Duisburg. Bei der Siegesfeier zur Türkeiwahl waren nationalistische Lieder zu hören, viele zeigten den Wolfsgruß. Sind die Duisburger Türken rechtsextrem?

Mittel- und Ringfinger sind auf den Daumen gepresst, Zeigefinger und kleiner Finger in die Höhe gereckt. Es ist das Symbol für die türkische Rechte, für die Grauen Wölfe, die Ülkücü-Ideologie. Wer Kinder hat, könnte an den Leisefuchs erinnert sein. So charmant ist der Wolfsgruß aber nicht: Bei der Siegesfeier nach der Stichwahl in der Türkei wurde das Handzeichen in Duisburg-Hamborn hundertfach gezeigt. Sind all diese Menschen rechtsextrem?

Wir fragen nach bei Caner Aver von der Stiftung Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung der Uni Duisburg-Essen. Er erklärt: Das Handzeichen ist ein Gruß der nationalistischen Ülkücü-Bewegung, der in Deutschland von grob drei Gruppen verwendet wird:

  • Da seien zum einen jene, die affin für Nationalismus sind und ihn aus Trotz auf deutsche Medien nutzen, weil diese vor der Wahl kritisch über Erdogan berichtet haben.
  • Eine weitere Gruppe sei selbst nationalistisch eingestellt und nutze den Wolfsgruß aus Überzeugung.
  • Die dritte Gruppe sei extremistisch und auch gewaltbereit.

Türkischstämmige Jugendliche in Duisburg: Nationalisten bieten emotionalen Heimathafen

Caner Aver vom Zentrum für Türkeistudien hätte nach den Siegeszügen Stellungnahmen der Duisburger Politik erwartet.
Caner Aver vom Zentrum für Türkeistudien hätte nach den Siegeszügen Stellungnahmen der Duisburger Politik erwartet. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Weltweit sei ein Rechtsruck zu beobachten, nach Italien oder Frankreich sei das nun auch in der Türkei so, erklärt Aver. Jugendliche mit türkischen Wurzeln, die sich in Deutschland ausgegrenzt fühlen, hätten durch Nationalisten einen emotionalen Heimathafen gefunden, einen Anker.

Ihre Familien stammen teilweise aus ländlichen Regionen der Türkei, die sehr konservativ, religiös oder nationalistisch geprägt sind. Diese Haltung werde über Generationen weitergegeben, sagt Aver, seit den 1970er Jahren werde die nationalistische Ideologie um den Islam ergänzt.

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Um zu verhindern, dass sich der türkische Nationalismus weiter verbreitet, sei es wichtig, migrantischen Jugendlichen mehr Angebote zu machen.

Die hohe Wahlbereitschaft in Deutschland zeige, dass es ein hohes Maß an politischem Interesse gebe, das müsse dorthin gelenkt werden, wo die Menschen ihren Lebensmittelpunkt haben. Die doppelte Staatsbürgerschaft könne das künftig begünstigen.

Wissenschaftler fordert: Mehr politische Bildung in Schulen

Die Mehrheitsgesellschaft müsse viel stärker darauf schauen, was es heißt, in einer „transnationalen Lebenswelt“ zu Hause zu sein, sich mehr mit „hybriden Identitäten“ auseinandersetzen, glaubt der wissenschaftliche Mitarbeiter des Zentrums für Türkeistudien.

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In Schulen müsse es zudem mehr politische Bildung geben: „Was in den deutschen Schulen an Demokratie-Förderung stattfindet, ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein“. Es reiche nicht, Gesellschaftspolitik zum Wahlfach zu machen.

Ist jeder rechtsextrem, der den Wolfsgruß zeigt?

Sind die Jugendlichen, die auf offener Straße den Wolfsgruß zeigten, rechtsextrem? Nicht alle, schränkt Aver ein. Es gebe auch den damit verbundenen Atatürk-Nationalismus, den Kemalismus, der anstelle der Religion als Ordnungssystem im Osmanischen Reich eingeführt wurde und die türkische Nationalität unabhängig der Herkunft hervorhob.

„Unter dem Symboltier Wolf versammeln sich alle Nationalisten, die sich auch teilweise abgrenzen und provokativ sind“, erklärt der Politikwissenschaftler. „Sie sehen sich selbst nicht in einer fragwürdigen Position, dabei vergessen sie, dass in Deutschland Nationalismus ein sensibles Thema ist.“

>>WEITERE HANDZEICHEN UND WAS SIE BEDEUTEN

  • Vier Finger: In Duisburg haben viele während des Umzugs vier Finger hochgehalten und den Daumen auf den Handballen gedrückt. Das ist die sogenannte R4bia-Hand, die ursprünglich ein Symbol für die Muslimbruderschaft war und während der Staatskrise 2013 in Ägypten etabliert wurde.
  • Da Recep Tayyip Erdoğan dieses Zeichen häufig nutzt, um seine Verbundenheit mit der arabisch-muslimischen Welt zu zeigen und sich von der christlichen Hemisphäre abzugrenzen, nutzen ihn auch viele nationalistisch geprägte Türken.
  • Ein Finger: Der Tauhid-Finger wird von Anhängern des politischen Islam benutzt sowie von jenen des Islamischen Staates. Der Fingerzeig bedeutet sinngemäß „Es gibt keinen Gott außer Allah“.
  • Weitere Infos über den türkischen Rechtsextremismus gibt es auf der Webseite des Verfassungsschutzes, unter www.verfassungsschutz.de.