München. Notärztin Lisa Federle wurde in der Pandemie deutschlandweit bekannt. Früher litt die Medizinerin unter Depressionen. Was ihr half.
Lisa Federle gilt als Deutschlands bekannteste Notärztin – nicht zuletzt dank ihrer pragmatischen Lösungen im Rahmen der Corona-Pandemie. Inzwischen ist die 62-jährige Tübingerin auch unter die Bestsellerautoren gegangen. „Vom Glück des Zuhörens“ (Knaur) bietet aufschlussreiche Einblicke in ihre Erfahrungen als Ärztin. Im Interview erklärt sie, wie sie Zeit für ihre Patienten findet, was in der Ärzteausbildung geändert werden müsste und wie man mit Pfannkuchen für ein besseres Zusammenleben sorgen kann.
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Seit 2022 bringen Sie Bücher über Ihre Lebenserfahrungen heraus. Auch Ihr neuer Band „Vom Glück des Zuhörens“, der sich mit menschlichen Beziehungen beschäftigt, bietet verschiedenste persönliche Einblicke. Was gab den Anstoß zu diesen Veröffentlichungen?
Lisa Federle: Bei den Talkshow-Auftritten zur Zeit der Pandemie wurde mein Leben oft angesprochen und ich habe viele Mails und Zuschriften bekommen. Also dachte ich, ich kann den Menschen Mut machen, wenn ich meine Erfahrungen aufschreibe. Vor kurzem hat mir eine 18-jährige Schulabbrecherin geschrieben, dass sie nach der Lektüre meiner Autobiografie die Schule nun doch weiter machen und studieren will. Oder zwei Frauen mit Brustkrebs haben sich das Buch in der Klinik vorgelesen, was ihnen half, mit der Operation klarzukommen.
„Ich stecke an bestimmten Punkten privat zurück“
Haben Sie bei Ihren vielen öffentlichen Engagements überhaupt noch Zeit für Ihre Patienten?
Federle: Mit Sicherheit, sonst hätte ich keine mehr. Ich nehme mir einfach die Zeit. Meine Patienten sind mir viel zu wichtig. Dafür stecke ich an bestimmten Punkten privat zurück und mein Mann unterstützt mich dabei auch.
Viele Ärzte meinen, dass sie sich aufgrund ihrer Verwaltungsarbeit nicht so gut um ihre Patienten kümmern können...
Federle: Viel davon nimmt mir meine medizinische Fachangestellte ab. Und wenn es darum geht, Termine für meine Patienten bei Fachärzten zu vereinbaren, dann kann ich auf ein gutes Netzwerk von Kollegen zurückgreifen. Aber insgesamt müssen wir die Digitalisierung viel stärker vorantreiben. Wenn wir die Schraube mit Bürokratie und Datenschutz so weiterdrehen wie bisher, wird die Zeit für das Wichtigste, den Patienten, leider wirklich immer weniger.
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Haben Sie Hoffnung, dass sich das ändert?
Federle: Ja, aber das ist gerade schwierig, weil ich die derzeitige Besetzung des Gesundheitsministeriums nicht für optimal halte. Ich bin die Vorsitzende im Landesausschuss für Gesundheit und Pflege der CDU in Baden-Württemberg. Dort machen wir viele Vorschläge in Sachen Digitalisierung, die die Landesregierung teilweise auch aufgreift.
Lisa Federle: So übersteht sie schwere Momente als Ärztin
Nachdem Sie so viele Verpflichtungen haben, was bewahrt Sie vor einem Burn-out?
Federle: Ich habe es als Notärztin gelernt, wie ich schnell herunterfahren kann, wenn ich 24 oder 48 Stunden im Einsatz war. Wenn ich eine Viertelstunde Zeit habe, setze ich mich mit einer Tasse Kaffee in Ruhe hin und bin glücklich. Außerdem habe ich eine sagenhafte Familie mit super Kindern. Das ist für mich ein unglaublicher Kraftquell. Und wenn man viel Zuneigung und Dankbarkeit von den Patienten bekommt, denen man helfen konnte, gibt einem das viel zurück.
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Wenn Sie jeden Tag mit Leid und Problemen konfrontiert werden, besteht die Gefahr, dass Sie das herunterzieht?
Federle: Es gibt sicher Ärzte, die dieses Leid irgendwann nicht mehr an sich heranlassen können. Aber ich versuche mich immer in den Patienten hineinzuversetzen, denn dann kann ich ihn ganz anders behandeln. Klar, das belastet die Seele schon mal, dann erhole ich mich bei meiner Familie und bei Freunden. Das ist für mich sehr wichtig – persönlicher Kontakt, der einem guttut, geht nicht über SMS oder WhatsApp.
Müsste etwas in der Ausbildung geregelt werden, damit Ärzte insgesamt einfühlsamer werden?
Federle: Ich wäre dafür, dass jeder Auszubildende ein soziales Jahr macht, um das Leben von einer anderen Perspektive kennenzulernen. Für angehende Ärzte gilt das ganz besonders. Selbst wenn ich mit einem Einserabitur ins Studium gehe, das ich dann auch sehr gut abschließe, weiß ich noch lange nicht, wie ich mit Menschen umgehen muss. Ich habe das gelernt, weil ich davor als Wirtin einer kleinen Kneipe gearbeitet habe, wo ich vom Obdachlosen bis zum Professor alle möglichen Schicksale miterlebt habe. Unsere Gesellschaft funktioniert nur gut, wenn man sich um andere kümmert. Das kann jeder. Ich kann doch zum Beispiel mal der allein lebenden älteren Nachbarin einen Pfannkuchen backen und sie besuchen.
Diese Beschäftigung hilft der Ärztin gegen die Traurigkeit
Doch nicht immer gibt es den persönlichen Austausch. Was soll ein hilfesuchender Mensch machen, der auf sich allein gestellt ist?
Federle: Mir hat das Lesen sehr geholfen. Als Kind habe ich „Oliver Twist“ oder auch das „Tagebuch der Anne Frank“ gelesen, um über meine Traurigkeit – da mein Vater sehr früh gestorben ist – hinwegzukommen. In meinen 20ern hatte ich Depressionen, aus denen ich mich mit Büchern gerettet habe. Da waren es dann Werke wie „Ich hab dir nie einen Rosengarten versprochen“. In meinen eigenen Büchern erzähle ich Geschichten, in denen sich Menschen wiedererkennen und dadurch ein Stück über sich selbst lernen können.
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Zu ihrem persönlichen Bekannten- und Patientenkreis gehört auch der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, mit dem Sie während der Pandemie eng zusammengearbeitet haben. Wie ist Ihr Verhältnis jetzt?
Federle: In unserer Beziehung hat sich nichts geändert. Bei der von mir entwickelten Teststrategie hat er mich sehr unterstützt. Denn er hat gesehen, dass es hier um die Menschen geht. Er sagt vielleicht manchmal etwas sehr schnell. Aber so ist er mir lieber als jemand, der mehr redet als handelt. Das passiert ja in der Politik doch öfter mal.
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