Essen. Filmproduzent Michael Souvignier („Führer und Verführer“) bringt die Ballettlegende „Cranko“ ins Kino. Sein nächstes Projekt führt nach Bottrop.

Der Filmproduzent Michael Souvignier bringt mit „Cranko“ wieder eine spannende Biografie auf die Leinwand. In dem Biopic erzählt er die Geschichte der Tanz-Ikone John Cranko, der dem Stuttgarter Ballettensemble in den 1960er-Jahren zu Weltruhm verhalf. Souvignier, Gründer der Kölner Produktionsfirma „Zeitsprung“, hat etliche Film- und Fernsehprojekte umgesetzt, darunter „Führer und Verführer“, das vielfach ausgezeichnete Drama „Contergan“ und „Das Wunder von Lengede“. Was seine Projekte gemeinsam haben, wie ihn seine Jugend im Ruhrgebiet geprägt hat und welcher Filmstoff aus Bottrop ihn reizt, verrät er der 65-Jährige im Interview.

Wie haben Sie das Aufwachsen im Ruhrgebiet in Erinnerung?

Michael Souvignier: Ich bin in Essen geboren und in Bredeney aufgewachsen, aber auf der preiswerteren Seite (lacht). Mein Abitur habe ich an der Goetheschule gemacht, die damals noch ein reines Jungengymnasium war. Da habe ich durchweg positive Erinnerungen, mit total verschrobenen, verrückten, netten Lehrern. Wir hatten drei Schülerzeitungen, zwei linke, eine rechte. Das war wirklich eine interessante Zeit, weil wir viele politische Diskurse hatten. Diese Jahre haben mich positiv geprägt, auch wenn ich kein guter Schüler war. Da ich in meiner Jugend auch viel in Werden unterwegs war, hat der Campus der Folkwang-Uni eine große Faszination auf mich ausgeübt. Tatsächlich habe ich dort dann auch kurz Fotografie studiert, ehe ich zur Hochschule nach Dortmund gewechselt bin.

Sie sind also ursprünglich gelernter Fotograf?

Erst war ich Fotograf, dann Kameramann und Regisseur, schließlich Produzent. Aber alles begann mit der Fotokamera: Mit zehn anderen Fotografiestudenten habe ich damals in Dortmund in einer WG gewohnt, mit eigenen Ausstellungsräumen im Erdgeschoss. Das war wirklich eine irre Zeit, mit WG-Partys, auf denen zum Teil mehr als 200 Leute waren. Irgendwann begann ich dann, mit der Fotografie Geld zu verdienen – auch weil ich es leid war, für das sehr teure Barytpapier immer Blut zu spenden. Dabei habe ich wirklich alles fotografiert: Theater- und Modefotografie und später in Köln dann auch Plattencover.

Filmszene aus Cranko, der am 23. September NRW-Premiere in der Lichtburg feiert.
Filmszene aus Cranko, der am 23. September NRW-Premiere in der Lichtburg feiert. © zeitsprung pictures | zeitsprung pictures

Und was brachte Sie dann zum Film?

Meinen Abschluss in Dortmund habe ich schon nicht mehr in Fotografie, sondern in Film gemacht, unter Adolf Winkelmann. Damals wurde gerade Sat.1 gegründet. Da bekam ich die Chance, Kameramann zu werden. Wenig später, 1985, gründete ich dann die Produktionsfirma Zeitsprung.

Welche Vorteile bietet es, wenn man all diese Film-Disziplinen selbst beherrscht?

Ich bin vom Machen gekommen. So fotografiere ich bis heute, veranstalte regelmäßig Ausstellungen. Das hat mit Neugierde zu tun und dem Mut, sich auszuprobieren. Es war damals eine gute Zeit, um Chancen zu ergreifen. Als Kameramann haben meine Bilder laufen gelernt. Da hatte ich viel mit Regisseuren zu tun und bekam schließlich selber Interesse, Regisseur und schließlich Produzent zu werden. Das hat aber auch Nachteile: Denn als Produzent hast du keine Pausen, arbeitest immer an deinen Filmen, in den verschiedenen Stadien.

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Und dann knöpfen Sie sich vorwiegend anspruchsvolle Biographien und Dokumentationen vor.

