Düsseldorf. Die lückenlose Aufarbeitung des Missbrauchsskandals und modernere Gemeindearbeit sollen die Kirchen in Düsseldorf attraktiver machen.
Wenn der Stadtdechant der katholischen Kirche in Düsseldorf sagt: „Die Zeit der Volkskirche ist vorbei“, dann blickt Frank Heidkamp auf eine negative Entwicklung für die Kirchen- und Gemeindearbeit in der Stadt. „Diese Entwicklung hat aber schon lange vor der Debatte um den Missbrauchsskandal begonnen“, sagt der katholische Geistliche. Dazu würden auch Themen wie die Stellung der Frauen in der Kirche, der Umgang mit Sexualität und Zölibat sowie die Machtfrage im System Kirche für die große Zahl der Austritte zuletzt eine Rolle spielen.
Superintendent Heinrich Fuchs spricht zudem die zunehmende Individualisierung der Gesellschaft als einen weiteren Grund an. „Es ist aber auch ein kommunikatives Desaster, wie mit der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals umgegangen wurde“, sagt der leitende Geistliche der evangelischen Kirche in Düsseldorf und spricht damit dieses Problem für beide Kirchen an. „Das muss überall aufgearbeitet werden. Wir sind an diesem Thema dran, darüber bin ich sehr froh“, sagt Fucks ganz deutlich. „Es ist ein Frage der Ehre, dass wir das nicht versauen.“
„Vertrauen zurückzugewinnen, ist sehr schwer“
Die Austrittszahlen des vergangenen Jahres – 2022 haben nach Zahlen des Amtsgerichtes Düsseldorf 6019 Katholiken ihren Austritt erklärt – spiegeln aber auch die aktuelle Krise der katholischen Kirche wieder. Viele Katholiken halten die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle für unzureichend. Hinzu kommt die unklare Lage an der Spitze des Erzbistums Köln. „Wenn einmal Vertrauen zerstört ist, ist es unendlich schwer, dieses zurückzugewinnen“, erklärt Frank Heidkamp.
Nur durch hohe Transparenz und Offenheit im System Kirche, Ehrlichkeit und dem Eingeständnis von Fehlern, durch Seelsorgerinnen und Seelsorger, die den Menschen zugewandt und Hörende sind, werde es möglich sein, Menschen zurückzugewinnen. „Dies wird aber eventuell Generationen dauern.“
Dass dies nicht leicht wird, bestätigt Heinrich Fucks, der eine Veränderung in der Gesellschaft als einen Grund dafür sieht. Die Aufgabe, den Glauben in die nächste Generation zu geben, wird nicht mehr gesehen. „Die Eltern und Großeltern leben ihren Kindern und Enkeln das religiöse Leben nicht mehr vor“, sagt er.
Es werde nicht mehr gemeinsam gebetet oder Gottesdienste besucht. „Viele Menschen sind auch in finanzielle Nöte gekommen. Sie glauben zwar noch, aber sehen als Möglichkeit den Austritt und damit das Einsparen der Kirchensteuer.
Öffentlich angebotene Seelsorge kann ein neuer Weg sein
„Viele Menschen haben mit der Institution Kirche abgeschlossen. Kirche und ihr Leben haben nichts mehr miteinander zu tun sagt Frank Heidkamp. „Glaube ja, Kirche nein, ist da die Devise.“ Gefragt seien nun neue, zeitgemäße Wege, die die Menschen in ihrem Lebensumfeld ernst nehmen. Familie, Soziales und Rituale sind drei Säulen der kirchlichen Bindung, die weiterhin in Heidkamps Augen wirken. „Diese Säulen sollten in den kommenden Jahren Schwerpunkte kirchlicher Pastoral sein“, sagt der Stadtdechant.
