Emmerich/Rees/Kleve. Die Ärzte konnten die Notdienstregelung nicht kippen. Ihre Dienstfrequenz ist gesunken, sie sorgen sich aber um schnelle Versorgung der Patienten.
Nach der gestrigen Berichterstattung über das neue Notdienstsystem haben wohl viele Bewohner des rechtsrheinischen Nordkreises den Routenplaner zurate gezogen. Wie weit und wie lange muss der diensthabende Arzt fahren, wenn er nach Kranenburg gerufen wird und anschließend in Rees-Mehr einen Patienten untersuchen soll? Existenziell gefragt: Wie sicher ist die notärztliche Versorgung in diesem großen Flächenkreis?
Der Fahrdienst dauert 24 Stunden
Der Gesetzgeber will es so! So lautet die klare Anweisung der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, die nun umgesetzt hat, dass der letzte Kreis in NRW zentrale Notdienstpraxen einrichtet. Was für den rechtsrheinischen Nordkreis bedeutet: Nach Praxisschluss sitzt ein diensthabender Arzt in der Notdienstpraxis im St.-Antonius-Hospital in Kleve. Montag, Dienstag, Donnerstag von 19 bis 22 Uhr, Mittwoch und Freitag von 13 bis 22 Uhr, samstags, sonntags, sowie an Feiertagen von 9 bis 22 Uhr. Zeitgleich hat ein weiterer niedergelassener Arzt, hier sind alle Fachrichtungen vertreten bis auf die Kinder- und Augenärzte, Fahrbereitschaft, von 8 Uhr morgens bis zum nächsten Morgen.
Ein Vorteil: nicht anrufen, sofort in die Praxis kommen
Christopher Schneider, Pressesprecher der KV Nordrhein, sieht einen großen Vorteil im neuen Konzept. „Die Patienten müssen nicht mehr über die Notdienstnummer warten, dass sie zum diensthabenden Arzt weitergeleitet werden, sondern sie können direkt in die Notdienstpraxis ins Klever Krankenhaus fahren.“ Wer allerdings einen Hausbesuch benötigt, muss diesen weiterhin unter 116 117 anfordern. Der Arzt, der Fahrdienst hat, kann von seiner Praxis oder seinem Wohnsitz aus losfahren, er hat keine Präsenzpflicht im Krankenhaus.
Jeder Arzt hat im Halbjahr zwei Notdienste
Der Vorteil für die Ärzte ist, so die KV, dass sie wesentlich seltener Notdienst haben, heißt je einen Sitz- und einen Fahrdienst im halben Jahr.
Dr. med. Michael Pelzer aus Kleve, der auch als Rettungsarzt im Einsatz ist, hat bereits im vergangenen Jahr eine Petition gestartet, damit die niedergelassenen Ärzte in die Planung einer neuen Notdienstversorgung involviert werden, ihnen nicht ein Konzept übergestülpt wird, was genau jetzt geschehen ist. Über 100 Unterschriften von Ärzten kamen zusammen, die der Mediziner dem KV-Vorstand überreichte. Eine Einbeziehung wurde in Aussicht gestellt, nichts geschah.
„Außerdem wissen wir noch nicht einmal, wie die beiden Praxisräume im Klever Krankenhaus ausgestattet sind“, erzählt Dr. Pelzer, der regelmäßig auch im Klever Hospital tätig ist.
Mehr stationäre Einlieferungen als notwendig
„Wenn ich, um einen Patienten in Rees-Mehr zu behandeln, von Kleve aus 45 Minuten fahre, habe ich insgesamt anderthalb Stunden Fahrzeit. Bei einem 24 Stunden Dienst sitze ich unter Umständen mehr Stunden hinter dem Steuer, als es Lkw-Fahrer dürfen“, bemängelt Dr. Pelzer.