Ja, mit Komödien verdient man mehr Geld (lacht) und es ist etwas einfacher. Aber ich interessiere mich sehr für unsere Gesellschaft und hasse Ungerechtigkeit. Bevor ich mit Spielfilmen anfing, hatte ich rund 600 Shows gemacht: Fernsehen, Musikvideos und auch viel Werbung kam noch dazu. Das ist schön fürs Portemonnaie, aber für mich inhaltlich total unbefriedigend. Der erste wichtige Film war für mich „Der Tod kommt online“, als das Internet gerade groß wurde, danach das „Wunder von Lengede“. Die meisten Sachen, die ich gemacht habe, beruhen auf wahren Begebenheiten. „Lieber Thomas“ über das Leben des Schriftstellers und Filmemachers Thomas Brasch war für mich wichtig. Ich habe elf Jahre meines Lebens investiert, bis der Film realisiert wurde. Dass er dann mit neun Lolas beim Deutschen Fernsehpreis ausgezeichnet wurde, war natürlich eine wahnsinnige Freude. Seit langer Zeit hänge ich in dieser Nische der anspruchsvollen Geschichten.

„Cranko“ im Kino

Das Biopic „Cranko“ startet am 3. Oktober bundesweit in den Kinos. Sam Riley spielt die Rolle des Ausnahme-Choreografen John Cranko. In dem Film ist auch das Stuttgarter Ballett zu sehen, dazu Tanzstars wie Friedemann Vogel, Elisa Badeness und Jason Reilly.

NRW-Premiere feiert der Film am Montag, 23. September, um 20 Uhr in der Essener Lichtburg. Zuvor wird ab 19.30 Uhr der Rote Teppich ausgerollt. Mit dabei sind Sam Riley, Regisseur Joachim Lang, die Produzenten Till Derenbach und Michael Souvignier sowie Dramaturgin und Ko-Produzentin Sandra Dujmovic. Noch sind Karten (12 Euro) für das Parkett zu haben. Weitere Informationen auch auf www.filmspiegel-essen.de

An historisch spannenden Stoffen mangelt es in Deutschland nicht. Wie kam es dann ausgerechnet zu „Cranko“?

Das hatten wir ursprünglich gar nicht als Kinofilm gedacht, dahinter steckt vor allem mein Partner bei Zeitsprung, Till Derenbach. An uns herangetragen hat die Idee Regisseur Joachim Lang, mit dem wir nach „Mackie Messer“ und „Führer und Verführer“ nun zum dritten Mal zusammengearbeitet haben. John Cranko war eine wahnsinnig interessante Figur zu seiner Zeit – der es als offen lebender Homosexueller in den 1960er-Jahren in Baden-Württemberg schafft, dem Stuttgarter Ballett zu Weltruhm zu verhelfen. Auch das ist wieder ein Arthouse-Film, aber absolut sehenswert. Speziell in der heutigen Zeit, in der wir ständig darüber diskutieren, wie woke alles sein muss. Ich habe in Zeiten gelebt, da ging es richtig schwer zur Sache mit Künstlern wie David Bowie oder Bands wie „The Sweet“. Das Infragestellen tradierte Rollenbilder ist ja kein aktuelles Phänomen.

Die Siebziger und Achtziger Jahre waren also mutigere Zeiten?

Auf jeden Fall radikaler: Kampagnen wie „Mein Bauch gehört mir“, der Kommune 1, Demos gegen Atomkraft. Das waren wahnsinnig starke Kräfte, die da gewirkt haben. Auch in der Musik und in der Literatur hat man sich viel mehr getraut. Heute musst du nur einen falschen Satz sagen und wirst wie die Sau durchs Dorf getrieben.

Schränkt Sie diese Art von „Cancel Culture“ in Ihrer Kreativität ein?

Nein, das Gute am Älterwerden ist die größere Erfahrung, aus der man schöpfen kann. Mich sorgt aber, dass sich die junge Generation zu sehr selbst reglementiert. Da wünsche ich mir mehr Mut. Ich selber lasse mich nicht aufhalten oder mir den Mund verbieten.

Sind Ihre Filme auch ein Beitrag dazu, gesellschaftliches Zusammenleben zu verbessern?

Natürlich, das ist immer meine Motivation. Vor allem der Film „Contergan“ hat mich da massiv geprägt. Ich war mehr als zwei Jahre vor Gericht, da das Pharmaunternehmen Grünenthal den Zweiteiler damals verhindern wollte. Und es ist in vielerlei Hinsicht mein wichtigster Film, weil er dafür gesorgt hat, dass es den 2500 Contergan-Geschädigten heute deutlich besser geht. Ich will dafür sorgen, dass Menschen nicht vergessen werden. Das war eine große Motivation, in diese Richtung weiterzumachen.

Welches Projekt nehmen Sie sich als nächstes vor?

Ich versuche, den Bottroper Apothekenskandal zu verfilmen. Auch dieser Pharmawahnsinn beschäftigt mich sehr. Ich habe die Rechte daran von dem Whistleblower Martin Porwoll erworben. Das Thema ist nicht einfach zu verfilmen, aber das reizt mich umso mehr.