Das sieht sein evangelischer Kollege ähnlich. „Der Kirchenaustritt ist oft das Ende eines langen Entfremdungsprozesses“, sagt Fucks. 3238 Protestanten haben im vergangenen Jahr ihren Kirchaustritt erklärt. „Der Kontakt geht verloren, die Bindung zur Gemeinde wird schwächer.“ Es sei sehr wichtig, die Gemeindehäuser zu verlassen.
Eine öffentlich angebotene Seelsorge ist ein Weg, um Gläubigen den Kontakt wieder zu erleichtern. Es ist nötig, die neue Aufgabe anzugehen. „Wir versuchen mit mehr Veranstaltungen in die Öffentlichkeit zu gehen, weil wir wahrnehmbar bleiben wollen.“ Es ergebe laut Fucks keinen Sinn, in einer „beleidigten Bubble“ zu verbleiben.
Viele Protestanten wissen nicht genau, zu welcher Gemeinde sie gehören
Es gibt jedoch nicht mehr genügend Geistliche, die das religiöse Leben prägen. Auch in diesem Bereich hat es größere Einsparungen bei beiden Kirchen gegeben. „Es ist nicht gut, dass Brautpaare mitunter in Düsseldorf lange suchen müssen, um einen Geistlichen zur Trauung zu finden“, sagt der evangelische Geistliche.
Die frühere sehr ausgeprägte Jugendarbeit und auch die Erwachsenenbildung gibt es im damaligen Umfang nicht mehr. Da passt es zu diesem Thema, dass ein in Auftrag gegebenes Bürgergutachten verrät, dass 60 bis 70 Prozent der evangelischen Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht (mehr) genau wissen, zu welcher Gemeinde sie gehören. „Es gibt so einen frei wabbernden Glauben, der Konjunktur hat. Der ist allerdings nicht mehr kirchlich gebunden“, sagt Superintendent Fucks.
Da ginge es darum, dass das Göttliche in einem selbst lebendig ist und wirksam wird. Das sei eine eigene Form der Religiosität in einem esoterischen Bereich. So spiele die angesprochene Individualisierung eine Rolle, weil auch religiöse Start-ups inzwischen eine Rolle spielen.
Wieder miteinander sprechen, ist der Wunsch der Geistlichen
„Jeder Kirchenaustritt macht mich unendlich traurig, da es mein Ziel ist, Menschen für Jesus Christus und seine Botschaft zu gewinnen“, sagt Stadtdechant Frank Heidkamp. Er möchte mit den Menschen ins Gespräch kommen, um ihnen von der Schönheit des Glaubens zu erzählen.
„Ich habe in meinem Leben viele positive Erfahrungen in Kirche gemacht. Durch Ferienlager, tolle Jugendarbeit und engagierte Seelsorgende bin ich motiviert worden, Priester zu werden.“ Glauben sei Vertrauenssache, deshalb könne er nur einladen, neu die Freude am Glauben in den Gemeinden und Verbänden in Düsseldorf zu entdecken und wieder Vertrauen aufzubauen.
Kirchenaustritte in Düsseldorf in Zahlen
Im Jahr 2021 haben rund 6000 Christen in der Stadt ihren Kirchenaustritt erklärt, ein Jahr danach waren es bereits 9752 Austritte. Das Amtsgericht musste dafür extra das Terminangebot auf 900 im Monat erhöhen, um den Anfragen gerecht zu werden. In Düsseldorf sind acht Beschäftigte am Amtsgericht mit dem Thema Kirchenaustritte betraut.
Im zweiten Quartal des Jahres 2022 traten 53.019 Menschen in NRW aus der Kirche aus. Die Kirchensteuer beträgt rund neun Prozent der Einkommenssteuer.Die möglichen Ersparnisse sind vom Steuersatz, dem Einkommen und dem an den aktuellen Wohnort gebundenen Kirchensteuersatz abhängig. Auf eine Taufe, eine Trauung vor dem Altar und die Totenmessemüssen Menschen, die ausgetreten sind, entweder Geld zahlen oder gänzlich verzichten.