An Rhein und Ruhr. Viele Kilometer Rhein-Deich sind in NRW sanierungsbedürftig. Experten kritisieren, dass die Genehmigungsverfahren viel zu lange dauern.
Die Sanierung der Deiche in Nordrhein-Westfalen dauert aus Sicht eines Experten wegen strenger Auflagen und stockender Bearbeitung bei den Behörden viel zu lang. Es bestehe die Gefahr, dass NRW das selbst gesetzte Ziel einer Sanierung bis 2025 verfehle, sagte der Sprecher des NRW-Arbeitskreises Hochwasserschutz und Gewässer, Holger Friedrich. „2025 - das wird wahnsinnig sportlich.“ Die Genehmigungsverfahren würden immer komplizierter, und immer wieder blieben komplett durchgeplante und mit der Bevölkerung abgestimmte Projekte jahrelang bei der Behörden hängen. Sie müssten dann später in Teilen neu begonnen werden.
„Bei allem Verständnis für personelle Engpässe - das Land muss hier die erforderlichen Fachleute rekrutieren“, forderte Friedrich, der zugleich Geschäftsführer des größten NRW-Deichverbandes Bislich-Landesgrenze am Niederrhein ist. Der Experte nannte als Beispiel ein Deichbauprojekt in Rees-Löwenberg, das bereits 1999 beantragt worden sei. Nachdem die Bezirksregierung jahrelang nicht reagiert habe, habe der Verband ein neues aufwendiges Antragsverfahren mit Bürgererörterung starten müssen. Der neue Antrag liege nun bereits wieder seit Ende 2018 bei der Behörde.
95 von 280 Kilometer Deich gelten im Regierungsbezirk Düsseldorf als Sanierungsfall
Er habe auch nur bedingt Verständnis dafür, dass die Deichverbände bei Sanierungen ökologische Ausgleichsprojekte aufsetzen müssten, sagte Friedrich. „Wir würden das Geld lieber in gute Deiche stecken.“ Schließlich entstünden am Ende naturnahe und begrünte Bauwerke, auf denen oft Schafe weideten. Und wenn die Deichbauverbände als Ausgleichsfläche Äcker aufkauften und in Wald oder Grünland umwandelten, fehle die Fläche der Landwirtschaft.
Allein im Regierungsbezirk Düsseldorf gelten 95 von insgesamt 280 Kilometer Deich als Sanierungsfall, weitere 21 Kilometer werden untersucht. Auch im jüngsten Bericht des Umweltministeriums an den Landtag zur Deichsanierung vom April 2020 ist von einem „hohen Risiko“ für die Überschreitung des Zeitzieles 2025 die Rede.
Die Deiche hätten beim bisherigen Winterhochwasser einen „guten Job“ gemacht, auch die neuen, die erstmals im Wasser gestanden hätten, sagte Friedrich. Allerdings sei dieses Hochwasser ja auch bisher moderat: Bei einem Pegel von 7,57 Meter (Freitagmittag) in Emmerich liege es noch sehr deutlich unter dem letzten „Jahrhunderthochwasser“ im Jahr 1995 mit 9,84 Meter in Emmerich.
1,4 Millionen Menschen in NRW leben am Rhein in Flussnähe
Deiche bräuchten regelmäßige Sanierung, weil das Wasser die Bauwerke durchnässe und beim Ablaufen immer wieder die Kleinteile aus dem Deich herausziehe, betonte der Fachmann. Sonst lasse die Stabilität langsam aber sicher nach. Allein am Rhein leben in NRW rund 1,4 Millionen Menschen in Flussnähe. Experten erwarten, dass aufgrund der Klimaveränderungen Extrem-Wetterereignisse und damit auch die Hochwassergefahren zunehmen. Daher unterstütze das Land die Verbesserung der Schutzanlagen, hatte Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) vor kurzem gesagt.
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Konkret werden Deiche bei den Sanierungen rund 70 Zentimeter höher gebaut und die Grundfläche von rund 30 auf 60 Meter verdoppelt, wie Friedrich erklärte. Pro Kilometer Deich kostet das laut Friedrich etwa vier bis fünf Millionen Euro. Die Kosten übernimmt zu 80 Prozent das Land, den Rest müssen die Bürger tragen, die im festgestellten Schutzbereich des Deiches wohnen.
