Berlin. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, kann durch bestimmte Medikamente steigen. Wer dieses Mittel zu sich nimmt, sollte vorsichtig sein.
- Über eine Millionen Menschen in Deutschland sind an Demenz erkrankt
- Nun zeigt eine neue Studie: Das Risiko dafür kann durch bestimmte Medikamente steigen
- Lesen Sie hier, bei welchen Pillen die Gefahr besteht
Medikamente zur Reduktion der Magensäure, sogenannte Protonenpumpenhemmer (PPI), stehen seit Jahren im Verdacht, bei dauerhafter Einnahme die Risiken für andere Krankheiten zu erhöhen: für Darmentzündungen etwa, Knochenbrüche, Allergien oder Speiseröhrenkrebs. Einige Studien zeigen sogar Hinweise auf einen möglichen Anstieg des Demenzrisikos. Jetzt liefert die Auswertung von Langzeitdaten aus den USA neue Belege dafür.
Laut Arzneimittelreport haben Ärztinnen und Ärzte in Deutschland im Jahr 2020 etwa 3,7 Milliarden Tagesdosen dieser Medikamente wie Omeprazol, Pantoprazol oder Esomeprazol verschrieben. Damit liegen die Verordnungszahlen um rund 70 Prozent höher als vor zehn Jahren. Der tatsächliche Verbrauch dürfte aber noch größer sein, denn die Wirkstoffe sind in niedriger Dosierung auch rezeptfrei erhältlich.
Säureblocker: Tabletten gelten offenbar als Alleskönner
Säureblocker unterdrücken die Bildung von Magensäure. Zwar nimmt die Zahl der Menschen zu, die an der sogenannten Refluxkrankheit leiden, bei der Betroffene wegen aufsteigender Magensäure starkes Sodbrennen haben. „Das allein kann die anhaltend hohe Zahl der Verordnungen aber nicht erklären“, berichten die Arzneimittelexperten von Stiftung Warentest. Diese sei wohl auch darin begründet, „dass die Mittel als Alleskönner gelten und selbst bei Magenproblemen ohne klare Diagnose oder Reizdarm eingesetzt werden“.
Die erste Studie zu einem möglichen Zusammenhang zwischen dauerhafter Einnahme der Säureblocker und einem Demenzrisiko stammt aus 2015. Weitere folgten 2016 und 2017. Andere Untersuchungen wiederum konnten diesen Zusammenhang nicht belegen, zuletzt auch zwei im „American Journal of Gastroenterology“ sowie im „Journal of Gastroenterology und Hepatology“ veröffentlichte Metastudien.
- Studie: Forschende finden mögliche Ursache für Fettleibigkeit
- Untersuchungen: Stress erkennen – Diese Blutwerte sind alarmierend
- Gesunde Ernährung: Kind mag kein Gemüse? Ein Kinderarzt gibt Tipps
- Frauen: Endometriose-Betroffene geht radikalen Weg gegen Schmerzen
- Gewicht: Ärztin klärt auf – So kann Kaffee beim Abnehmen helfen
„Die Qualität dieser Analysen wird jedoch aus verschiedenen Gründen kritisiert, beispielsweise wegen der Heterogenität der eingeschlossenen Studien“, erklärt die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN). In vielen dieser Studien habe der Fokus beispielsweise gar nicht auf der Langzeit-Einnahme der Medikamente gelegen.
Demenz entwickelt sich verzögert: Langzeitstudie mit 15.800 Teilnehmenden
Da die Entwicklung einer Demenz eine lange Verzögerung aufweist, ist es laut DGN sinnvoll, die sogenannte kumulative Exposition, also die langfristige, aber auch die regelmäßige kurzfristige Einnahme der Wirkstoffe, zu untersuchen. Und genau dies habe die sogenannte ARIC-Studie („Atherosclerosis Risk in Communities“) in den USA getan. In diese waren von 1987 bis 1989 etwa 15.800 Männer und Frauen im Alter von 45 bis 64 Jahren eingeschlossen worden, so die DGN.
Den Angaben zufolge wurde die Einnahme der Säureblocker bei sieben planmäßigen Klinikbesuchen zwischen 1987 und 2019 und jährlichen beziehungsweise ab 2012 halbjährlichen Telefonaten ermittelt. Als Basis verwendete die Studie Daten der Krankenhausvisite aus den Jahren 2011 bis 2013, da ab dieser Zeit der Säureblocker-Einsatz üblich war.
Lesen Sie auch:Demenz: Dieser simple Uhrentest liefert schnelle Diagnose
Von 6538 untersuchten Teilnehmern wurden 5712 Personen ohne Demenz mit einem Durchschnittsalter von 75,4 Jahren in die Analyse einbezogen. Die Ergebnisse wurden hinsichtlich demografischer Faktoren, Begleiterkrankungen und Begleitmedikationen von statistischen Störeffekten befreit. Bei 585 Teilnehmern wurde während des Follow-up nach 2013 eine Demenzdiagnose gestellt.
