Duisburg. Nach der Schocknachricht bei Thyssenkrupp äußern sich Mitarbeiter zur Stimmung im Werk und zu den Plänen in Duisburg. Wie der Machtkampf weitergeht.

Das Stahlwerk im Duisburger Norden gibt für Ankömmlinge an diesem trüben Montagabend das passende Bild ab, nachdem der Vorstand am Mittag erklärt hat, sich von 11.000 Beschäftigten trennen zu wollen. Die Bildsymbolik könnte stimmiger nicht sein: Während sich links die durch ihr dunkelgrün-graues Antlitz abgewetzt dreinschauende Zentrale im Niesel wegduckt, wirkt rechts eine gelbrot brennende Gasfackel an der Kokerei Schwelgern wie eine erhobene Arbeiterfaust.

Ali Güzel ist „wütend und enttäuscht“, er sieht seine „schlimmsten Befürchtungen bestätigt“. Der Vorsitzende des Betriebsrates am größten Thyssenkrupp-Stahlstandort Hamborn-Beeckerwerth zählte zu jenen, die seit Wochen davor gewarnt hatten, Konzernchef Miguel López und der neue Steel-Vorstand um Dennis Grimm planten eine „Halbierung der Hütte“. Die am Montagnachmittag vom Vorstand vorgestellten Eckpunkte zielten genau auf die halbe Hütte darauf ab, kritisiert Güzel nun.

Thyssenkrupp Steel: Pläne sind „eingeschlagen wie eine Bombe“

In der Hauptverwaltung an der Kaiser-Wilhelm-Straße hatten Vorstandssprecher Dennis Grimm, Finanzchef Philipp Conze und „Chief Transformation Officer“ Dr. Marie Jaroni den Betriebsratsvorsitzenden des Stahlkonzerns ab 14 Uhr die „wesentlichen Eckpunkte“ für ein „industrielles Zukunftskonzept“ vorgestellt. Thyssenkrupp Steel wolle durch Veränderungen im Produktionsnetzwerk und „eine deutliche Straffung der Verwaltungen“ bis zum Jahr 2030 etwa 5000 Arbeitsplätze abbauen und 6000 weitere Arbeitsplätze durch Ausgliederungen auf externe Dienstleister oder den Verkauf von Geschäftstätigkeiten überführen. Die eigenen Produktionskapazitäten will Thyssenkrupp Steel von 11,5 „auf ein Versandniveau von 8,7 bis 9,0 Millionen Tonnen“ senken. Geplant sind auch Lohneinschnitte.

Diese Zahlen seien trotz der Warnungen der vergangenen Monate in der Belegschaft „eingeschlagen wie eine Bombe“, meint Ali Güzel. Viele Beschäftigte hätten „einfach nicht glauben können oder wollen, dass es diese blutigen Pläne gibt“. Der Betriebsratsvorsitzende teilt gegen den Stahl-Vorstand heftig aus: Das Eckpunkte-Papier sei „amateurhaft, es zeigt mir, dass die nicht wissen, was sie tun“.

„Wer investiert hier 400 Millionen Euro, wer reitet ein totes Pferd?“

Was die Stahlarbeiter ärgert: Das Konzept des Vorstandes sehe vor, dass nach der Inbetriebnahme der Direktreduktionsanlage die Hochöfen 8 und 9 für immer heruntergefahren werden sollen – obendrein solle 2031 Hochofen 1, der „Schwarze Riese“ folgen. Für diese lange Laufzeit müsste er aber neu zugestellt werden, sagt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Olaf Vopel. Der Vorstand suggeriere, dass er das tut, „aber wer investiert hier 300 bis 400 Millionen Euro, wer reitet ein totes Pferd?“

Die Stimmung ist bei Betriebsratsmitglied Murat Sanli (links) und dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Olaf Vopel im Keller.
Die Stimmung ist bei Betriebsratsmitglied Murat Sanli (links) und dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden Olaf Vopel im Keller. © Annette Kalscheur

Der Vorstand habe darüber hinaus nur Ziele genannt, aber nicht erklärt, mit welchen konkreten Maßnahmen diese erreicht werden sollen, so Güzel: „Unseren Fragen sind sie ausgewichen.“ Darum hätten die Betriebsräte klargemacht, dass es aktuell keine Verhandlungsgrundlage gebe: „So setzen wir uns mit denen nicht zusammen.“ Erst müssten die „roten Linien vom Tisch sein“, bekräftigt der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Olaf Vopel. „Die roten Linien sind für uns: Es darf keine betriebsbedingten Kündigungen und keine Standort-Schließungen geben, und die Finanzierung muss stehen.“

Betriebsräte geben sich kämpferisch und organisieren Schlachtpläne

Vopel hält am Montagnachmittag mit Murat Sanli und anderen Betriebsräten die Stellung an Tor 1, am 127. Tag der Mahnwache dort. Im Zelt sitzen sie neben einem bollernden Ofen und entwerfen Schlachtpläne. Immer wieder geht einer raus, telefoniert, motiviert, organisiert. Sie klingen kämpferisch: „Ein Schlag ins Gesicht“ sei das, „psychologische Taktiererei mit den Ängsten der Mitarbeiter“, „wir müssen alle auf die Straßen kriegen“, rufen sie in die Handys.

