Bochum. Aktivistin Evelyne Cynk aus Bochum will nach Irland auswandern. Der LWL legte ihr Hindernisse in den Weg. Wie sie es trotzdem schaffte.
Seit drei Jahren kämpft Evelyne Cynk dafür, endlich ihre Rechte als EU-Bürgerin wahrnehmen zu dürfen, vor allem ihr Recht auf Freizügigkeit. Ein Kampf, der ihr fast alles abverlangt hat, zwischenzeitlich drohte der Behindertenaktivistin, die wegen einer Schwerbehinderung auf den Rollstuhl angewiesen ist und eine 24-Stunden-Assistenz benötigt, sogar eine Räumungsklage. Und das vor allem, weil sich die deutschen Behörden auf bürokratische Vorschriften berufen haben, die dem EU-Recht entgegenstehen. Doch jetzt scheinen die Hürden aus dem Weg geräumt - und Evelyne Cynk wird in diesem Sommer trotzdem nach Irland auswandern.
Deutsche Bürokratie hielt die Rollstuhlfahrerin in Bochum
Eigentlich schien die Zukunft vor drei Jahren rosig zu sein: Cynk hatte eine Zusage für einen Master-Studienplatz am renommierten University College Cork (UCC) für Kreatives Schreiben; ebenso für ein sechsmonatiges Praktikum beim Literaturmagazin „The Stinging Fly“ in Dublin; mehrere Jobangebote gab es auch. Und nach fünf Jahren vor Ort könnte sie in Irland eingebürgert werden. Diese Zeitung schrieb damals: „Evelyne Cynk hat einen Traum. Sie wünscht sich nichts sehnlicher, als nach Irland auszuwandern, auf die grüne Insel.“
Allein die deutsche Bürokratie stand diesem Traum vom Auswandern im Weg, denn der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) hätte die Kosten für Assistenzleistungen im Ausland übernehmen müssen. Das geht aber laut Sozialgesetzbuch nur, wenn der Aufenthalt im Ausland lediglich vorübergehend angestrebt ist und nicht permanent. Die Ironie: Wenn der irische Assistenzdienst Home Care Direct (HCD) die 24-Stunden-Assistenz übernommen hätte, wäre sie laut Kostenvoranschlag sogar noch günstiger gewesen als in Deutschland. Auf die 60 Monate bis zur Einbürgerung von Evelyne Cynk nach Irland hätten die deutschen Behörden 1000 Euro pro Monat gespart, also insgesamt 60.000 Euro. Aber die Vorschriften waren dagegen.
Räumungsklage durch das Akademische Förderungswerk drohte
Die Lage spitzte sich im vergangenen Herbst abermals zu, als das Akademische Förderungswerk Bochum (Akafö) Cynks Mietvertrag nicht verlängern konnte, weil sie keine Studentin in Bochum mehr war. Auch hier wieder die Ironie: In Irland hätte ihr damals sofort eine barrierefreie Wohnung zur Verfügung gestanden, wenn man sie nur hätte auswandern lassen. In Bochum drohte ihr sogar eine Räumungsklage, zu der es glücklicherweise nicht gekommen ist. Aber: „Ich habe auch jetzt offiziell immer noch keinen Mietvertrag und kein Wohnrecht“, erzählt Cynk. Aber immerhin droht ihr auch nicht mehr die Räumung, ehe sie nach Irland auswandern kann.
„Ich kann von Glück reden, dass ich nicht nur so viel Support in Irland hatte, sondern auch persönlichen Support von Freunden und Aktivisten, wohingegen mir der LWL eigentlich nur im Weg stand“, fasst Cynk zusammen. Eigentlich hätte ihre Geschichte schon im vergangenen Herbst zu einem glücklichen Ende kommen können, denn Evelyne Cynk hatte eine erste Zusage zur Kostenübernahme durch den irischen Kostenträger Health Service Executive (HSE) in Cork, die dann aber im letzten Moment doch zurückgezogen wurden, weil zu diesem Zeitpunkt kein ausreichendes Budget vorhanden war. Was einem skeptischen Menschen in Deutschland auf den ersten Blick wie eine Ausflucht erscheinen mag, war tatsächlich ein triftiger Grund. Denn: Als der HSE dann tatsächlich das Budget zur Verfügung hatte, wurde das Geld Evelyne Cynk auch zur Verfügung gestellt.
