Duisburg. Ein Wohnkomplex in Duisburg macht das Leben für die Nachbarschaft zum „Albtraum“. Einige Anwohner wollen wegziehen, für andere ist das unmöglich.
- Ein Viertel in Duisburg-Neumühl leidet unter den schlimmen Zuständen in und rund um einen Wohnkomplex.
- Das Quartier vermülle immer mehr. Die Nachbarschaft erträgt die Abwärtsspirale nicht mehr.
- OB Sören Link sagte den Bewohnern zu, sich in Begleitung des Polizeipräsidenten vor Ort mit ihnen zu treffen.
Ein ganzes Viertel leidet in Neumühl unter den schlimmen Zuständen in und rund um einen Wohnkomplex an der Otto-Hahn-Straße/Max-Planck-Straße. Seit anderthalb Jahren beobachten Mieter und Anwohner, dass Menschen aus Südosteuropa in die Wohnungen ziehen – illegal, wie alle vermuten. Seitdem vermülle das Quartier immer mehr. Anwohner beobachten Aktivitäten, die nichts Gutes verheißen. Sie werden bedroht und viele haben Angst, abends auf die Straße zu gehen.
Problemhäuser in Duisburg-Neumühl: Einige Nachbarn wollen nur noch weg von hier
Nicht nur für die wenigen alteingesessenen Mieter, die noch in den Häusern selbst wohnen, eine furchtbare Situation. Die gesamte Nachbarschaft ist in Mitleidenschaft gezogen. Einige Menschen ziehen weg oder planen einen Umzug, weil sie die Abwärtsspirale nicht mehr ertragen wollen.
„Ich suche händeringend nach einer neuen Wohnung“, erzählt eine Anwohnerin. „Ab Nachmittag ist hier nur Geschrei, das ist nicht auszuhalten.“ Immer wieder käme es zu lautstarken Auseinandersetzungen oder Schlimmerem. „Neulich hat eine Gruppe Männer einen Mann zusammengeschlagen. Da habe ich die Polizei gerufen.“
Die zählt den Wohnkomplex nicht zu den Kriminalitätshotspots der Stadt, berichtet in diesem Jahr von bisher 91 Einsätzen. Für die Anwohner fühlt sich das anders an. Sie berichten, dass täglich Transporter mit Unmengen Zeug be- und entladen werden. „Da werden dann zahllose Säcke in die Häuser geschleppt“, erzählt eine Frau, die von ihrer Wohnung freie Sicht auf den Komplex hat. Tachos würden auf offener Straße zurückgedreht, Nummernschilder munter zwischen Autos ausgetauscht.
Keller voller Fahrräder und auseinander gebauter Scooter entdeckt
Einem Anwohner wurde ein Scooter gestohlen. Er schaffte sich einen neuen an und versah ihn mit einem Tracker. Als auch dieser Scooter geklaut wurde, konnte er in einem Keller des Wohnkomplexes geortet werden. „In dem Keller haben wir außerdem schon auseinandergebaute Scooter und unzählige Fahrräder gefunden“, erzählt Frank Tacken. „Wir haben die Polizei gerufen, die den Keller ausgeräumt hat“, ergänzt der Anwohner.
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Weitaus Erschreckenderes haben die drei Kinder von Martina Mähling erlebt, fünf, neun und zehn Jahre alt. „Uns haben andere Kinder bedroht. Sie haben gesagt, wenn wir näherkommen, verprügeln sie uns“, sagt eine der Töchter. Ihre Mutter ist wütend: „Die stehen vor den Kindern und machen die Geste: Ich schneide Dir den Hals durch. Das muss man sich mal vorstellen, sowas machen kleine Kinder.“ Neulich sei eine Gruppe mit einem Golfschläger hinter Kindern hergerannt, weil sie deren Scooter haben wollten.
Mähling ist mit ihrer Familie und Hund Sandy vor zwei Jahren in die Gegend gezogen („Da war es hier ruhig.“) und will nur noch weg. „Wegen der Schule würden wir gerne in Neumühl bleiben. Aber wir finden einfach keine passende Wohnung. Wir suchen schon über ein Jahr.“ Die Familie fühle sich einfach nicht mehr sicher.
„Mir wurde schon hinterher gespuckt, die Kinder dieser Familien beleidigen uns.“ Wenn sie abends mit Sandy allein Gassi gehen muss, weil ihr Mann Nachtschicht hat, macht sie nur eine kleine Runde hinter dem Haus. „Meine Kinder haben Angst. Ich sage ihnen, sie sollen das nicht zeigen, denn dann ist es erst recht vorbei.“ Was die Mutter aktuell verstört: „Größere Kinder haben unsere Kinder mit dem Handy fotografiert.“ Warum? Sie hat keine Idee.
