Essen/Duisburg. Paul Hofmann hat Dokus über die Malocher-Ära gesammelt und zeigt sie landesweit. Immer wieder kommt es dabei zu berührenden Momenten.
Es war eine Zeit des Umbruchs. Der Bergbau verlor an Bedeutung, überall im Ruhrgebiet wurden Zechen stillgelegt. Auch die Arbeitersiedlung Eisenheim in Oberhausen war bedroht: Die Menschen fürchteten um ihre Häuser, das Gelände sollte verkauft werden. Paul Hofmann erinnert sich. Mitte der 70er stieß er als junger Sozialwissenschaftler zu der Initiative, die für den Erhalt der Wohnstrukturen kämpfte. Vor Ort war es Roland Günter, damals Professor in Bielefeld, der die Proteste schriftlich und mit der Kamera begleitete. Die Geburtsstunde eines Projekts, das für Hofmann zur Lebensaufgabe werden sollte. Heute bündeln sich in seiner „Kinemathek im Ruhrgebiet“ über hundert Jahre Film- und Sozialgeschichte.
Ein Lebenswerk? Nun ja. Zumindest lässt Paul Hofmann es so stehen. Beinahe 50 Jahre sind vergangen, seit er begann, das filmische Erbe des Reviers zu bewahren; Roland Günters Doku „Rettet Eisenheim“ ist heute ein Herzstück seiner Sammlung. „Ein Klassiker“, sagt Hofmann, „eine Ikone.“ Der Prototyp der Arbeitersiedlungsfilme.
Die Bestände der Kinemathek des Ruhrgebiets lagern in Duisburg
Aber Hofmann hat ja alles. Seine Bestände füllen in seiner Wahl-Heimat Duisburg inzwischen mehrere Depots: Filme in allen möglichen Formaten. 8-, 16- und 35mm, Disketten, Videos, DVD, Blu Ray. Dazu gesellen sich Abspielgeräte, Schneidetische und vor allem ein unfassbares Knowhow. Hofmann ist im Ruhrgebiet längst so etwas wie eine Institution. Er liefert Wissen für Publikationen. Er unterstützt Fernsehsender bei Produktionen. Er organisiert, bestückt und moderiert Filmabende, die nicht nur in Kinos, sondern auch in Museen, Schulen, Altentagesstätten oder an Orten wie der Jahrhunderthalle in Bochum stattfinden. Dazu reist er mit seiner Kinemathek quer durchs Revier.
Aktuell ist er an der Schau „Glückauf - Film ab! Kino- und Filmgeschichte des Ruhrgebiets“ im Ruhrmuseum auf Zollverein in Essen beteiligt: Die gesamte Abteilung Dokumentarfilm dort geht auf Hofmanns Kappe. „Sie erzählt im Grunde das, was ich die letzten Jahrzehnte gemacht habe“, überlegt er. Dokus bilden das Herzstück des Filmlands NRW. Sie machen bis zu 80 Prozent des heimischen Bestands aus.
Hofmann ist ein zurückhaltender Mensch. Optisch ein 68er, wie man ihn besser nicht erfinden könnte: groß, asketisch, Zopf, Ohrring. Er selbst mag nicht im Mittelpunkt stehen; es ist schwer, ihn für ein Gespräch zu gewinnen. Aber für seine Sammlung erzählt er dann doch.
„Das Ruhrgebiet im Film“, eine Sonderschau bei den Oberhausener Kurzfilmtagen
Damals, 1976, riefen er, Filmautor Roland Günter und dessen Frau Janne ein Forschungsprojekt ins Leben. Unterstützt durch einige Institutionen begannen sie zu recherchieren, welche Filme über das Ruhrgebiet es gab. Zwei Jahre tingelten sie durch die Film- und Fernseharchive und suchten alles zusammen. Am Ende standen 1100 Titel, zwei Bände katalogisiertes Material, dazu erste eigene Originale und Kopien. Hofmann: „Der Beginn der regionalen Filmgeschichtsschreibung. Sowas hatte es in Deutschland bis dahin noch nicht gegeben.“ 1978 konnten sie bei den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen 43 Beiträge über das Ruhrgebiet zur Wiederaufführung bringen. „Das Ruhrgebiet im Film“ war eine vielgelobte Sonderschau.
Günter wandte sich der Industriekultur und Denkmalpflege zu, Hofmann machte weiter. „Ohne Auftrag, ohne Erfahrung“, wie er sich heute schmunzelnd erinnert. Er fuhr mit seinem Bus die Städte ab, sammelte, was er bekommen konnte. In den 80ern änderten sich die Formate. Die Geburt der Videocassette. Folge: Er erhielt ganze Verleihbestände von Schulbildstellen und Bibliotheken; unter anderem vermachte ihm der Landesfilmdienst NW sämtliche Restbestände an 16-mm-Kopien. 1988 gründete Hofmann dann seine Kinemathek im Ruhrgebiet, wobei er auf das „im“ den größten Wert legt: „des Ruhrgebiets“ würde eine Vollständigkeit suggerieren, die er nicht einhalten kann.
Bis zu 5000 Revier-Dokus hat er bis heute erfasst – und weiß, wo sie sich befinden. Wie viele er besitzt, kann er nur schätzen: „Es müssen tausende sein“. Unter anderem zählen die Sammlung von Oase-Film und die des Filmemachers Michael Lentz dazu. Hofmann lagert sie, um sie vor dem Verlust zu bewahren und sie wieder sichtbar zu machen, wie er sagt: „Nur im Regal nutzen sie ja nichts.“
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Der älteste Film ist von 1908, ein Trauerzug für die Opfer eines Grubenunglücks auf der Zeche Radbod in Hamm. Hier hat er nur eine Kopie, das Original liegt in London. Hofmann hat Filme über den Bergbau vor 1945, Propagandamaterial der Nazizeit, Stadtporträts der 1950er, Industriefilme, Dokus über die Malocher-Ära und ihr Ende. Sportreportagen wie den der Ankunft der Fußballer von Rot-Weiss Essen nach dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft 1955. Und ja, auch Spielfilme hat er, darunter Raritäten wie rund 150 DEFA-Streifen aus der ehemaligen DDR.
„„Dann ist das erreicht, was meine Arbeit sinnvoll macht: Menschen zu erinnern und zusammenzuführen.““
Paul Hofmann zeigt eine Kino-Schau im Ruhrmuseum auf Zollverein
Derzeit treibt ihn die digitale Erfassung seiner Sammlung um. Eine Mammutaufgabe, die Jahre beanspruchen wird und obendrein finanziert werden müsste. Und da sind noch so viele andere Dinge, die es zu erledigen gilt. Aktuell tüftelt Hofmann am Herbstprogramm für die Kino-Schau im Ruhrmuseum. Zehn Doku-Abende auf Zollverein gilt es zu gestalten.
Seine Schätze zu präsentieren, macht ihm immer noch den meisten Spaß. Vieles ist ihm im Gedächtnis geblieben, etwa eine Vorführung am Jahrestag der Schließung der Zeche Graf Bismarck in Gelsenkirchen-Erle. Filmemacher Wilhelm Bittorf („Der Untergang der Graf Bismarck. Reportage einer Zechenschließung“) traf dort auf Bergleute, die er bei ihrer allerletzten Schicht porträtiert hatte. „Das waren bewegende Szenen“, sagt Hofmann. „Für mich sind das die Sternstunden. Dann ist das erreicht, was meine Arbeit sinnvoll macht: Menschen zu erinnern und zusammenzuführen.“