Essen. Außerklinische Geburten machen knapp zwei Prozent der Geburten in NRW aus. Wieviel sie kosten und wie sie ablaufen, erklärt eine Hebamme.
Eine Gebärwanne, warme Farben, ein großes Bett: Im Geburtshaus erinnert so einiges an den Kreißsaal. Nur die Atmosphäre wirkt womöglich wärmer als so manches Klinik-Äquivalent. Auch Ärztinnen und Ärzte sucht man weit und breit vergeblich. Denn im Geburtshaus begleiten lediglich Hebammen die Entbindung – ähnlich einer Hausgeburt, nur mit eigens dafür eingerichteten Räumen.
Im Gespräch mit einer Hebamme, die selbst in der Vergangenheit ein Geburtshaus geleitet hat, wollen wir einige der wichtigsten Fragen rund um eine Geburt im Geburtshaus klären. Hier gibt es zudem eine Liste mit Geburtshäusern in NRW und dem Ruhrgebiet.
Wie häufig finden Geburten außerhalb des Krankenhauses statt?
Die Zahl der Entbindungen in Geburtshäusern im Verhältnis zur Gesamtzahl der Geburten ist gering. Dennoch scheinen sich immer mehr Schwangere in Hinblick auf ihre Geburt nach Möglichkeiten abseits des Kreißsaals umzusehen. Das legen Zahlen der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. (QUAG) nahe. Dementsprechend habe die Zahl außerklinischer Geburten – also Hausgeburten oder solche im Geburtshaus – 2001 noch einen Anteil von 1,12 Prozent an den gesamten Geburten gehabt, 2022 dann 1,94 Prozent ausgemacht.
In NRW ist der Anteil etwas geringer: Mit 3090 Schwangeren haben sich hier 2022 etwa 1,88 Prozent für eine außerklinische Geburt entschieden, wobei NRWs Mütter Geburtshäuser den eigenen vier Wänden vorzogen. Amtlich wird die Anzahl außerklinischer Geburten nicht erhoben. Die QUAG greift für ihre Statistik auf die eigens dokumentierten außerklinischen Geburten zurück.
Wie sieht ein Geburtshaus aus?
Sabine Pfützner arbeitet seit 2000 als Hebamme, 2002 hat sie das Geburtshaus „Marburger Storchennest“ in Marburg gegründet und bis 2018 geleitet. Heute arbeitet sie in der „Isis“-Hebammenpraxis in Bochum in der außerklinischen Geburtshilfe, wo im November das neue Geburtshaus eröffnet.
„Die Geburtsräume von Geburthäusern kann man sich wie ein schönes kleines Schlafzimmer vorstellen“, sagt sie. Es gebe ein meist großes Bett, auf dem auch drei Personen Platz finden. Die Geburt selbst finde aber eher selten im Bett statt – mit gutem Grund: „Wir wissen aus der Leitlinie zur vaginalen Geburt, dass Bewegung während der Geburt ein schmerzlindernder Faktor ist.“
Die Geburtsräume bieten daher häufig noch viel mehr als das Bett: Matten, Gymnastikbälle, Sprossenwände oder Hängetücher. Viele Geburtshäuser hätten zudem weitere Räume, in denen sich die Gebärenden frei bewegen können. Auch Geburtswannen sind häufig vertreten. „Warmes Wasser wirkt schmerzlindernd“, weiß Hebamme Sabine Pfützner.
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Was passiert im Geburtshaus?
Im meist gemütlichen Ambiente eines Geburtsraums, der in warmen Farben gestaltet ist, begleiten ausschließlich Hebammen werdende Eltern durch die Geburt. Im Rahmen der Möglichkeiten liegt der Fokus hier auf dem Wohlergehen der Schwangeren: Sie sollen sich frei bewegen und Positionen einnehmen, die sich gut anfühlen.
Die Geburt im Geburtshaus verlaufe also meist sehr viel dynamischer als man das aus Szenen in Filmen und Serien kennt, in denen die Gebärende das Kind auf einem Bett liegend herauspresst. Da es sich bei einer Geburt im Geburtshaus um eine ambulante Geburt handelt, gehen die frisch gebackenen Eltern einige Stunden nach der Entbindung mit ihrem Nachwuchs nach Hause.
Was unterscheidet die Geburt im Geburtshaus von der in der Klinik?
