur ein bisschen schwierig, rüberzukommen“, sagt er. Ein paar Camper seien auf dem Platz. Doch erst wenn das Wasser noch höher steigen würde, wäre es für die Camper etwas problematisch. „Da müssen die den Caravan wegziehen, mit Chalets geht das nicht. Das gehört dazu, das Risiko.“ Solange es nicht wie 1995 wird, sei alles gut. „Da war hier alles unter Wasser.“
Für Feuerwehrmann Daniel Döring und seinen Kollegen Tobias Beenen war es am Donnerstagnachmittag bereits die dritte Fahrt zur „Insel“ Grietherort. „Das macht Spaß, weil man auch die Dankbarkeit der Leute erfährt. Die müssen zur Arbeit, zur Schule, eben musste einer zum Zahnarzt.“ Im Drei-Schicht-System fahren die Ehrenamtlichen das Boot. „Und nachts, wenn was ist, muss man auch ran“, sagte Beenen. Bei der Überfahrt müsse man sehr aufmerksam sein, sagt Döring. „Wir müssen auf das Holz und die anderen Boote aufpassen und die Fahrrinne genau einhalten“, erklärte er. „Wir sind jetzt quasi auf einer Wiese und kommen dann auf den alten Rhein und den muss man halt ein bisschen nachfahren.“
Firma Holemans hat Anlegesteg gespendet
Den Anlegesteg hatte erstmals die Firma Holemans gespendet, damit die Leute besser in das Boot einsteigen können. „Sonst legt das Bienchen immer direkt an der Böschung neben der Straße an”, erinnert sich Döring an vergangene Jahre. Das sei aber besonders bei Regenwetter eine ziemliche rutschige Angelegenheit. „Deshalb kam mir dieses Jahr die Idee, bei Holemans nach einer Anlegestelle zu fragen.” Und so wurde im Handumdrehen ein zurzeit nicht genutzter Laufsteg mit Ponton abmontiert und nach Grietherbusch gebracht.
Auf der Grietherorter Seite stand bereits Judith Schmidt mit den Kindern am Wegesrand und blickte auf das Wasser. Die aus Karlsruhe stammende Frau und ihr holländischer Mann wohnen in einem alten Hof in dem Ort. „Drei, viermal“ hätten sie schon Hochwasser erlebt. „Es war auch schon mal höher. Das ist ein Abenteuer, wir freuen uns immer.“
Hochwasser ist für Bewohner Routine
Über die Straße geht es nach einer Kurve entlang einzelner Höfe. Nahe des Rheins geht der „Postbote“ Theo van Elsbergen mit Ehefrau Silvia und zwei Kinderwagen spazieren. „1995 hatten wir das Wasser zum Glück nicht im Haus stehen, da fehlten noch zwei Treppenstufen Höhenunterschied“, erinnert er sich. Entsprechend herrscht jetzt Gelassenheit.
„Wir hatten auch schon mal sieben Jahre lang kein Hochwasser, da waren Jahre dabei, da war die Brücke zwei oder drei Mal überflutet“, erzählt Christian Nass vom nahe gelegenen Inselgasthof. Die Familie sei schon seit 150 Jahren dort. „Das ist jetzt normales Wasser und für uns ist der Pegelstand keine Gefahr. Hier ist alles hoch genug. Für uns ist das alles Routine.“ Die Aufregung versteht er nur bedingt. „Das sind die Medien.“
Tourismus-Chaos an der Reeser Rheinbrücke
Der LKW-Transportunternehmer Georg van Schöll und sein Vater Hans gingen auf ihrem Hof mit den Hunden spazieren. „Zum Boot hin und zurück ist kein Durchkommen vor lauter Touristen“, meinte Georg van Schöll. Alle wollen gucken, nehmen die Parkplätze weg. Hier auf dem Ort ist es schön ruhig. An der Brücke, da ist Chaos.“ Die Lastwagen stünden in Rees, die Privatautos in Grietherbusch an der Kirche. „Wenn wir da nicht schnell genug sind, nehmen die uns die Parkplätze weg.“ Und ab und an höre man die Leute schon darüber reden: „Die saufen schon ab, die haben das Wasser bis an die Dachrinne stehen. Und wenn man dann sagt: Hallo, wir wohnen da, drehen die sich um und sind weg.“
Vor 25 Jahren, „da stand das hier auf dem Hof in der Rinne zwischen Schuppen und Haus“, erzählt der 54-Jährige. Da musten wir bei Nass einsteigen und wurden nach Grieth gefahren, weil es bis Rees keine Möglichkeit zum Anlegen gab.“ Aber selbst da habe er nicht Angst gehabt. „Man ist damit groß geworden“, sagt er. „Dann sind halt Gummistiefel für uns die Sonntagsschuhe.“ Er erinnerte sich an die Erzählungen des Großvaters vom Jahrhundert-Hochwasser 1926. „Da war wie jetzt Winter. Da hat alles gefroren. Da sind die über das Eis bis nach Grieth gelaufen.“