Hünxe. Am Morgen zwischen 7.30 und 8 Uhr wurde ein Schaf in der Nähe mehrerer Schulbus-Haltestellen gerissen. Familien sorgen sich um Kinder und Tiere.
In Hünxe wurde erneut ein Schaf des Hünxer Schäfers Kurt Opriel gerissen – tagsüber. Vermutlich ein Wolf hat das trächtige Tier, das auf einer Weide zwischen Schwarzer Heide und Berger Straße stand, zwischen 7.30 und 8 Uhr getötet. Zu dieser Zeit holt der Schulbus auch die Kinder an den umliegenden Haltestellen in dem Bereich ab, sagt Schäfer Kurt Opriel. Er fordert Konsequenzen.
Die Uhrzeit sei deswegen so gut auszumachen, weil die Schafe – eine Herde hochtragender Mutterschafe – bis 7.15 Uhr im Stall etwa 90 Meter vom Wohnhaus entfernt standen. Er habe die rund 60 Tiere gerade auf die Weide gelassen, die zum Teil doppelt mit einem 1,20 Meter hohen Schutzzaun umgeben sei. Um 8 Uhr entdeckte seine Frau das getötete Schaf. „Der Fötus liegt direkt dahinter“, sagt Opriel. Die Herde hat in Panik offenbar den Schafmaschenzaun innerhalb des Elektrozauns eingerannt und ist schließlich zurück in den Stall gelaufen. Der Wolf, meint Opriel, „muss im Gebüsch gewartet haben.
Klage wurde abgewiesen
Zwei Jahre lang, von 2018 an, hat die im Wolfsgebiet Schermbeck heimische Wölfin „Gloria“ immer wieder die Herden des Hünxer Hobby-Schafhalters heimgesucht – Ende 2020 zum zehnten Mal. Insgesamt 26 Schafe hat er an die Wölfe verloren. Zweimal versuchte Kurt Opriel, Wölfin „Gloria“ loszuwerden. Beide Anträge auf Entnahme scheiterten – im Mai erteilte das Verwaltungsgericht Düsseldorf dem Ansinnen eine Abfuhr. Opriel entstünden keine wirtschaftlichen Schäden, so die Begründung.
Der Hobby-Tierhalter hat wegen der vielen Attacken des Wolfsrudels – „Gloria“ hat bekanntlich mittlerweile Familie – einen Stall gebaut. „Aber ich kann die Tiere ja nicht tagsüber im Stall lassen“, sagt er. Opriel ist doppelt entsetzt, weil auch sein Sohn morgens ein paar hundert Meter zu einer der Haltestellen des Schulbusses in dem Gebiet geht. „Das ist doch nicht zu verantworten“, meint Opriel: „Der Wolf hat seine Scheu vor den Menschen verloren, es muss jetzt etwas passieren“.
Anwohner in Sorge
Mehrere Familien, die in dem Gebiet wohnen, haben Angst um ihre Kinder, die morgens zu den Haltehäuschen für den Schulbus laufen. Und sie fragen sich, ob sie die Kleinen am späten Nachmittag noch auf dem Hof spielen lassen können – schließlich werde es früh dunkel. Aus Angst vor Anfeindungen möchten mehrere ihre Namen nicht nennen.
Eine Mutter hat das Wolfsrudel schon einmal im Wald beobachten können. „Imposante, tolle Tiere“, sagt sie und betont, dass sie prinzipiell kein Problem mit Wölfen habe. Dennoch habe sie „Bedenken, meinen Sohn morgens zum Schulbus zu schicken“. Viele Familien in dem Gebiet haben zudem Ponys oder Pferde. Allein ihre Weide mit den empfohlenen Zäunen zu umgeben koste 12.000 Euro, sagt die Bürgerin.
Wer im fünften Stock eines Mehrfamilienhauses in der Stadt lebe, könne die Sorgen der Menschen auf dem Land vielleicht nicht nachvollziehen, meint Andrea Birkendorf. „Aber uns beschäftigt der Wolf Tag und Nacht, das ganze Jahr über“ und nicht nur, wenn gerade ein Riss publik geworden sei. Die Wölfe würden über die Grundstücke laufen, viele Anwohner nachts aus Sorge um ihre Tiere nachts immer wieder aufschrecken. Und der Bau von Ställen würde Privatleuten nicht ohne weiteres genehmigt, sie habe ihr Pferd bereits mehrmals in den Garten geholt.
„Meine Nichte lernt gerade auf meinem Pony reiten. Was sage ich dem Kind, wenn eines morgens der Wolf da war? Ich habe Angst das Kind mit zum Stall zu nehmen, ich habe selbst um mein Leben Angst, wenn ich am abseits gelegenen Hof bei meinem Pferd bin,“ sagt eine andere Bürgerin. Der Wolf habe „seine Daseinsberechtigung – aber nicht hier, in unserem dichtbesiedelten Landstrich.“
Das sagt das Bürgerforum Gahlen
„Der wolfstypische Kehlbiss und herausgerissene Eingeweide lassen einen Wolfsriss vermuten“, meint das Bürgerforum Gahlen, das die Wolfsrisse regelmäßig dokumentiert. Das Mutterschaf sei etwa fünf Meter verschleppt worden, eine Blutspur belege das. Vor dem Zaun seien zudem Kratzspuren und Trittsiegel eines Jungwolfs zu finden gewesen.
Das sagt der Schafzuchtverband
Auch der Schafzuchtverband NRW reagierte auf den Vorfall. Die Vermutung, dass die hier ansässigen Wölfe verantwortlich seien, „liegt nah“, so die Einschätzung des Verbandes. Kurt Opriel habe „alle Richtlinien eingehalten“, die Zäune „entsprachen den Empfehlungen“, Tiere seien nachts im Stall gewesen. Wegen des Stresses werde es in den kommenden Tagen zu Totgeburten kommen, prognostizieren die Schafhalter. Der Verband fordert die Ministerin „nun erneut ausdrücklich auf, die Entnahme der ansässigen Wölfe im Gebiet Schermbeck voranzutreiben“. Die Situation müsse angesichts der Vorfälle der vergangenen Wochen – mehrere Ponys wurden gerissen – neu bewertet werden.
Lanuv war vor Ort
Die Experten des Landesamts für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) waren mittags vor Ort. Meist dauert es mehrere Wochen, bis Proben eindeutig einem Wolf zugeordnet werden können. Lanuv-Sprecherin Birgit Kaiser de Garcia kann die Sorgen der Eltern „verstehen“, sagt sie. Ob der Vorfall belege, dass die Wölfe im Wolfsgebiet Schermbeck die Scheu vor den Menschen verloren haben und ob sich die Gefahrenbewertung dadurch ändere, das müssten die Experten des Lanuv beurteilen. Eine entsprechende Anfrage der NRZ blieb am Freitag unbeantwortet. Auch das Umweltministerium NRW war am Freitag noch nicht sprechfähig. Ministerin Ursula Heinen-Esser hatte zuletzt nach einem Ponyriss wieder eine Entnahme des Wolfs zum Thema gemacht.