Essen. Hofdame, Wirtstochter und Putzmacherin - bei seinen Gebliebten achtete Goethe nicht auf den Stand. Eine amouröse Bilanz zum 275. Geburtstag.

Ich liebe ein Mädchen ohne Stand und ohne Vermögen, und jetzo fühle ich zum allerersten Male das Glück, das eine wahre Liebe macht.“ So schreibt der 17-jährige Johann Wolfgang Goethe, damals noch ohne das adelige „von“, an seinen Freund Friedrich Maximilian Moors. Es ist der Herbst 1766, Goethe, vor 275 Jahren, am 28. August 1749 in Frankfurt geboren, ist gerade 17 Jahre alt und lebt als Studiosus in Leipzig. Zum Mittagessen, und gern auch abends zum Dämmerschoppen, geht es ins Wirtshaus des Zinngießers Christian Gottlieb Schönkopf. Dort trifft Goethe die Tochter des Hauses, Anna Katherina – und verliebt sich Hals über Kopf in sie.

Käthchen, wie sie genannt wird, ist 19 Jahre, also älter als der verknallte Student, „und sicher auch erfahrener“, wie die Autorin Sophia Mott in ihrem neuen Buch „Goethe und die Frauen“ mutmaßt. „Es gibt rasche Zärtlichkeiten zwischen Tür und Angel. Zettelchen gehen hin und her.“ Einmal hätten die beiden Turteltäubchen einige Stunden für sich, als Käthchens gestrenge Mutter im Theater weil. „Das ist der erotische Höhepunkt“, schreibt Mott. Allerdings schrecke die junge Frau „vor dem Letzten“ zurück. Aber gerade das reize den jungen Mann. Später wird er in einem Brief an seinen Freund Ernst Wolfgang Behrisch gestehen: „Die schöne Scham, die sie ohngeachtet unsrer Vertraulichkeit so oft ergreift … dies zitternde Bemühen, sich aus meinen Armen zu winden …, das ist eine Seligkeit, um die man gern ein Fegfeuer aussteht.“

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Eine Wirtstochter war Goethes erste Geliebte

„Annetten“, wie Goethe die Wirtstochter zärtlich nennt, ist, so „kann man es wohl sagen, Goethes erste Liebe. Doch wie das oft so ist mit jungen Lieben: sie vergehen. Goethe muss erkennen, dass Käthchen mit einem anderen ins Theater geht. Zwei Jahre lang buhlt Goethe weiter um Anna Katherinas Gunst, macht ihr mehrfach eine Szene. Später wird die Angebetete einen anderen heiraten. Nichtsdestotrotz schöpft er aus dem Leipziger Liebelei Stoff für erste kleine Gedichtsammlung, die er seiner „Annetten“ widmet. Später verarbeitet er seine Verliebtheit jener Tage in Leipzig in dem Schäferspiel „Die Laune des Verliebten“ und in seinem Lustspiel „Die Mitschuldigen“. „Damit“, so Goethe-Kennerin Sophia Mott, „ist die Liebe zu Katharina Schönkopf hinreichend ausgeschlachtet.“

Schon bei der ersten, noch pubertären Liebe Goethes zeichnet sich ein Muster ab, das auch die späteren Verbindungen des Dichters zu Frauen kennzeichnen wird: Goethe schöpft aus oberflächlichen wie intimeren Bekanntschaften Stoff für seine kleinen und großen Werke. Das ist auch bei seiner zweiten Liebe, Friederike Brion, so. Jura-Student Goethe war inzwischen nach Straßburg gezogen. In einem nahe gelegenen Dort namens Sessenheim trifft er Anfang 1771 die Pfarrerstochter, ein „allerliebster Stern“ am ländlichen Himmel. Sie ist 18 Jahre alt, er ist mit 21 diesmal der ältere. Beide verlieben sich ineinander, wandern zusammen am Rhein entlang, rudern zu den Flussinseln, tanzen auf dem Dorffest.

„Mit der Liebe tut sich Goethe schwer“

Die traute Zweisamkeit inspiriert Goethe zu den „Sesenheimer Liedern“, eine empfindsame Lyrik, die neu war für die damalige Zeit. Auch sein berühmtes Gedicht vom Heidenröslein entsteht während der Zeit mit Friederike Brion – die allerdings nur rund ein Jahr dauert. Als Goethe zurück geht nach Frankfurt, endet die Liaison. Friederike, tief getroffen von der Trennung, wird nie heiraten.

Der junge Goethe sei gewöhnt an „weibliche Nachsicht und Aufopferungsbereitschaft“, wie er sie als Kind von seiner Mutter erfuhr, schreibt Autorin Mott. „Das ist es, was er im Laufe seines Lebens immer wieder bei den Frauen sucht und erwartet. Doch mit der Liebe tut er sich schwer. Die Frauen, die er trifft, wollen seinem Idealtypus nicht so einfach entsprechen.“

In Weimar trifft Goethe auf Charlotte von Stein

Diese Erfüllung findet Goethe auch bei den nächsten Frauen in seinem Leben nicht. Nicht bei der 19-jährigen Charlotte Buff (immerhin gibt er später der „Lotte“ in seinem Briefroman „Die Leiden des jungen Werthers“ ihren Namen) und auch nicht bei der Frankfurter Bankierstochter Anna Elisabeth „Lili“ Schönemann, die aber immerhin Goethes einzige Verlobte wird, im Jahr 1775, wenn auch nur für einen Sommer. Als Goethe im Jahr drauf, er ist inzwischen in Weimar angekommen und hat dort Charlotte von Stein kennengelernt, per Brief erfährt, Lili habe sich verlobt, antwortet er schroff: „Von Lili nichts mehr, sie ist abgethan.“

