Düsseldorf. Der Rat der Konfessionsfreien ist sogar glücklich über die Entwicklung. Düsseldorfs Kirchenverbände sehen das anders. So äußern sie sich.

Die Kirche hat schon seit einigen Jahren mit einer erhöhten Zahl an Austritten zu kämpfen. Im vergangenen Jahr waren es rund 900.000 (520.000 katholische, 380.000 evangelische) Menschen, die ihren Gemeinden den Rücken gekehrt haben. Allein in Düsseldorf sind laut Amtsgericht in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bereits über 4500 weitere Personen aus der Kirche ausgetreten (rund 2800 katholisch, 1790 evangelisch).

Der Zentralrat der Konfessionsfreien fordert nun politische Konsequenzen aufgrund dieser Entwicklung. Die erneuten Rekorde seien nicht nur berechtigte Reaktionen auf sexuelle Verbrechen der Kirchen, sondern auch ein lauter Ruf nach der Abschaffung kirchlicher Sonderrechte, sagt der Vorsitzende Philipp Möller. „Fast 2500 Kirchenaustritte pro Tag sind ein unüberhörbarer Ruf nach konsequent säkularer Politik.“

Konfessionsfreie fordern weniger Privilegien für die Kirche

So fordert der Zentralrat unter anderem eine ernsthafte Debatte über die Kirchensteuer, außerdem dürfe die Säuglingstaufe nicht länger als wirksamer Beitritt zu einer Religionsgemeinschaft gelten. Der Kirchenaustritt hingegen müsse auch ohne staatliche Behörde ermöglicht werden. „Ohne solche Privilegien kämen wir der realen Zustimmung zu den Kirchen erheblich näher“, erklärt Möller. „Es ist in Deutschland längst nicht mehr normal, religiös zu sein. Immer mehr Menschen entscheiden sich für ein Leben in Konfessionsfreiheit – diesem kulturellen Wandel muss ein politischer Wandel folgen“, meint der Ratsvorsitzende.

Beate Plenkers-Schneider, Geschäftsführerin der katholischen Kirche Düsseldorf, findet die Entwicklung „besorgniserregend, auch in Bezug auf das, was auf unsere Gesellschaft zukommt. Kirche ist nicht nur negativ.“ In Zukunft würde Geld für die Sozialdienste der Kirchen wegfallen, „das merken wir erst in den nächsten Jahren“, betont Plenkers-Schneider. Die hohe Anzahl der Austritte sieht Plenkers-Schneider vor allem dem Umgang mit dem Missbrauchsskandal geschuldet. „Da muss sich die Kommunikation in der Kirche deutlich besser darstellen, aber es passiert auch etwas. Wir müssen zeigen, dass wir nicht untätig sind.“

Aussitzungstaktik des Papstes „unbefriedigend“

Zum Rücktrittsangebot von Kardinal Woelki, das Papst Franziskus seit mittlerweile bald anderthalb Jahren noch nicht beantwortet hat, meint die Katholikin: „Alles, was mit Verwaltungsakten zu tun hat, dauert länger, das ist in allen Bereichen so, aber die Situation ist natürlich unbefriedigend.“ Generell gehe der Verdruss der Menschen über die Kirche „nach oben. In den Gemeinden wird gute Arbeit geleistet und das erkennen die Leute auch an.“

Heike Schneidereit-Mauth, evangelische Pfarrerin und als Skriba Mitglied des Kreissynodalvorstands, sieht die vielen Kirchenaustritte „mit großer Sorge und Betroffenheit, allerdings tun wir das schon lange“. Bereits 2021 habe die evangelische Kirche eine Bürgerbefragung zum Thema „Glaube in der Stadt“ durchgeführt. Dabei sei herausgekommen, dass die Menschen viel von der Kirche erwarten, aber oft gar nicht wüssten, was die Kirche alles macht.

Kommunikationsproblem über die Angebote der Kirche

„Wir haben an der Stelle ein Kommunikationsproblem, viele Menschen sind erstaunt, wenn ich ihnen erzähle, welche Hilfs- und Beratungsangebote wir als Kirche haben“, sagt die Seelsorgerin. Sie glaubt nicht, dass generell der Glaube bei den Menschen nachgelassen habe, sondern die Menschen nicht genug über die Kirche wissen.

„Es geht darum die Kirche wieder sichtbar zu machen. Keine andere gesellschaftliche Gruppe bindet so viele Menschen“, meint Schneidereith-Mauth. Die Forderungen der Konfessionsfreien findet die Pfarrerin „undifferenziert. An einigen Stellen sollten sie noch einmal über ihre Argumentation nachdenken.“

„Die Kirche muss sich umorientieren“

Ricarda Hinz, Vorstandsmitglied beim Düsseldorfer Aufklärungsdienst, der Mitglied bei den Konfessionsfreien ist, sieht die Austritte mit Wohlwollen: „Die Kirche muss sich umorientieren, wenn sie weiter existieren möchte. Sie ist wahnsinnig privilegiert, einige Gesetze sind extrem obsolet und wir organisieren uns dagegen“, betont Hinz.

„Wir sind hoffnungsvoll, dass einige unserer Forderungen umgesetzt werden, aber wir müssen dicke Bretter bohren. Die Machtstrukturen in der Kirche sind gewaltig und die werden sie so schnell nicht aufgeben.“ Die Situation um Woelki bezeichnet Hinz als „Drama. Da sieht man, was passiert, wenn die falschen Personen zu viel Macht haben.“

Caritas bangt um Gelder zur Unterstützung der Sozialarbeit

Der Düsseldorfer Caritas-Direktor Henric Peeters „beobachtet die Lage ebenfalls mit viel Sorge. Die Caritas wird gerne als die ,Außenhaut der Kirche’ bezeichnet, da wir mit vielen Menschen in Berührung kommen. Wir machen viel soziale Arbeit, die von den Menschen auch anerkannt wird.“ Es sei „skandalös, was da in Sachen Missbrauchsskandal und deren Aufklärung beziehungsweise Nicht-Aufklärung passiert, aber das ändert nichts an meinem Glauben“, betont Peeters.

Auf lange Sicht könnten die vielen Kirchenaustritte für die Caritas zur Folge haben, dass die jährlich ausgeschütteten Steuerzuweisungen geringer ausfallen „und wir dann gucken müssten, wie wir eigene Mittel generieren, aber im nächsten oder übernächsten Jahr wird das noch nicht der Fall sein“, meint der Vorstandsvorsitzende.