Duisburg. Ihre Kinder gehen oft gar nicht zur Schule – mit Schulbescheinigungen holen sich die Eltern aber Kindergeld. So soll das System gestoppt werden.
Strenger und strikter will die Stadt Duisburg künftig gegen Schulabsentismus vorgehen. Im Blick hat sie dabei weniger jene Kinder, die tiefgreifende psychische Probleme haben, Mobbing erleiden oder Überforderung verspüren und deshalb den Unterricht schwänzen. Es geht vor allem um jene, die womöglich nicht mal mehr in Duisburg wohnen und die nur an der Schule angemeldet wurden, damit die Familien Kindergeld beziehen können. Gegen diesen Betrug will die Stadt Duisburg jetzt mit einem neuen Projekt angehen.
So oder so, die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die monatelang nicht zur Schule kommen, hat „eine neue Dimension“ erreicht, heißt es in einer Vorlage der Stadtverwaltung, die am Freitag im Schulausschuss vorgestellt werden soll. Duisburger Schulen berichten, dass die Fehlzeiten seit Ende der Corona-Einschränkungen enorm und kontinuierlich steigen. Trotz Schulpflicht.
Schulabsentismus: Zahl der Bußgeldverfahren verdoppelt
Von 2020 bis 2022 hat sich die Zahl der Bußgeldverfahren verdoppelt. 2022 waren es 1000 Verfahren allein an Grund-, Haupt- und Förderschulen, zählt das Bildungsdezernat der Beigeordneten Astrid Neese auf. Wirklich aussagekräftig sei das aber nicht, die Dunkelziffer sei weit höher.
Schulen würden das aufwendige Bußgeldverfahren oft gar nicht erst einleiten. Denn Familien, die Sozialleistungen beziehen, können die Bußgelder nicht tragen, die Erfolglosigkeit sei in solchen Fällen also absehbar. Und die Zahlen der Gesamtschulen und Gymnasien sind nicht mal berücksichtigt, weil diese unter der Aufsicht der Bezirksregierung Düsseldorf liegen.
Steigende Jugendkriminalität durch Bildungsdefizite
Während es für Kinder, die aus gesundheitlichen Gründen die Schule verweigern, vielfältige Schulalternativen gibt, Projekte und Maßnahmen auch für die Familien, zielt das Projekt der Stadtverwaltung explizit auf jene, deren Kinder sich „vermutlich auch nur zeitweise in Duisburg aufhalten und/oder eine sehr hohe unentschuldigte Fehlquote aufweisen. Pädagoginnen und Pädagogen stehen vor neuen Herausforderungen, da ein kontinuierlicher Unterricht und das Erreichen von Basiskompetenzen unmöglich sind.“
Aus den Fehlzeiten ergeben sich Folgeprobleme, zählt das Team Neese auf: Durch Bildungsdefizite oder eine gescheiterte Bildungsbiografie entstehe soziale Isolation, steigende Jugendkriminalität sei nicht auszuschließen. Wegen der hohen Fehlzeiten und ohne Schulabschluss seien Ausbildung oder Berufstätigkeit nur schwer zu schaffen.
Neues Projekt will Schulpflichtverletzungen reduzieren und sanktionieren
Um Kindern verstärkt die Teilnahme am Schulunterricht zu ermöglichen bzw. um die Schulpflicht durchzusetzen, haben sich das Dezernat für Bildung, das Jugendamt und das Ordnungsamt nun zusammengetan für ein abgestimmtes, systematisches und verschärftes Vorgehen.
Wie man künftig Schulpflichtverletzungen reduzieren, aber auch sanktionieren kann, erarbeiten derzeit vier Arbeitsgruppen. Erste Ergebnisse sind zum Teil schon in der Erprobung:
- Ordnungsrechtliche Maßnahmen: Um Bußgeldverfahren schneller bearbeiten zu können, soll es in der Behörde eine zusätzliche Stelle geben. In Absprache mit dem Jugendamt sollen zusätzlich auch Zwangsgelder durchgesetzt werden. Und schließlich soll der Ermittlungsdienst eingesetzt werden, wenn z.B. Briefe zurückkommen oder Kinder beim verpflichtenden Sprachstandtest nicht auftauchen. Fälschungssichere Schulbescheinigungen, die schon 2021 als nötig befunden wurden, seien nun in Arbeit, verspricht die Stadt.
- Sozialleistungsbetrug: Schulen sollen über eine zentrale Mailadresse Hinweise geben können, wenn ein Schüler länger fehlt. Geplant ist ein besserer (datenschutzkonformer) Datenaustausch zwischen Einwohnermeldeamt, Jobcenter, Familienkasse und Ordnungsamt, um schnellstmögliche Abmeldungen möglich zu machen.
- Innerschulische Abläufe: Entwickelt werden klare Verfahrensschritte für die Schulleitungen, die so Schulamt und Bezirksregierung, aber auch Familienkasse und Einwohnermeldeamt informieren können. Helfen sollen verkürzt gültige Schulbescheinigungen.
- Integration und Beratung: Geplant ist Aufklärung in Beratungsstellen, bei Migrantenorganisationen und Vereinen über die Folgen des Schulabsentismus, ein mehrsprachiger Flyer ist in Arbeit.
„Nicht die Jugendlichen sind das Problem, sondern die Eltern“
„Nicht die Jugendlichen sind das Problem, sondern die Eltern“, betont Torsten Marienfeld, Schulformsprecher der Förderschulen. Er ist bereits dazu übergegangen, Schulbescheinigungen in Einzelfällen nicht für ein ganzes Jahr, sondern nur monatsweise auszustellen. Da das Jobcenter involviert ist, seien die Eltern dadurch gezwungen, ihre Kinder regelmäßiger zu bringen. Das erhöhe die Chance, diese an die Schule zu binden, sagt der Schulleiter.
Der Kindergeldbetrug sei ein Ärgernis, weil auf der einen Seite Gelder unrechtmäßig abgegriffen werden, auf der anderen Seite Schulplätze belegt werden, die dringend gebraucht werden. „Wir begrüßen das neue Projekt. Wenn es greift, gibt es uns Kapazitäten, uns um die zu kümmern, die aus anderen Gründen fehlen“, so Marienfeld.
Julia Leiß, designierte Schulleiterin der Justus-von-Liebig-Schule in Hamborn, sagt, dass an den Fehlzeiten zu sehen sei, welchen Stellenwert Schule in der jeweiligen Kultur habe. Ihre drei Schulsozialarbeiter machen zwar regelmäßig Hausbesuche, erreichen aber dennoch nicht jeden. „Wer nur Versagen erlebt, wer sich nur überfordert fühlt, mit der Sprache, mit dem Lernen, den verliert man“, bedauert sie.
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>>MIT GROSSRAZZIEN GEGEN SOZIALLEISTUNGSBETRUG
- Um möglichen Sozialleistungsbetrug aufzudecken, werden regelmäßig Razzien von Stadt, Polizei und Staatsanwaltschaft durchgeführt. Kindergeld spült Familien im Schnitt 3000 Euro pro Jahr in die Haushaltskasse.
- Zuletzt wurden am Erlinghagenplatz in Duisburg-Friemersheim Familien überprüft, die 173 Kinder angemeldet hatten. 51 von ihnen wurden genauer kontrolliert. Da einmal gewährtes Kindergeld ohne strenge Prüfmaßstäbe bis zum 18. Lebensjahr weiter gezahlt wird, konnte hier die Auszahlung von über einer halben Million Euro verhindert werden.