Anwohnerin: „Man sieht kaum noch Kinder auf der Straße herumtoben.“
Eine Frau, die in den aufwändig renovierten Häusern der Sahle Wohnen lebt, sagt: „Man sieht kaum noch Kinder auf der Straße herumtoben.“ Das sei mal anders gewesen. „Auch Erwachsene haben Angst, im Dunklen raus zu gegen, vor allem die älteren.“ Eine alte Dame würde sie immer mitnehmen, wenn sie den Müll wegbringt.
Die 53-Jährige denkt nicht daran umzuziehen, weil „die Hausgemeinschaft so toll ist.“ Aber wie alle ist sie der Meinung, dass endlich was passieren muss. „Ich beobachte, dass immer mehr Leute in den Wohnkomplex ziehen. Die kommen immer nachts.“ Das bestätigt Martina Mähling: „Es fahren dicke, teure Autos vor, die die Leute hier abladen.“
Wegziehen ist für Mieter ein möglicher Ausweg aus dem Albtraum. Für Eigentümer ist das keine Option: Sie leben in ihren eigenen vier Wänden. So wie Frank Tacken. Der 62-Jährige wohnt sein ganzes Leben lang in seinem Haus. „Wir leben mit drei Generationen unter einem Dach und vermieten Wohnungen.“ Tacken ist froh, dass seine Mieter ihm die Stange halten, allerdings traut er sich auch nicht, die Miete zu erhöhen. „Sie zahlen 4,23 Euro pro Quadratmeter. Reparaturen kann ich davon nicht stemmen. Dann berechne ich meinen Mietern eine Pauschale.“
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Dirk Mattler wohnt in einer Eigentumswohnung. „Wir haben Angst vor einem Wertverlust. Was bekommen wir für unsere Wohnung, wenn wir mal aus Altersgründen umziehen wollen?“ Eine 77- jährige Nachbarin sieht noch schwärzer. „Die Wohnungen sind unverkäuflich. Für mich ist am schlimmsten, dass die Autos so rasen und wir in Müll ersticken.“
Ein Ehepaar plagen gar Existenzängste. Es betreibt seit Jahrzehnten ein Geschäft, das für die beiden nicht nur eine Herzensangelegenheit, sondern auch eine Altersversicherung ist. „Wir hatten gute Zeiten. Aber jetzt fragt uns jeder Kunde, was denn hier bei uns los ist“, sagt der Mann. Und: „Unsere Kunden kommen seltener.“
Menschentrauben aus 20 Männern, lautstarke Unterhaltungen, Müll, öffentlich urinierende Kinder und Jugendliche, Raser, sichtbare Waffen. Das seien die Gründe. „Wir wollen das ignorieren, können es aber nicht.“ Das Paar fühlt sich in seinem Viertel nicht mehr wohl, fürchtet um sein „Lebenswerk“. Und sagt: „Es muss was passieren, die Situation hier kann jederzeit eskalieren.“
>> Situation an der Otto-Hahn-/Max-Planck-Straße: In der Politik bewegt sich etwas
- Ende Oktober hatten Mieter und Anwohner vor dem Rathaus protestiert. OB Sören Link sagte ihnen zu, sich in Begleitung des Polizeipräsidenten vor Ort mit ihnen zu treffen. Wie zu hören ist, soll der Termin in Kürze stattfinden.
- Sebastian Haak, SPD-Ratsherr für Neumühl, will nicht mehr länger tatenlos zusehen. „Ich möchte meinen Stadtteil vor Verwahrlosung schützen“, sagt er. Haak war mehrfach vor Ort und hat Kontakt zur MVGM, der Verwalterin des Wohnkomplexes. Am Montagmorgen bringt er MVGM, Vertreter des Eigentümers sowie der Stadtspitze im Rathaus an einen Tisch.
- „Meine Telefonate mit der Verwaltung waren positiv, aber man muss sich schon fragen, wie es überhaupt zu einer solchen Situation kommen konnte.“ Man hätte leere Wohnungen so sichern können, dass niemand einfach einziehen kann. De facto ist das Gegenteil der Fall: In dem Komplex gibt es beinahe keine funktionierende Haustür, auch viele Wohnungstüren sind aufgebrochen.
- Die Linke/SGU hat für die nächste Sitzung der Bezirksvertretung Hamborn am 21. November einen Prüfantrag zum Thema „Sicherheit und Sauberkeit am Wohnkomplex“ eingebracht. Darin wird die Stadt gebeten, Umweltamt und Wirtschaftsbetriebe vor Ort kontrollieren zu lassen und Verbesserungsmaßnahmen zu ergreifen.
- Auch deren Fraktionsvorsitzender Michael Boland, selbst Neumühler, kennt die Lage vor Ort. „Uns geht es unter anderem um Schrottfahrzeuge ohne Kennzeichen, die Öl verlieren. Außerdem locken die Müllberge Ratten an.“