Fachgesellschaft mahnt dringend weitere Forschung an
„Personen mit einer kumulativen PPI-Einnahme von mehr als 4,4 Jahren vor der Visite 2011 bis 2013 hatten ein um 33 Prozent höheres Demenzrisiko als diejenigen ohne PPI-Gebrauch. Bei geringerem PPI-Gebrauch gab es keine signifikanten Assoziationen zum Demenzrisiko“, berichtet die DGN. Die Ergebnisse seien als Sicherheitssignal bei häufiger Säureblocker-Einnahme ernst zu nehmen.
„Weitere Forschung ist dringend notwendig, um die Zusammenhänge und vor allem die Kausalität zu verstehen“, sagt DGN-Generalsekretär Prof. Peter Berlit. „Eine dauerhafte Verschreibung und die längerfristige Behandlung mit PPI ohne gesicherte Indikation sollte nicht erfolgen. Und die Patientinnen und Patienten sollten auf mögliche Risiken bei Langzeitgebrauch hingewiesen werden, auch in den Apotheken, da kleine Packungen frei käuflich sind“, so Berlit weiter.
Lesen Sie auch:Depressionen erhöhen Demenz-Risiko
Nur gezielt und bei zugelassenen Anwendungsgebieten sollten Mediziner Protonenpumpenhemmer verordnen, erklären die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest. Sie bewerten die Medikamente als geeignet bei anhaltendem Sodbrennen, einer Speiseröhrenentzündung sowie Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüren.
- ADHS bei Erwachsenen:Betroffene erklärt, was wirklich hilft
- Schlafstörungen:Häufig hilft nur noch diese Methode
- Hormone:Wechseljahre mit 27 – Die ersten Anzeichen der Menopause
- Demenz: Ab wann Gedächtnislücken besorgniserregend sind
Pille erhöht Demenz: Medikamentenexperten raten zu einem Arztgespräch
Darüber hinaus seien sie vorbeugend sinnvoll, wenn Patienten etwa bei Gelenkerkrankungen langfristig Schmerzmittel einnehmen müssten, was Magen- und Zwölffingerdarmgeschwüre auslösen kann. Die Dosis sei möglichst niedrig zu wählen und die Notwendigkeit der Einnahme regelmäßig zu prüfen. Tipp der Experten: „Lassen Sie sich ärztlich beraten, ob die Einnahme eines Säureblockers in Ihrem Fall noch sinnvoll ist. Vielleicht können Sie das Mittel weglassen oder die Dosis reduzieren. Wichtig ist, dass der Arzt dabei Ihre gesamte Medikation im Blick hat.“
Ohne Rücksprache und abrupt sollten Patientinnen und Patienten die Medikamente aber nicht weglassen. Sonst könnten nach längerer Anwendung Sodbrennen oder andere säurebedingte Magenbeschwerden stärker auftreten als vorher.
Demenz: Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick
Was ist Demenz?
Demenz ist ein Überbegriff für eine Reihe von neurologischen Erkrankungen, die das Gedächtnis, das Denkvermögen, die Sprache und die Fähigkeit, alltägliche Aufgaben zu erledigen, beeinträchtigen. Alzheimer ist die bekannteste Form der Demenz.
Wie wird Demenz diagnostiziert?
Die Diagnose von Demenz erfolgt in der Regel durch eine Kombination aus klinischen Untersuchungen, Bildgebungstests wie MRT oder CT und kognitiven Tests. Ein Neurologe oder Geriater ist oft an der Diagnose beteiligt.
Gibt es eine Heilung für Demenz?
Bislang gibt es keine Heilung für Demenz. Die Behandlung konzentriert sich auf die Linderung der Symptome und die Verbesserung der Lebensqualität der Betroffenen. Medikamente wie Cholinesterasehemmer können in einigen Fällen hilfreich sein.
Wie können Angehörige Demenz-Erkrankten helfen?
Angehörige können durch emotionale Unterstützung, Anpassung der häuslichen Umgebung und Förderung von körperlicher Aktivität helfen. Es ist auch wichtig, sich selbst als pflegende Person nicht zu vernachlässigen und professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Demenz: Welche Rolle spielt die Ernährung?
Eine ausgewogene Ernährung, reich an Omega-3-Fettsäuren, Antioxidantien und Vitaminen, kann das Fortschreiten der Krankheit möglicherweise verlangsamen. Die Forschung ist sich allerdings noch uneinig, wie groß die Auswirkungen einer angepassten Ernährung wirklich sind.
Wie wirkt sich Demenz auf die Lebenserwartung aus?
Die Lebenserwartung bei Demenz variiert je nach Art der Demenz und hängt zudem von anderen gesundheitlichen Faktoren ab. Im Durchschnitt leben Menschen nach der Diagnose noch etwa 4 bis 10 Jahre.