Früher sei man anders mit ihnen umgegangen, sagt Murat Sanli, früher habe man lösungsorientiert zusammen gesessen. „Das wird jetzt nicht mal in Betracht gezogen, da wird einfach von oben diktiert“, ärgert er sich: „So geht man nicht mit Menschen um, so geht man nicht mit Stahlwerkern um.“

Vopel ärgert besonders, dass er und seine Kollegen alle Ängste mit in die Feiertage nehmen werden. Bis zu einer Zusammenkunft werde es Januar, ist er sich sicher. „Der neue Vorstand hat bestätigt, dass er der Handlanger von Lopez ist.“ Und ganz bitter für ihn und die anderen: Auch das soziale Herz des Unternehmens, die Beschäftigung altgedienter Stahlwerker in Werksschutz und Werkstätten, stehe vor dem Aus. „Das Soziale geht hier den Bach runter“, schimpft Vopel.

„Aber eigentlich wissen wir ja nichts“

Mitarbeiter, die auf dem Parkplatz in ihre Autos steigen Richtung Kleve und Recklinghausen, Oberhausen und Düsseldorf, wollen sich meist nicht äußern. Einer ist froh, dass es endlich neue Informationen gibt. „Wir wissen jetzt, wohin die Reise geht“, sagt er. Ganz neu seien die Infos ja nicht. Auf den Fluren der Verwaltung habe es keine großen Versammlungen gegeben. „Ich habe mich nur mit meiner Tischnachbarin unterhalten“, sagt ein anderer. „Aber eigentlich wissen wir ja nichts. Auch der Freundeskreis fragt, wie es mit uns weitergeht. Sagen kann ich nichts.“ Sein Kollege zuckt mit den Schultern: „Irgendwie wird es weiter gehen.“

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„Es sind genauso viele Fragen offen wie vorher“, ordnet Karsten Kaus, erster Bevollmächtigter der IG Metall Duisburg-Dinslaken, die neue Situation ein. „Wir kennen nur Ziele, aber nicht den Weg dorthin, keine konkreten Maßnahmen. Es fehlt ein Zukunftsplan, eine Vision.“ Für die Beschäftigten gehe die Hängepartie nun weiter.

Am Dienstagmorgen wird es eine Vollversammlung der Vertrauensleute geben, danach will der Betriebsrat an allen Werkstoren Infozelte aufbauen.

>> „Trifft uns hart und schockiert uns zutiefst“

Die Ankündigung des Konzerns „trifft uns in Duisburg hart und schockiert uns zutiefst“, kommentieren die SPD-Bundestagsabgeordneten Bärbel Bas und Mahmut Özdemir: „Mit dieser Verlautbarung macht die Arbeitgeberseite ernst, was wir lange befürchteten. Jeder einzelne verlorene Arbeitsplatz in der Stahlindustrie wäre ein harter Schlag für unsere Stadt.“ Die Bundestagspräsidentin und der Duisburger SPD-Chef versprechen: „Wir werden das Management von TKSE, die Stiftung, aber auch die Landesregierung an ihre Verantwortung erinnern.“

Bas und Özdemir fordern, dass die zwei Milliarden Euro Fördergelder von Bund und Land für die Zukunft des Stahls verwendet „und weitere eigene Investitionen getätigt werden – wie vom Konzern zugesagt“. Der Aufsichtsrat und die Stiftung sollten „dieses Handeln des Konzerns und seiner Verantwortlichen unverzüglich stoppen“. Es dürfen keine Entscheidungen geben, ehe das zweite Gutachten zur Zukunft der Stahltochter vorliegt. Es wird im Frühjahr erwartet.

Die Ankündigungen bestätigten „leider alle Befürchtungen, die im Sommer als gegenstandslos zurückgewiesen wurden“, kritisiert Felix Banaszak, Duisburger Bundestagsabgeordneter und Grünen-Chef. Die Abbaupläne gingen weit über die Planungen des früheren Stahl-Vorstands hinaus – und auch „über das, was aus meiner Sicht als Reaktion auf globale Überkapazitäten notwendig wäre. Mir ist nicht klar, wie dieser Abbauplan mit der Zusicherung einhergehen soll, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten.“

„Ich bin fassungslos über diese Entwicklung“, schreibt Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link am Montagabend auf Facebook zu den Plänen. Er verspricht: „Ich kämpfe weiter für jeden Arbeitsplatz in Duisburg, eine gerechte Bezahlung und eine gute, grüne Zukunft für die Stahlindustrie in unserer Stadt.“

Der geplante Stellenabbau treffe nicht nur Mitarbeiter und deren Familien schwer, sondern auch Zulieferer und Kunden, mahnt Stefan Dietzfelbinger, Hauptgeschäftsführer der Niederrheinischen IHK: „Stahl ist die Basis für Spitzentechnologie aus Deutschland. Er sichert bundesweit Hunderttausende Arbeitsplätze wie im Maschinen- und Anlagenbau.“ Dietzfelbinger fordert ein Sonderprogramm für Duisburg – einen „gemeinsamen Fahrplan von Bund und Land“ – und erinnert an die Ruhrkonferenz unter Leitung des Bundeskanzlers während des Arbeitskampfes in Rheinhausen in den 80ern.