Thyssenkrupp Steel und HKM: Wie die Zitterpartie weitergeht
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Duisburg. Der Aufsichtsrat von Thyssenkrupp Steel hat am Freitag nicht über ein Zukunftskonzept entschieden. Warum die Zitterpartie noch Monate dauern kann.
Der 9. August, so hieß es vor der Sitzung des Aufsichtsrats von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), werde zum „D-Day“ für die Zukunft des Stahlkonzerns, seiner Standorte und die 27.000 Beschäftigten in NRW. Doch es sollte nur ein weiterer Akt im Drama werden, das wohl noch monatelang andauern wird, ehe über den Weg für den Stahl und die Arbeitsplätze entschieden ist.
300 Holzkreuze vor der Duisburger TKSE-Hauptverwaltung
Dieser Freitag, an dem ein kräftiger Wind dunkle Wolken über die Hauptverwaltung von Thyssenkrupp Steel in Duisburg-Bruckhausen bläst, ist voller Symbolik. Die IG Metall, in Jahrzehnten kampferprobt wie die Stahlkocher selbst, hat schon am Donnerstagabend die Bühne bereitet: 300 Holzkreuze auf die Wiese gestellt und ein 10x60 Meter großes Banner – „Rote Linie“ steht darauf.
Vor dem Werkstor 1 gegenüber der Verwaltung steht eine Mahnwache – nun seit fast drei Wochen. Bei frischem Kaffee stimmt man sich hier auf einen harten und langen Kampf um Jobs, Anlagen, Standorte ein. Das Zelt ist Nachrichtenbörse, der Ort für Solidaritätsbesuche.
Auch Sigmar Gabriel war Anfang dieser Woche bereits da. Der Aufsichtsratsvorsitzende, ein SPD-Chef, Minister und Vizekanzler, ist seit Jahrzehnten im politischen Geschäft, kennt die Choreografie von Arbeitskämpfen.
Stahlsparte ringt um eine Zukunft mit grünem Stahl
Die Mahnwache ist mehr als die bei Tarif-Auseinandersetzungen übliche Gewerkschaftsfolklore. Sie bedeutet: Jetzt wird‘s ganz eng. Das Bild vom „Endspiel“ wird gern bemüht, wo doch die Stahlkocher um den Einzug in die nächste Runde ringen, um einen Technologiewechsel für eine Zukunft mit einer klimafreundlichen Produktion.
Doch mittlerweile ist die Aufbruchstimmung, förmlich greifbar nach der Entscheidung für den Bau der ersten Direktreduktionsanlage, der Ernüchterung gewichen. Die Geschäfte der Konzernmutter laufen schlecht, die Stahltochter ringt mit Überkapazitäten, Dumping-Preisen der chinesischen Konkurrenz und der schwachen Nachfrage der Auto-Industrie. Schon seit fünf Jahren, berichtet am Vorabend der Betriebsratsvorsitzende Ali Güzel, produzieren die vier Hochöfen in Hamborn/Beeckerwerth kaum zehn der möglichen 11,5 Millionen Tonnen.
Betriebsräte: Belegschaft und ihre Familien haben Angst
„Die Belegschaft und ihre Familien haben Angst“, sagt Hakan Koç. Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) führt einen Motorradkorso vom Hüttenwerk im Duisburg Süden vor die Hauptverwaltung im Stadtnorden. Auch die 3000 Beschäftigten bangen um die Zukunft. Thyssenkrupp, Mehrheitseigner mit 50 Prozent, verhandelt mit der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners über einen Verkauf. Gelingt er nicht, droht die Schließung.
Fackel der Solidarität wird übergeben
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Die Biker bringen die „Flamme der Solidarität“. Die Fackel wurde in den vergangenen Wochen von Werk zu Werk getragen. Doch hier ist nicht Olympia, hier geht‘s nicht um Gold und Silber, sondern um die Frage: Mit welchem industriellen Konzept kann es eine Zukunft für ein selbständiges Gemeinschaftsunternehmen von Thyssenkrupp und dem tschechischen Milliardär Daniel Kretinsky geben, der persönlich an der Sitzung des Aufsichtsrats teilnimmt. Seine kürzlich vereinbarte 20-Prozent-Beteiligung soll auf 50 Prozent ausgeweitet werden.
Arbeitnehmervertreter: Kritik an Stiftungschefin Ursula Gather
Sigmar Gabriel macht am Morgen kurz halt bei der Mahnwache und verspricht: „Wir kommen vor der Sitzung runter.“ Wir, das sind die Arbeitnehmervertreter im Gremium: Detlef Wetzel, einst Chef der IG Metall, Tekin Nasikkol, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats, auch Arbeitsdirektor Markus Grolms ist dabei.
Detlef Wetzel macht klar, was sich bereits am Donnerstagabend andeutete. Ein mögliches Konzept für eine neue Struktur von Thyssenkrupp Steel stellt Vorstandschef Bernhard Osburg zwar in der Sitzung vor, Entscheidungen fallen nicht. „Wir sprechen erst über Restrukturierung, wenn die Finanzierung geklärt ist“, betont Wetzel, „die Rechnung muss die AG bezahlen.“
Wie Ali Güzel kritisiert Detlef Wetzel die Haltung von Ursula Gather, die Chefin der Krupp-Stiftung. Die „Heilige vom Hügel“, wie Wetzel sie nennt, müsse sich zur Sozialpartnerschaft bekennen und sich hinter die Belegschaften stellen.
Gutachten zur Höhe der Finanzspritze für die Stahltochter
Über die Höhe der „Mitgift“ für die Verselbstständigung von TKSE streiten Konzernchef Miguel López, der 2,2 Milliarden Euro für ausreichend hält, und Stahlchef Osburg, der den Bedarf auf 3,6 Milliarden Euro beziffert. Auf 4,2 Milliarden Euro kommt die Unternehmensberatung Roland Berger, die im Auftrag des Betriebsrats kalkuliert hat.
Zu einer gemeinsamen Zahl soll nun ein sogenanntes IDW-S6-Gutachten führen, auf dessen Beauftragung sich der Aufsichtsrat verständigte. Ergebnisse dürften frühestens in einigen Monaten zu erwarten sein. Gleiches gilt für den Einstieg eines Investors bei den Hüttenwerken Krupp-Mannesmann. Auch bei der HKM stehen Kosten in Milliardenhöhe für die Transformation an. Die Gespräche mit CE Capital Partners stehen am Anfang, der Ausgang ist ungewiss.
Betriebsräte: Thyssenkrupp Steel und HKM kämpfen gemeinsam
Betriebsbedingte Kündigungen für einen möglichen Arbeitsplatzabbau hat Thyssenkrupp ausgeschlossen. Kein Grund zur Freude, aber es gibt ein wenig Sicherheit in ungewissen Zeiten. Die Belegschaften richten sich auf einen langen Kampf ein. „Wir werden nicht zulassen, dass man uns gegeneinander ausspielt“, betonen Ali Güzel und Marco Gasse, Betriebsratschef der HKM. „Um jeden Arbeitsplatz kämpfen wir gemeinsam.“
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