Neben der außerklinischen ist Pfützner auch mit der klinischen Geburtshilfe vertraut: Noch heute unterstützt sie Schwangere regelmäßig als Beleghebamme bei der Geburt im Krankenhaus. Den größten Unterschied von der klinischen Geburt zu einer im Geburtshaus sieht sie in der Entscheidungsfindung: „Selbstverständlich gebe ich fachlichen Input, aber die Entscheidungen trifft die Gebärende.“
So sei die Geburt von gegenseitiger Wertschätzung geprägt. Diese baue sich bereits Monate vor der Geburt auf, während die Hebamme und die werdenden Eltern, insbesondere die schwangere Person, sich bei verschiedenen Vorsorgeterminen kennenlernen.
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„Es finden Aufklärungsgespräche statt“, erzählt die Hebamme. In diesen Gesprächen werden verschiedene Szenarien durchgespielt: Was passiert etwa, wenn die Schwangere doch noch in die Klinik wechseln möchte oder ein Wechsel sogar notwendig wird? Diese gemeinsame Vorbereitung sorgt für einen Informationsfluss, der werdenden Eltern im Krankenhaus ohne Beleghebamme häufig fehlt. „Frauen, die solche Aufklärung nicht haben, können letztlich traumatisiert sein von der Geburt“, sagt Pfützner. „Ein Geburtstrauma tritt ja meist auf, wenn Maßnahmen nicht richtig abgesprochen werden.“
Für wen kommt eine Geburt im Geburtshaus in Frage?
Bereits im ersten Gespräch erhebt Pfützner mit der schwangeren Person eine Anamnese. Hier besprechen sie die Gesundheits- und Krankheitsgeschichte der Person und ihrer Familie. Bereits in diesem ersten Gespräch könnten sich Dinge anzeigen, die eine außerklinische Geburt ausschließen oder in Frage stellen.
Dazu gehören etwa eine insulinpflichtige Diabetes, Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, ein Kind in Querlage, vergangene Gebärmutteroperationen oder zwei zurückliegende Kaiserschnitte in Folge, auf die keine Spontangeburt ohne Kaiserschnitt folgte. Auch ein BMI von über 30 schließe die außerklinische Geburt eigentlich aus. Wenn die Person jedoch eine gute Beweglichkeit habe, bespricht sich Pfützner im geburtsbegleitenden Hebammenteam. Sie überlegen dann, ob sie die Geburt dennoch im Geburtshaus ermöglichen können.
Was tun Hebammen im Geburtshaus im Fall von Komplikationen?
Sollte es während der Entbindung im Geburtshaus zu Komplikationen kommen, so sind die Hebammen vor Ort darauf geschult, diese zu erkennen. Auch in einem solchen Fall setzt Hebamme Sabine Pfützner auf die gemeinsame Entscheidungsfindung. Aufgrund des in Vorgesprächen entstandenen Vertrauens folgen die werdenden Eltern ohnehin meist den Empfehlungen der Hebamme. Bestehen zunächst Zweifel, erklärt Pfützner, wieso eine bestimmte Maßnahme erforderlich ist.
Gelegentlich wird die werdende Mutter in eine Klinik verlegt. Häufig arbeiten Geburtshäuser eng mit diesen zusammen und haben feste Anlaufstellen, zu denen Schwangere gebracht werden können. „Ich wechsle lieber einmal zu häufig in die Klinik als einmal zu wenig“, so Pfützner.
Wie häufig endet eine Geburt, die im Geburtshaus startet, in der Klinik?
Laut Zahlen der Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe e.V. wurden 2022 2751 aller 17.152 Einlingsgeburten, die in der außerklinischen Geburtshilfe starteten, in die Klinik verlegt. Das entspricht rund 16 Prozent der Geburten in Geburtshäusern und den eigenen vier Wänden. Nur 1 Prozent dieser Verlegungen ist als Notfallverlegung dokumentiert.
Wie sicher ist eine Geburt im Geburtshaus?
Über die Sicherheit von Geburtshausentbindungen sind sich Expertinnen und Experten nicht ganz einig. Während der Deutsche Hebammenverband aufgrund des QUAG-Qualitätsberichts von 2022 feststellte, dass außerklinische Geburten sicher seien, möchte sich die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) darauf nicht verlassen.
Wie schneiden außerklinische Geburten im Vergleich zu klinischen ab?
