Voerde. „Zieht sich durch mein ganzes Leben“: Opfer spricht bei einer Veranstaltung von St. Peter und Paul. Was geplant ist und was dahinter steckt.
Die Pfarrei St. Peter und Paul in Voerde setzt für die Betroffenen sexualisierter Gewalt in der Kirche ein dauerhaftes Zeichen. Neben dem Gotteshaus am Akazienweg wird eine Trauerblutbuche in Erinnerung an die Opfer gepflanzt. Der Baum wird am Sonntag, 10. November, um 12 Uhr nach der Messe seiner Bestimmung übergeben, dann findet die Widmung statt. Damit folgt die katholische Kirchengemeinde in Voerde einer Anregung des Bistums Münsters in Zusammenarbeit mit dem Betroffenenbeirat, wie der leitende Pfarrer Christoph Hendrix erläutert. An dem Tag wird mit Stephan Bertram auch ein Opfer sexualisierter Gewalt in der Kirche dabei sein und etwas sagen. Im Anschluss soll es die Möglichkeit zu Gespräch und Begegnung geben.
Stephan Bertram ist heute 61 Jahre alt. Der gebürtige Essener lebte 58 Jahre in Bottrop, wo er in der Cyriakus-Kirche lange Messdiener und in der Zeit seiner Kindheit sexueller Gewalt durch den damaligen Kaplan ausgesetzt war, wie er berichtet. Es sei das Schlimmste gewesen, was ihm in seinem ganzen Leben widerfahren sei. „Diese sexuelle Gewalt und der Machtmissbrauch ziehen sich durch mein ganzes Leben, womit ich bis heute zu kämpfen habe“, erklärt Bertram. Dies habe für ihn persönlich dazu geführt, seine Geschichte aufzuschreiben und bei einigen Veranstaltungen zu erzählen. Er habe Einladungen vom Pfarrgemeinderat, dem Katholikenrat und auch vom Priesterrat des Bistums Essen und einigen anderen Institutionen erhalten.
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Ihm sei es wichtig, für viele andere Menschen zu sprechen, denen sexuelle Gewalt angetan wurde „und die nicht, so wie ich, den Mut haben, dies in die Öffentlichkeit zu bringen, damit wir nicht vergessen werden“. Bertram will Präsenz zeigen, damit das, was ihm widerfahren sei, „nicht anderen auch passiert“ – und „ich möchte versuchen, sie zu schützen“, erklärt der 61-Jährige. Die katholische Kirche müsse einsehen, die Opfer ernst zu nehmen und sie „anständig“ für ihr „erlittenes Leid zu entschädigen“.
Die Gremien der Pfarrei St. Peter und Paul haben nach Angaben von Pfarrer Christoph Hendrix gemeinsam überlegt, einen sichtbaren Platz für diese Trauerblutbuche direkt an der Pauluskirche auszuwählen. Mit Blick darauf, welchen Standort dieser Baum einfach von der Größe und vom Licht etc. her braucht, fiel die Wahl auf die Wiese links neben der Pauluskirche. Die Trauerblutbuche sei als Symbol von der Arbeitsgemeinschaft Erinnerungskultur auf Bistumsebene vorgeschlagen worden, der auch Betroffene angehören.
„Da so ein Symbol immer ambivalent ist und gedeutet werden muss, also nicht aus sich selbst heraus die Botschaft transportiert, wird konkret durch eine Gedenktafel auf den Grund der Pflanzung hingewiesen“, erläutert Hendrix. Ihm selbst sei bewusst, dass dieses Symbol nicht unumstritten sei, er schließe sich dem Vorschlag aber gerne an, den Baum zu pflanzen, da er es für wichtig halte, „dass das Leid der Betroffenen nicht in Vergessenheit gerät und vor Ort einen konkreten Ort der Erinnerung und Mahnung bekommt. Zeitgleich ist mir wichtig, dass Betroffene an der Entscheidung, welches Symbol gesetzt werden soll, direkt beteiligt waren“.
„Es liegt an uns, dass wir in der Pfarrei mit den freiwillig Engagierten und den Hauptamtlichen wachsam sind für Situationen und Strukturen, die missbräuchliches und übergriffiges Handeln begünstigen, und dagegen zu arbeiten. “
Auch mahnt Hendrix, dass die Baumaktion nicht als „eine Art Schlusspunkt“ gesehen werden sollte – im Sinne von „jetzt haben wir aber auch langsam genug getan für dieses Thema. Es muss uns weiterhin begleiten“. Unerträglich findet der Voerder Pfarrer die, wie er sagt, „Ungleichzeitigkeit in der Kirche bei diesem Thema“: Manche Bistümer seien „sehr ehrlich an der Aufarbeitung interessiert“, andere täten – zumindest in seiner Wahrnehmung – „kaum etwas“, meint Hendrix. Deshalb sei es ihm als Pfarrer, aber auch den Gremien und den Seelsorgenden vor Ort wichtig, „hier konkret für Aufklärung und Prävention einzustehen“. Es liege an ihnen, in der Pfarrei „mit den freiwillig Engagierten und den Hauptamtlichen wachsam“ zu sein für Situationen und Strukturen, „die missbräuchliches und übergriffiges Handeln begünstigen“, und dagegen zu arbeiten.
Menschen, die sich ihnen als Seelsorgende anvertrauen, könne er nur ermutigen, sich beim Bistum zu melden, damit Aufklärung geschehen, gerade Täterinnen und Täter, die noch im Dienst sind, sofort suspendiert und Ermittlungen durch Polizei und Staatsanwaltschaft begonnen werden können. „In meiner Rolle gilt es aber unbedingt, den Willen der Betroffenen ernst zu nehmen und keinen in die Öffentlichkeit zu zerren gegen seinen/ihren Willen“, betont der Voerder Pfarrer.