Dortmund. In der Dortmunder Nordstadt verkaufen Kinder und Jugendliche ihre Körper. Jetzt äußert sich die Polizei zum Missbrauchsskandal.
Nach den Enthüllungen zur Kinderprostitution in Dortmund hat die Betroffene Maxi nun Anzeige gestellt – gegen ihre Mutter. Die 20-Jährige wurde, wie berichtet, von der eigenen Mutter gezwungen, Sex mit fremden Männern zu haben. Bis zu acht Mal pro Woche sei sie von älteren Männern, darunter auch Polizisten und Politiker, missbraucht worden, sagt sie. Maxis Mutter habe in den vier Monaten, in denen sie Maxis Körper verkaufte, so viel Geld eingenommen, dass sie in ihrer Heimat Rumänien ein Haus bauen ließ.
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Maxis Schicksal ist erschreckend, aber kein Einzelfall. Sozialarbeitende berichten, dass eine Zeit lang fast jeder Junge der Roma-Community mehr oder weniger betroffen war und die Kinderprostitution in der Dortmunder Nordstadt „erschreckend normal“ sei. Die wenigsten der Betroffenen trauen sich allerdings, sich wie Maxi zu wehren und Anzeige zu erstatten.
Kinderprostitution in Dortmund: Anzeigen als „einziger Weg“ zu mehr Schutz
Dabei seien Anzeigen „der einzige Weg zu einem nachhaltigen Schutz unserer Kinder und Jugendlichen“, sagt Theresa Stritzke, Kriminalhauptkommissarin der Dortmunder Polizei. Doch auch die Erfahrung der Polizei zeige, dass die Anzeigebereitschaft sehr gering ist.
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Das geht auch aus der Kriminalitätsstatistik der Polizei Dortmund hervor. So hat es den Polizeiangaben zufolge 2023 fünf Verfahren gegeben, in denen der schwere sexuelle Missbrauch von Jugendlichen gegen Entgelt Gegenstand der polizeilichen Ermittlungen gewesen ist. Zum Vergleich: 2022 gab es kein Ermittlungsverfahren, 2021 vier, 2020 sieben und 2019 drei. Ermittlungsverfahren zu schwerem sexuellen Missbrauch von Kindern gegen Entgelt gab es 2022 und 2023 nicht. Die Ermittlerinnen und Ermittler gehen allerdings von einem hohen Dunkelfeld aus, so Stritzke.
Polizei Dortmund über schwierige Ermittlungen zu Kinderprostitution
Um dem entgegenzuwirken, habe die Polizei Dortmund in den vergangenen Jahren Sonderkommissionen eingesetzt und zwei Fachkommissariate geschaffen, die sich mit dem Thema befassen. Dafür sei nicht nur „besonders geschultes“ Personal eingestellt, es seien auch „technisch-organisatorische Vorkehrungen“ getroffen worden, wie etwa besondere Vernehmungsräume für Kinder.
In den Fällen, in denen die Polizistinnen und Polizisten Kinder- und Jugendprostitution ohne Anzeigen von Betroffenen aufdeckten, habe sich die Ermittlung allerdings schwierig gestaltet. „Die Aussagebereitschaft ist erfahrungsgemäß sehr gering. Teilweise können die Ermittler auch keine Klarnamen, sondern nur Spitznamen ermitteln oder die Informationen werden über Dritte weitergegeben“, erklärt Stritzke.
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Da der Missbrauch „nahezu ausschließlich im Verborgenen“ stattfindet, ist es laut Polizei Dortmund umso wichtiger, etwa in Schulen für das Thema zu sensibilisieren und vor möglichen Gefahren – zum Beispiel auf Dating-Plattformen im Internet – zu warnen. Generell sehen die Beamtinnen und Beamten eine „besondere, gesamtgesellschaftliche Verantwortung“, so Stritzke: „Wir sind auf die Unterstützung der Zivilgesellschaft angewiesen. Die Polizei kann zum Schutz der Kinder nur tätig werden, wenn alle Beteiligten die Verantwortung aktiv tragen.“
Hin-, nicht wegschauen, immer wieder auf den Missbrauchsskandal in der Dortmunder Nordstadt aufmerksam machen: Das hat sich Heike Wulf schon seit Jahren zur Aufgabe gemacht. Die Autorin und Kinderrechtsaktivistin hat in ihrer Heimatstadt in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise auf Kinderprostitution entdeckt, sagt sie.
„Ich habe von Müttern gehört, die mit ihren Kindern am Straßenrand stehen, zum Beispiel in der Mallinckrodtstraße. Autos kommen, nehmen die Kinder mit und die Mütter stehen da und warten, bis sie wieder gebracht werden“, schreibt sie in einem offenen Brief an Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) und den Rat der Stadt Dortmund. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der umstehenden Geschäfte würden laut Wulfs Informationen bedroht, damit sie nicht die Polizei rufen.
„Man weiß schon lange, dass es hier in Dortmund Kinder zu kaufen gibt. “
Die 57-Jährige hat nach eigenen Angaben außerdem mit Lehrkräften gesprochen, denen sich betroffene Kinder anvertraut hätten. „Aber aus Angst vor ihrer Familie wollten die Kinder nicht mit der Polizei reden“, so Wulf. Lehrkräften werde außerdem „mit dem Tod gedroht“, wenn sie auf der Schulpflicht beharrten. „Ich habe das Gefühl, es wird hier einfach zu wenig getan“, sagt Wulf. Ein Appell an die Politikerinnen und Politiker der Stadt, das zu ändern.
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Dortmunder Politiker befassen sich Anfang November mit Kinderprostitution
Die Stadt selbst will sich auf Anfrage nicht zum Thema äußern. Die Grünen machen den Missbrauch allerdings nun im Kinder-, Jugend- und Familienausschuss zum Thema. „Nach Einschätzungen der Mitternachtsmission und des Jugendamtes handelt es sich um ein Lagebild, welches keine gravierenden Veränderungen gegenüber den Vorjahren zeigt“, heißt es dazu von Monika Nienaber-Willeradt, Dezernentin für Schule, Jugend und Familie.
Dem Dortmunder Jugendamt sowie den umliegenden Jugendämtern seien derzeit 13 Betroffene bekannt. Die Mitternachtsmission habe allerdings bis September 2024 bereits 39 Minderjährige beraten. Acht von ihnen waren jünger als 14, 20 im Alter zwischen 15 und 16 Jahren. „Grundsätzlich sind mehr Mädchen als Jungen betroffen“, so Nienaber-Willeradt. Die meisten würden den Kontakt zu ihren Freiern online aufnehmen, „15 bahnen die Kontakte mit Freiern auf der Straße an.“
Dortmund setze in der Bekämpfung der Kinderprostitution vor allem auf die Beratungsstellen, die von freien und öffentlichen Trägern angeboten werden. „Dabei ist die Vertraulichkeit von großer Bedeutung“, so Nienaber-Willeradt. Denn nur, wenn Betroffene den Sozialarbeitenden so sehr vertrauen, wie Maxi es tat, wird der Kreislauf des Schweigens durchbrochen. Ihre Anzeige ist die einzige, die in diesem Jahr gestellt wurde.
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