Es ist eben jene Charlotte von Stein, die in der kleinen Residenzstadt Weimar Goethes ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sie ist Hofdame der Herzogin Anna Amalia. „Charlotte ist sieben Jahre älter als er, eine reife Frau mit hervorragenden höfischen Manieren und stilsicherer Eleganz“, schreibt Autorin Mott in ihrem Buch. Und Charlotte ist verheiratet mit dem Freiherrn von Stein, mit dem sie sieben Kinder hat. Nachdem Goethe sie kennenlernt, habe er schnell ein „Exposé“ für die künftige Beziehung im Kopf gehabt: „Eine Dame von Welt, auch wenn es nur Weimar ist, und er, ihr Minnesänger. Sie, ewig unerreichbar, er in Liebe und Entsagung schwelgend. Keine Komplikationen! Davon hat er gerade genug gehabt.“ Es bleibt eine platonische Liebe, rund 1700 Briefe und „Zettelgen“ wird Goethe der Verehrten schreiben. Sie selbst wird ihre Briefe an Goethe, die sich zurückgefordert hat, verbrennen, als die Verbindung zu Ende geht. Muss man erwähnen, dass Goethe nach ihrem Bild zwei wichtige literarische Frauenfiguren gestaltete, Iphigenie und Eleonore?

Lief da was zwischen Goethe und Herzogin Amalia?

Einschub: Ist es wirklich Charlotte allein, die Goethe am Weimarer Hof gereizt hat. So stellte der in Weimar lebende Jurist Ettore Ghibellino eine neue, verwegene Theorie auf. Demnach bindet 1775 nicht die kühle und verheiratete Hofdame Charlotte den Dichter an die Stadt, stattdessen sei die kunstsinnige Herzogin Anna Amalia höchstselbst die Dame seiner Begierde. Ghibellino stützt seine These vor allem auf jene rund 1700 Liebesbriefe des Dichters. Er bezweifelt, dass Charlotte von Stein die Adressantin der Schreiben sei. Die meisten Briefe seien undatiert gewesen und außerdem mit keiner Anrede verwesen - und wenn doch, habe sich Goethe auf „Liebe Frau“ beschränkt. Damit, so Ghibellino, könne Herzogin Anna Amalia gemeint gewesen sein. Fachleute halten diese These jedoch für abwegig und durch nichts belegt.

Bleiben wir noch in Weimar, von wo aus Goethe sich im Spätsommer gen Italien zu seiner heute berühmten Reise aufbricht. Aber was heißt aufbricht? Er schleicht sich regelrecht davon. Zurück aus dem Süden, trifft der Geheimrat am 18. Juni 1788 wieder in Weimar ein. Seine Freunde aber kreiden ihm die Abreise bei Nacht und Nebel immer noch an. Vor allem Charlotte, die einstige Seelenverwandte, „die ihre Beziehung nach seinem wortlosen Abschied für beendet hielt und noch immer nicht recht weiß, wie es nun weitergehen soll“. Man schreibt sich noch Briefe, vereinbart eine Aussprache, doch Goethe ist wohl mit seinen Gedanken schon bei einer anderen: Er hat Christiane Vulpius kennengelernt.

Dann traf Goethe Christiane Vulpius

Im Juli 1788 treffen beide erstmals in dem Park an der Ilm aufeinander. Christiane ist da gerade 23 und trägt als Putzmacherin in einer Manufaktur zum kärglichen Budget der Familie Vulpius bei. Sie will dem berühmten Dichter, 16 Jahre älter als sie, eine Bittschrift ihres Bruders Christian August übergeben; der ist Autor von Unterhaltungsromanen und wird später den Bestseller „Rinaldo Rinaldini“ schreiben. Im Moment aber braucht er dringende eine Stelle. Sophia Mott: „Als Autor ist er keine ernst zu nehmende Konkurrenz. Da ist der Geheimrat immer bereit zu helfen.“

Goethe, noch in Schwung von seinem italienischen Abenteuer, findet schnell gefallen an der jungen Frau. „Sie ist ein Muster all seiner frühen Träume, natürlich, hübsch, ihre lockigen Haare trägt sie offen … Was sie tut, tu sie mit ganzem Herzen, auch die Liebe. Es muss ziemlich belad gefunkt haben.“ Tatsächlich wird bereits 1789 Sohn August geboren, als erstes von fünf Kindern und das einzige, das überleben sollte. Goethe nimmt Christiane zu sich in sein Haus.

Was ist bei Goethe Dichtung, was ist Wahrheit?

Die Empörung in Weimar über die nicht standesgemäße Beziehung ist groß. Die Beziehung zwischen Charlotte von Stein und Goethe zerbricht endgültig. Am 19. Oktober 1806, endlich, 18 Jahre nach ihrem ersten Treffen im Park an der Ilm, heirate Goethe Christiane.

Es gäbe noch andere Frauen zu erwähnen, die in Goethes Leben eine Rolle gespielt haben. Die Malerin Angelika Kaufmann etwa, die ihn in Italien porträtierte; Marianne Willemer, eine Schauspielerin, Tänzerin und Sängerin, die der Dichter im „West-östlichen Divan“ verewigte; oder auch Bettine Brentano, Schwester des Dichters Clemens Brentano, die zahllose Liebesbriefe an Goethe schickte. „Was ist die große, die größte Liebe?“, fragt Sophia Mott am Ende ihres Buchs. Seinem späten Chronisten Eckermann sagte Goethe einmal, „Lili“ sei seine erste große und vielleicht auch einzige Liebe gewesen.

Aber wer weiß, schon immer, was bei Johann Wolfgang von Goethe Dichtung, was Wahrheit ist?

Sophia Mott: Goethe und die Frauen - Inszenierungen der Liebe. Verlag ebersbach & simon; 144 Seiten, 20 Euro

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