Essen. Ein Heldinnenepos im Kino: Biopic über die Kriegsfotografin Lee Miller versucht sich an einem Porträt – und erliegt der Ehrfurcht.
Es beginnt im Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs. 1944, Frankreich, Saint-Malo. Einschläge im Sekundentakt. Eine Frau mit Stahlhelm und Kamera läuft über eine Straße. „Weiter“, macht sie sich Mut, „weiter“. Dann eine Druckwelle, sie fällt – ein amerikanischer Soldat bringt sie gerade noch in Sicherheit. Doch Lee Miller, Kriegsberichterstatterin der britischen Vogue, hört nicht auf. Sie hält alles für die Nachwelt fest. Das Kämpfe, das Sterben, versehrte Soldaten in Militärhospitälern – das Grauen der Leichenberge bei der Befreiung der deutschen Konzentrationslager. Weiter, immer weiter. Jetzt kommt ein Biopic über die Frau mit dem Engelsgesicht und dem Löwenmut in die Kinos. „Die Fotografin“, produziert von Hauptdarstellerin Kate Winslet und inszeniert von Spielfilm-Debütantin Ellen Kuras, versucht sich an einem Porträt und erliegt am Ende doch der Ehrfurcht.
„Die Fotografin“ erzählt im Kino von der Frau, die in Hitlers Badwanne lag
Sie war Model, Künstlermuse, Partyqueen – und Top-Fotografin: Lee Miller, 1907 in New York geboren. Ihre Werke zählen heute zu den wichtigsten Arbeiten des 20. Jahrhunderts. Berühmt wurde sie durch ein Bild des Kollegen und Time-Life-Fotografen David E. Scherman, das sie am Ende des Krieges in Hitlers Badewanne zeigt. Gerade hatten die GIs Hitlers Privatwohnung in München eingenommen, vor der Tür stand ein Offizier und wartete. Miller blieb cool, sie ließ sich Zeit.
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Die Szene ist wie viele andere Originalfotografien aus Millers Nachlass nachempfunden, darunter auch das Picknick am Strand von Mougins, bei dem sie ihren zweiten Mann, den Surrealisten Roland Penrose, kennenlernt. Es ist das Jahr 1937, hier beginnt die filmische Chronologie. Die Stimmung ist heiter, Hitler scheint weit weg. Zur Clique gehören Künstlerinnen und Künstler wie Paul und Nusch Éluard, aber auch die Journalistin Solange D’Ayen, gespielt von Marion Cotillard. Später, als der Krieg schon in Europa tobt, wird sie bei einem kurzen, dramatischen Wiedersehen ihre ganze Schauspielkunst zeigen.
Aber es geht ja vor allem um sie: Kate Winslet in ihrer Paraderolle. Schon jetzt wird sie als Oscar-Favoritin gehandelt, es wäre ihre zweite Trophäe. Die berühmte Britin verkörpert Lee Miller mit großer Intensität über 40 Jahre hinweg. Von der Unbeschwertheit der Jugend, in der nach eigenen Angaben „Alkohol, Sex und Fotos“ ihr Leben bestimmten, bis zur Gesprächssituation, die den Film umrahmt. Eine alte Frau, rauchend, vom Alkohol gezeichnet, gibt einem Journalisten ein Interview. Am Ende nimmt das Treffen eine unerwartete Wendung und fördert die Vergangenheit zutage.
„Die Fotografin“ mit Kate Winslet: eine Filmbiografie der klassischen Art
„Die Fotografin“ ist eine Filmbiografie der klassischen Art, die nach Millers Zeit als Mannequin und Freundin von Künstlern wie Man Ray einsetzt; ein erfolgreiches Model, dem nicht mehr reicht, vor der Kamera zu stehen. „Ich mache lieber Fotos als eins zu sein“, sagt sie. Miller verlässt Frankreich und geht mit Penrose nach London. Sie freundet sich mit Vogue-Chefredakteurin Audrey Withers (Andrea Riseborough) an, die ihre Bilder druckt, die sich schon lange nicht mehr nur um Mode drehen.
Als der Krieg ausbricht, will Miller ihren Beitrag leisten. In London kann sie als Frau keine Kriegsberichterstatterin werden. Sie nutzt ihre US-Staatsbürgerschaft und erreicht, dass sie an der Front fotografieren darf. Nichts kann sie aufhalten, weder die Gefahr noch männliche Ressentiments. Nach dem Krieg geht sie nach Deutschland, „weil ich immer schon die letzte auf einer Party war.“ Sie hält die Angst auf den Gesichtern der Kinder im jüdischen Ghetto fest, fotografiert die Gräueltaten des Holocaust. Doch als sie ihre Bilder bei der Vogue veröffentlichen will, erlebt sie eine herbe Enttäuschung.
„Die Fotografin“ mit Kate Winslet: Die Männer bleiben blass
Die Männer bleiben blass in diesem Film über starke Frauen, selbst Scherman, Millers Verbündeter (Andy Samberg), und Ehemann Penrose (Alexander Skarsgård) ringen um ein eigenes Profil. Alles ist getragen von der Hauptfigur und der Bewunderung für die streitbare Frau mit dem Gerechtigkeitssinn und der Abenteuerlust. Bei dem Filmprojekt sei es vor allem darum gegangen, Millers Arbeit zu schildern und nicht ihr Privatleben, hat Kate Winslet im Interview mit der Vogue gesagt. Ein Zugriff mit Schwäche: Trotz üppiger Bilder und epischer Erzählweise gelingt es Kuras kaum, bis zur Seele der Protagonistin vorzudringen. Echte Nähe vermittelt sich nicht. Die Legende lebt, der Mensch bleibt dahinter verborgen.