„Es gab den Wunsch, einen Fahrer einzustellen, damit die Ärzte nicht auch noch unbekannte Strecken fahren müssen, was besonders auch für die Frauen sicherer gewesen wäre. Diesen Fahrer hätten wir Ärzte selbst bezahlen müssen, doch die Mehrheit der Ärzte hat sich dagegen ausgesprochen“, berichtet Dr. Michal El-Nounou aus Rees.
Oder wird doch die 112 gewählt?
Eindeutig ist die Größe des Einzugsgebietes das eigentliche Problem. Lange Wartezeiten können auch zur Folge haben, „dass eben doch lieber die 112 gewählt wird“, vermutet Dr. Pelzer, der als Notarzt im Rettungsdienst weiß, dass jetzt schon mehr Patienten stationär eingeliefert werden als notwendig.
In Haldern war Johannes Fockenberg, Geschäftsführer des St. Marien Alten- und Pflegeheims, höchst überrascht von der Neuregelung. „Wir wurden nicht informiert und sehen darin natürlich ein großes Problem.“ Zwar stehen immer noch Hausärzte bereit, etwa bei der Sterbebegleitung, die auch außerhalb ihres Dienstes ihre Patienten betreuen, „aber“, ergänzt Pflegedienstleiterin Dagmar Frericks, „im Zweifelsfall, bevor wir lange auf den Fahrdienst warten müssen, rufen wir die 112 an“.
Willibrord Spital bot eine Alternative an
Das St. Willibrord Spital in Emmerich hatte der KV ein sogenanntes „Ein-Tresen-Prinzip“ angeboten, das auch politisch gewollt sei, erklärte Geschäftsführer Johannes Schmitz. Das hätte bedeutet, der Patient spricht im Emmericher Krankenhaus vor. Bei einer Ersteinschätzung wird der Patient je nach Behandlungsdringlichkeit entweder an die Notdienstpraxis im Haus oder die Notfallambulanz verwiesen. Die Notdienstpraxis wäre sogar zu bestimmten Zeiten von Assistenzärzten des Hauses besetzt worden. „Das war von der KV nicht gewollt. Unser Angebot besteht aber weiterhin“, so der Geschäftsführer. Aber selbstverständlich könne jeder, der glaubt, akut außerhalb der regulären Praxiszeiten ärztliche Hilfe zu benötigen, zur Notfallambulanz des Willibrord Spitals kommen.
Kinderärzte haben keinen eigenen Fahrdienst
Für die Kinderärzte gibt es momentan nur eine Notdienstpraxis in Kleve, 18 Kinderärzte müssen sich den Dienst im gesamten Kreis teilen. Einen Fahrdienst gibt es nicht.
Dr. Michal El-Nounou bestätigt, dass die neue Notdienstfrequenz für Ärzte angenehmer ist. „Sonst hatte ich 20 Notdienste im Jahr, jetzt vier. Aber die Versorgung für die Patienten ist deutlich schlechter.“ Und er gibt den Hinweis, dass ein Patient nach der Fahrt in die Notfallpraxis in Kleve in der Regel auch ein Rezept einlösen muss, was dann nochmals diverse Kilometer bis zur diensthabenden Apotheke bedeuten kann. Zudem müssen die Ärzte die neue Regelung aus ihrem Budget bezahlen. Und bestellt haben sie die „Musik“ nicht.
>> Das sagt die Kassenärztliche Vereinigung
In der Summe, so der Sprecher der KV Nordrhein, hätte die Ärzteschaft im Kreis Kleve die Vorteile der neuen Notdienst-Struktur erkannt.
Diese sei besonders der demografischen Veränderung mit zunehmend mehr älteren Kollegen geschuldet. Das neue System führe zu einer Reduzierung der Dienstbelastung. Was auch die Suche nach Nachfolgern erleichtere, junge Kollegen gefalle die homogene Dienstbelastung. Was die Wartezeit auf den Fahrdienst angeht: Es handele es sich nicht um einen Notarzteinsatz, sondern um einen ärztlichen Notdienst.