Duisburg. Die Angst vor der Insolvenz ist bei der Belegschaft von Thyssenkrupp Steel „real“. Darum ging es bei einem Geheimtreffen in Düsseldorf.
In der Sitzung des Aufsichtsrates von Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) ist noch keine Entscheidung über ein Konzept für die Zukunft der Standorte gefallen. Zunächst sollen unabhängige Gutachter klären, wie hoch die „Mitgift“ der AG für eine Verselbständigung der Stahlsparte sein muss.
Bevor Fragen der Finanzierung und des geplanten Verkaufs der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) nicht geklärt sind, werde es auch keine Entscheidungen über einen möglichen Arbeitsplatz-Abbau geben, betonte der Aufsichtsratsvorsitzende Sigmar Gabriel nach der Sitzung.
Der Weg der Aufsichtsräte zur Sitzung in der Hauptverwaltung in Bruckhausen führte vorbei an 300 Holzkreuzen und ebenso vielen Grablichtern sowie einem 60 x 10 Meter großen Plakat mit der Aufschrift: Rote Linie. Die Warnung geht an Konzernchef Miguel López – ein Sarg mit seinem Bild stellt ihn als Totengräber von TKSE dar.
Er nahm ebenso an der Sitzung teil wie Daniel Kretinsky. Der tschechische Milliardär hatte sich unlängst mit der Thyssenkrupp AG auf die Übernahme von 20 Prozent der Anteile an TKSE verständigt, mit der Option, die Beteiligung auf 50 Prozent auszudehnen. Ziel ist die Bildung eines Gemeinschaftsunternehmens mit Kretinskys EP Corporate Group (EPCG).
Thyssenkrupp Steel: Treffen in Düsseldorfer Staatskanzlei
In dieser Woche hat sich offenbar auch NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) eingeschaltet. In der Düsseldorfer Staatskanzlei habe es ein Gespräch mit Vorstandschef Miguel López gegeben, an dem auch Markus Grolms, Arbeitsdirektor von Thyssenkrupp, teilgenommen habe. Wüst habe López aufgefordert, gemeinsam mit der Arbeitnehmerseite nach tragfähigen Lösungen zu suchen, hieß es.
Streit um Summe für die Transformation
Am Rande der „Guerilla-Aktion“ von Vertrauenskörper und IG Metall am Donnerstagabend erklärte der Betriebsratsvorsitzende die Hintergründe der Verständigung auf ein sogenanntes IDW-S6-Gutachten, dessen Beauftragung der Aufsichtsrat am Freitag beschlossen hat.
Die Expertise soll Wege die Sanierungs- und Zukunftsfähigkeit von Thyssenkrupp Steel aufzeigen sowie die Höhe des Beitrags ermitteln, den die AG seiner Stahltochter für Verselbständigung und Transformation für die ersten fünf Jahre ab 2026 mit auf den Weg geben muss.
Über die Höhe dieser Summe streiten AG-Vorstandschef López und der Steel-Vorstandsvorsitzende Bernhard Osburg, Ali Güzel nennt Zahlen: Der Konzernchef halte 2,2 Milliarden Euro für ausreichend, Osburg beziffere den Bedarf auf 3,6 Milliarden Euro. Auf 4,2 Milliarden Euro seien die Berater von Roland Berger gekommen, berichtet Güzel. Dort hatte der Betriebsrat eine eigene Untersuchung in Auftrag gegeben.
Auch interessant
Mehrere Monate werden wohl vergehen, bis das S6-Gutachten vorliegt. Vorher werden es auch noch keine Festlegung auf ein industrielles Zukunftskonzept, Entscheidungen über Standorte und möglichen Abbau von Abbauplätzen geben, vermutet Ali Güzel: „Wir kennen das Konzept noch nicht.“
Entscheidung bei HKM wird noch dauern
Auch eine Entscheidung über die Zukunft der Hüttenwerke Krupp-Mannesmann (HKM) wird noch Monate dauern. Wie berichtet, verhandelt TKSE als 50-Prozent-Gesellschafter mit der Hamburger Beteiligungsgesellschaft CE Capital Partners über einen Verkauf.
Rund zwei Millionen Tonnen Stahl, die HKM pro Jahr an TKSE liefert, wären nach einem Verkauf nicht mehr Teil des künftigen Mengengerüsts. Wegen des unterschiedliche Produktportfolios würde die Hütte im Stadtsüden zwar nicht zu Konkurrenten von Thyssenkrupp Steel, sie fiele allerdings als Lieferant der sogenannten „schmalen Bramme“, das TKSE in seinem Werk in Hohenlimburg zu warmgewalztem Mittelband verarbeitet, aus.
- Die WAZ-Lokalredaktion Duisburg hält Sie auch hier auf dem Laufenden: zum WhatsApp-Kanal +++ Duisburg-Newsletter gratis ins E-Mail-Postfach schicken lassen +++ WAZ Duisburg bei Instagram +++ WAZ Duisburg bei Facebook
Weil diese Brammen im Duisburger Norden nicht produziert werden, könnte Thyssenkrupp das profitable Werk ebenfalls zum Verkauf stellen, um Geld in die klammen Kassen zu spülen, befürchtet der Duisburger Betriebsrat.
„Das würde es uns erschweren, in die Gewinnzone zu kommen, von der wir aktuell weit entfernt sind“, sagt Ali Güzel.
Reduzierung der Produktion um 2 Millionen Jahrestonnen
Die angekündigte Reduzierung der Produktion von 11,5 auf 9,5 Millionen Jahrestonnen sei lediglich eine Anpassung an die Realität, so der Betriebsratschef weiter: „In den vergangenen fünf Jahren sind wir nur einmal über 10 Millionen Tonnen gekommen.“ Der Weg in eine profitable Zukunft ohne die Konzernmutter ist deshalb schwierig. Allein für Investitionen (500 Millionen Euro), Pensionen und Transformation (jeweils 250 Millionen Euro) fallen pro Jahr eine Milliarde Euro Kosten an, die den Gewinn schmälern.
Auch der Konzern wird sich schwertun, seinen Beitrag zur Ausgliederung des Stahls zu leisten. Deshalb wächst die Angst vor einer Insolvenz von TKSE. Weil durch den Einstieg von Kretinsky zum 30. September automatisch der Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag endet, muss die AG ihre Tochter nicht mehr finanzieren.
Auch interessant
„Das kann unser Sargnagel sein“, hatte der stellv. Betriebsratsvorsitzende Olaf Vopel bereits vor Wochen gewarnt. Für Erleichterung sorgte deshalb die Nachricht, dass sich der Aufsichtsrat am Freitag grundsätzlich auf einen Finanzplan für die kommenden 24 Monate verständigt, der die Zahlungsfähigkeit von TKSE bis zur möglichen Trennung von der Konzernmutter sichert.