Irische Behörden arbeiteten viel schneller und zuvorkommender als die deutschen
„Die Iren haben wirklich Himmel und Hölle bewegt. Der HSE war mir ja von Anfang an recht wohlgesonnen, hatte allerdings zunächst noch keine Finanzierungsmöglichkeiten. Aber sobald die neuen Finanzierungsmöglichkeiten da waren, haben sie mir sofort Bescheid gesagt. Und das Pilotprojekt, das ich jetzt darstelle, zum Laufen gebracht. Die ganze Bedarfsermittlung und alles Weitere hat auch nur einen Monat gedauert, dann war alles klar und unter Dach und Fach. Ich schüttle da regelmäßig ungläubig und positiv überrascht den Kopf, wie angenehm manche Organisationen auch sein können. Sie haben mir den Rücken gestärkt, das ist im Vergleich zu Deutschland wirklich ein Unterschied wie Tag und Nacht. Irland hat mich als Mensch und als europäischer Bürger anerkannt“, sagt Evelyne Cynk.
Cynk ist nun der erste Fall, der vom Einwanderungsland eine 24-Stunden-Assistenz finanziert bekommt. „Dadurch mache ich halt auch vieles für Menschen mit Behinderung in Irland und in ganz Europa möglich.“
Der Kampf für die Freizügigkeit von Menschen mit Behinderung geht weiter
Nach ihrem persönlichen Erfolg ist der Kampf für die Bochumerin allerdings noch lange nicht vorbei. Denn es gibt mehr Menschen mit Behinderung in Europa, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch machen möchten, sich aber durch die Behörden eingeschränkt sehen. „Jetzt, wo ich es geschafft habe, sehe ich es quasi als meine aktivistische Pflicht an, die Problematik auch auf europäischer Ebene weiterzutragen. Mein Fall kann als Präzedenzfall genutzt werden, um die Mitgliedsstaaten leichter und schneller auf einen Konsens zu bringen. Das jetzt ist noch nicht das Ende der Fahnenstange“, verspricht die Bochumerin.
Die muss sich dennoch zunächst erstmal auf den eigenen Umzug konzentrieren. „Es steht noch nicht so ganz fest, aber der Umzug wird in den nächsten ein, zwei Monaten stattfinden, ich peile Ende Juli an, aber ich muss. Ich muss halt gucken, weil meine Hilfsmittel und andere Dinge noch abgeholt werden müssen.“
„Zur Not hätte ich noch drei Jahre weitergekämpft“
Für Evelyne Cynk ist es trotzdem der vorläufige Abschluss eines dreijährigen Kampfes, der ihr sehr viel an Kraft und Nerven abverlangt hat. „Aufgeben war für mich keine Option. Zur Not hätte ich noch drei Jahre weitergekämpft. Einfach, weil ich wusste, dass ich im Recht bin. Außerdem weiß ich halt, was ich kann. Ich glaube die Tatsache, dass ich dreimal hintereinander den Studienplatz zugesagt bekommen habe, spricht ganz klar dafür. Ehrlich gesagt bin ich ein bisschen stolz auf mich, dass ich die Zähne zusammengebissen habe und gesagt habe: Nee, ich akzeptiere das nicht.“
Wenn sie erstmal vor Ort in Cork ist, wird sie zunächst in ein Studentenwohnheim ziehen - und sich erst später eine behindertengerechte Wohnung suchen. Zunächst kommt es darauf an, vor Ort zu sein und das Studium aufzunehmen, um dann schon ans schriftstellerische Schaffen zu gehen. Und Dublin, mit seiner lebhaften Literaturszene, ist auch nur zweieinhalb Stunden mit dem Auto entfernt. Wenn alles gut geht, wird sich für Evelyne Cynk dann ihr größter Traum erfüllt haben. Nicht, weil ihr irgendetwas in den Schoß gefallen ist, sondern weil sie hart und beharrlich für ihren Traum gekämpft hat.