Voerde. Sechs Bundestagskandidaten präsentierten sich 250 Schülern bei einer Podiumsdiskussion im Gymnasium Voerde. Vor allem ein Politiker polarisierte.
Der Countdown zur Bundestagswahl läuft. In sechseinhalb Wochen ist Wahltag - vorgezogen, wegen des Misstrauensvotums. Allzu viele Gelegenheiten haben die Kandidaten in der kurzen Zeit nicht mehr, für sich zu werben. Und so fahren sämtliche Bundestags-Direktkandidaten für den Wahlkreis Wesel I am Donnerstagvormittag wohl besonders gerne durch den Schnee, um sich bei einer Podiumsdiskussion im Gymnasium Voerde zu präsentieren. Die Diskussion wurde von den GV-Schülern organisiert, sie wird von zwei Schülern, Silja Kremer und Louis Finn Ames, moderiert. Und im Publikum sitzen 250 Schülerinnen und Schüler der Jahrgangsstufen 10 bis 12 - potenzielle oder mögliche künftige Wähler.
Es geht um Wirtschaftsthemen wie Konjunktur und Schuldenbremse, um die Kriege in der Ukraine und im Nahen Osten, um Migrationspolitik. Manuela Bechert (Die Linke) und Karl-Heinz „Charly“ Freckmann (Grüne), Kevin Waldeck (SPD) und Sascha van Beek (CDU) sowie Bernd Reuther (FDP) und Adam Balten (AfD) sitzen getreu der Anordnung der Parteien im Berliner Bundestag auf dem Podium. Allerdings müssen sie sich in Voerde zu zweit einen Tisch und ein Mikrofon teilen.
So viel Nähe zur AfD scheint FDP-Mann Bernd Reuther nicht zu behagen. Er sitzt an der Außenkante des gemeinsamen Tisches - und bringt sich auch inhaltlich auf Abstand zu seinem Tischnachbarn Adam Balten. Zwar verweist dieser beim Thema Schuldenbremse durchaus im Sinne Reuthers darauf, dass Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Aber: „Ihre Partei hat mehr als abstruse Vorstellungen, was Wirtschaftspolitik angeht. Raus aus der EU, Abschaffung des Euros. Das ist kontraproduktiv für Wirtschaft und Wohlstand in diesem Land“, so Reuther.
Der AfD-Kandidat triggert die anderen Kandidaten. Und er polarisiert das Publikum. Manche klatschen nach seinen Beiträgen. Viele halten dagegen. Immer wieder zitiert Balten monoton lange Gesetzespassagen oder verweist die Schüler auf Google - was sich zum Running Gag im Publikum entwickelt. Der Krieg in der Ukraine habe „aus welchen Gründen auch immer“ begonnen, es seien „gewisse Verträge auch gebrochen worden“ und der Russe ohnehin nicht zu besiegen - als der AfD-Mann das sagt und das deutsche Engagement im Nahen Osten wie auch in der Ukraine aufs Vermitteln beschränken will, platzt einem Schüler der Kragen: „Wer hat denn diesen Krieg begonnen? Sie labern hier eine Scheiße“, ruft er aus einer hinteren Reihe.
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Das Publikum lacht und klatscht. Der AfD-Mann blafft etwas mit schlechter Erziehung und bezichtigt Charly Freckmann (Grüne) der „blanken Unwissenheit“, weil dieser darauf verwiesen hat, dass die Russen damals in Afghanistan durchaus unterlegen seien. Und Bernd Reuther (FDP) reicht es: „Sie stehen nicht für Frieden, Sie propagieren diesen Angriffskrieg“, weist er Balten zurecht. Er habe die AfD-Vertreter sieben Jahre im Bundestag erlebt: „Kommen Sie mir nicht mit guter Kinderstube. Was ich da erlebt habe an Beschimpfungen, Beleidigungen, Zwischenrufen, das spottet jeder Beschreibung.“
„Ich könnte heulen“
„Ich könnte heulen“. So quittiert Manuela Bechert (Linke) die Äußerungen des AfD-Kandidaten zur Migrationsfrage. Dieser hatte von „Pull-Faktoren“, unkontrollierter „Migration in die Sozialsysteme“ und importiertem Antisemitismus gesprochen. „Ich kann nicht verstehen, wie man mit so einer Unmenschlichkeit und so wenig Empathie an so eine Geschichte rangehen kann“, entgegnete Manuela Bechert: „Wir haben tausende Menschen, die auf dem Mittelmeer ertrinken. Die ertrinken da nicht, weil sie Bock haben, aus wirtschaftlichem Interesse nach Deutschland zu kommen. Die haben Angst und setzen sich in ein Scheiß-Schlauchboot, das völlig überfüllt ist. Und was machen wir? Wir bilden Frontex.“ Die Debatte werde seit Jahren falsch geführt, findet Kevin Waldeck (SPD). Die Migranten dürften vier Jahre nicht arbeiten - aber eben diese sei „der beste Weg, Menschen in die Gesellschaft zu integrieren.“ Sascha van Beek (CDU) unterscheidet zwischen Arbeitsmigration, Asylmigration und illegaler Migration - und nur letztere müsse bekämpft werden.
Immer wieder müssen die Moderatoren Louis Finn Ames und Silja Kremer die Redezeit der Politikprofis beschränken, ihnen ins Wort fallen. Gar nicht so leicht, wie Louis findet: „Es war schwierig, einen Mittelweg zu finden, dass niemand zu viel reden, man aber auch nicht mitten im Satz abschneidet.“ Insgesamt habe sie aber einen „schönen Einblick“ bekommen, findet Silja Kremer. Beide verweisen am Ende auf den Wahltag sowie den 18. Februar - an diesem Tag findet die Junior-Wahl am Gymnasium Voerde statt. Egal, an welcher Wahl die Schüler teilnehmen: „Es lohnt sich, sich schlau zu machen“, so Louis Finn Ames.