Dreistelliger Millionenbetrag nötig für die anstehenden Sanierungen
Um die Stabilität der Deiche in seinem Bereich macht sich der Voerder Deichgräf Ingo Hülser, der dem Deichverband Mehrum seit 2013 vorsteht, keine Sorgen. Zwischen 2000 und 2004 sei der erste Abschnitt saniert worden, 2009 bis 2013 der zweite. Doch der dritte Abschnitt ist ein Beispiel für die langwierige Genehmigungsphase. Bereits seit 2007 ist er in Planung, Ende des Jahres könne er aber wahrscheinlich endlich ins Planfeststellungsverfahren gegeben werden, erklärt Hülser.
Im vergangenen Jahr investierte das Land NRW insgesamt rund 80 Millionen Euro in den Hochwasserschutz, die Bezirksregierung in Düsseldorf rechnet damit, dass allein für ihren Bereich ein dreistelliger Millionenbetrag notwendig für die Sanierungen sein wird. „In den meisten Fällen müssen die Deiche saniert werden, weil der innere Aufbau und die Verdichtung der Erdbaustoffe nicht den Regeln der Technik entsprechen“, so Sprecherin Dagmar Groß.
In anderen Fällen fehlt die erforderliche Erreichbarkeit der Deiche über einen Deichverteidigungsweg. „Es ist dabei zu beachten, dass seit 2014 allein durch die Baupreissteigerung eine Erhöhung der Kosten um rund 18 Prozent zu erwarten ist“, sagt Groß.
Deichsanierungen in Duisburg und Emmerich beginnen
Aktuell läuft nur eine Baustelle an den Deichen am Rhein. Der Deichverband Xanten-Kleve saniert den Abschnitt im Bereich der Rheinbrücke Emmerich bis Kleve-Griethausen. „Derzeit laufen Arbeiten im Schutz des noch vorhandenen alten Deiches, so dass an dem neuen Schöpfwerk auch während des aktuellen Hochwassers weitergearbeitet wird“, so die Sprecherin. Im Frühjahr beginnen die Bautätigkeiten am Duisport und im Bereich des Deichverbands Bislich-Landesgrenze zwischen Dornick und der Kläranlage Emmerich.
Auch bei der Bezirksregierung ist bekannt, dass die Zielvorgaben des Fahrplanes Deichsanierung bisher nicht erreicht werden, weil bei der Planung, Genehmigung und Ausführung von Deichsanierungsprojekten Verzögerungen aufgetreten sind. „Bei den Planungsprozessen im Vorfeld einer Deichsanierung müssen unterschiedliche Belange berücksichtigt werden“, erklärt Groß.
Die Vorgabe des Naturschutzes, die Interessen der Anwohner und Grundstückseigentümer, des Denkmalschutzes erforderten intensive Abstimmungen mit den Beteiligten. „Dadurch verlängern sich die einzelnen Planungsphasen und auch die anschließenden Genehmigungsverfahren, in denen alle Belange abgewogen und zu einer rechtskonformen Zulassung zusammengeführt werden“, so die Sprecherin.
Strenge Regeln bei der Kampfmitteldetektion
Ebenso langwierig: Die öffentlich-rechtlichen Vorgaben für die Ausschreibung und Vergabe von Ingenieurleistungen und Bauaufträgen müssen beachtet werden. „Gerade bei kostenintensiven Deichsanierungen muss die öffentliche Ausschreibung von Aufträgen europaweit erfolgen und zieht besonders lange Veröffentlichungs- und Zuschlagsfristen nach sich“, sagt Groß.
Und für die interne Abarbeitung von Deichsanierungsprojekten fehle bei den Deichverbänden und Kommunen dann oft das Fachpersonal. In den letzten Jahren hatten sich zudem die strengeren Regularien für die Kampfmitteldetektion und Beseitigung auf die Planung und den Bau von Deichen ausgewirkt. „Bei der Suche nach Munition, Bomben und Handgranaten aus dem Zweiten Weltkrieg müssen arbeitsschutzrechtliche Sicherheitsbestimmungen zwingend eingehalten werden, so dass zum Beispiel die Bestandsdeiche nur schichtweise untersucht und abgetragen werden können“, so die Sprecherin.
Dadurch verzögerten sich die Deichbaumaßnahmen erheblich. Und nicht zuletzt werden die erteilten Genehmigungen des Öfteren beklagt, so dass die bauliche Umsetzung erst nach Abschluss der Klageverfahren erfolgen kann. (mit dpa)