Die Gesellschaft für Qualität in der außerklinischen Geburtshilfe (QUAG) hat die 2023 geplant außerklinisch begonnenen Einlingsgeburten auf Folgen für Mutter und Kind überprüft. Demnach wiesen 94,1 Prozent der Kinder nach solchen Geburten keine Auffälligkeiten auf. Bei mehr als 99 Prozent wirkten Herzschlag, Atmung, Hautfarbe, Reflexe und Muskelspannung gesund. Es gab jedoch auch tragische Fälle: 0,12 Prozent der Kinder sind vor, während oder innerhalb von sieben Tagen nach der Geburt gestorben. Außerklinisch begonnene Geburten waren in 91 Prozent der Fällen Spontangeburten, 39,4 Prozent der Mütter trugen keine Verletzungen von der vaginalen Geburt.
Die klinische Geburtshilfe dokumentiert ihre Geburten beim Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG). Vergleichbar sind die Berichte schon wegen der medizinischen Aspekte, die sie erfassen, nicht. Auch zählen außerklinisch begonnene Geburten, die schließlich in die Klinik verlegt werden, in letztere Statistik mit ein. Daher und weil außerklinisch ohnehin nur risikoarme Schwangerschaften zugelassen werden, sollten die von IQTIG dokumentierten Zahlen die der außerklinischen Geburtshilfe erwartbar übersteigen.
Im Krankenhaus sind 2023 0,81 Prozent der Einlinge vor Klinikaufnahme, während der Geburt oder in den ersten sieben Lebenstagen gestorben. Zu Dammrissen dritten und vierten Grades kam es laut Aufzeichnungen im Kliniksetting häufiger als in der außerklinischen Geburtshilfe, auch Dammschnitte waren verbreiteter.
Markus Schmidt, Vorstand der DGGG und Chefarzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe an den Sana Kliniken Duisburg, stimmt zwar zu, dass schwerwiegende Komplikationen während Entbindungen im Geburtshaus äußerst selten sind – auch wegen der Vorauswahl der Schwangerschaften ohne erwartbare Risikofaktoren.
In den seltenen Fällen, in denen sie doch eintreten, sei ein Weg von fünf oder mehr Kilometern jedoch zu weit. „Bei einem Notfall können wir in der Klinik innerhalb von fünf bis zehn Minuten entbinden“, sagt er. Laut Zahlen von QUAG liegen über drei Viertel der Geburtshäuser unter elf Kilometer von der Klinik entfernt.
Mit einem Kompromiss kann Schmidt sich anfreunden: Geburtshäuser oder hebammengeleitete Kreißsäle auf dem Gelände oder im Gebäude der Kliniken. So könne die Schwangere bei Komplikationen schnell verlegt werden. Gute Geburtshilfe könnten nur Ärzte und Hebammen gemeinsam leisten, so Schmidt.
Wie viel kostet eine Geburt im Geburtshaus?
Auch die Frage nach anfallenden Extrakosten kann werdende Eltern umtreiben. Vorsorgeuntersuchungen, die Geburtsvorbereitung für die schwangere Person, die Betreuung durch eine Hebamme während Schwangerschaft, Geburt und im Wochenbett sowie die Geburt im Geburtshaus übernimmt die gesetzliche Krankenkasse.
Dennoch entstehen Kosten: Auch im Krankenhaus müssen Schwangere eine Rufbereitschaftspauschale zahlen, wenn sie die Hebamme des Vertrauens während der Geburt vor Ort haben möchten, anstelle einer beliebig zugeteilten Hebamme. Im Geburtshaus ist dies immer der Fall, sodass die Rufbereitschaftspauschale zwingend anfällt.
Die Kosten für die Pauschale variieren je nach Geburtshaus. Hebamme Pfützner setzt 700 Euro an. Sonja Kleinrath, Vorsitzende des Landesverbands der Hebammen NRW, spricht von einer Spanne von 500 bis 1200 Euro. Viele Krankenkassen bezuschussen jedoch auch diese Kosten.
Privatversicherte Patientinnen sollten sich im Vorhinein bei ihrer Krankenkasse informieren, welche Kosten diese übernimmt. Wie von anderen Behandlungen bekannt, treten sie nach der Geburt zunächst in Vorkasse und können sich die Kosten dann bei ihrer Krankenkasse zurückholen.