Essen. „Wir wollen einen Avatar aus Opa machen“: Eine Doku berichtet über das Geschäft mit Trauernden. Ein spannender Beitrag mit Schwächen.
Jang Ji-Sung trauert um ihre Tochter. Sie bereut ihre letzten Worte und würde alles dafür geben, noch einmal mit dem verstorbenen Kind sprechen zu können. Joshua Barbeau hat Jessica verloren, die Liebe seines Lebens. Sie fehlt ihm jede Minute. Christi Angel konnte sich von ihrem besten Freund nicht mehr verabschieden. Das will sie unbedingt nachholen. Drei Menschen, die in ihrer Verzweiflung zu einem ungewöhnlichen Mittel griffen. Mit Hilfe cleverer Startups nutzten sie die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz, um Tote wieder auferstehen zu lassen.
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Reale Horrorszenarien (allein das Baby auf dem Filmplakat ist furchterregend!), aus denen die beiden deutschen Autoren und Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck („The Cleaners“) einen aufregenden Dokumentarfilm gemacht haben. Sechs Jahre hat es gedauert von der Idee bis zum fertigen Produkt – nun berichtet „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ vom Geschäft mit dem Tod. Und alles beginnt mit der Frage einer Frau am Computer: „Wenn du die Chance hättest, mit jemandem zu sprechen, der gestorben ist und den du liebst – würdest du es tun?“
„Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ erzählt von Betroffenen
Denn eigentlich geht es um Hoffnung; die Zeit vielleicht doch zurückzudrehen. Oder auch, jemanden für immer festhalten zu können, wie etwa im Fall von Stephenie Oney, die Startups mit einem Voicebot-Klon ihres toten Vaters beauftragte, damit sich die Urenkel weiter mit ihm unterhalten können („Wir wollen einen Avatar aus Opa machen“).
Kuriose Beispiele in einem Film, in dem Block/Riesewieck in erster Linie Betroffene zu Wort kommen lassen. Am Ende werden diese ein Urteil fällen über Sinn und Unsinn der technischen Reanimation.
In ihrer seelischen Not wandten sie sich an Unternehmen wie „Here After“, „Soul Machines“, „You, Only Virtual“ oder auch „Project December“. Dessen Gründer Jason Rohrer, Spieleentwickler und ein Nerd, der in seiner Garage tüftelt, war einer der ersten, der mit Künstlicher Intelligenz experimentierte. Wir sehen Joshua beim Chatten mit seiner toten Jessica. „Jessica, wo bist du“, tanzen die Buchstaben über den Bildschirm. Antwort: „Irgendwo im Internet“. Aber was ist, wenn der Tote anders reagiert? Wenn er oder sie Dinge schreibt, die man nicht verarbeiten kann?
„Eternal You“ berichtet von SMS und E-Mails als Quellen für KI
Gruselig? Das ist ein Teil der Wahrheit. Der andere sind clevere Systeme, die „digitale Brotkrümel“, etwa aus Mail, WhatsApp- und SMS-Verkehren, mit Informationen über Verstorbene verknüpfen. Nun, das ist irgendwie noch nachvollziehbar. Anderes nicht. Bei einem Gespräch wundern sich zwei Entwickler über eine zornige Reaktion des „Toten“. Und selbst Sam Altman, Geschäftsführer von ChatGPT, erklärt vor dem Justiz-Ausschuss des US-Senats, dass es im Umgang mit der KI Dinge gibt, die man sich auch als Experte nicht erklären kann. Kollege Jason Rohrer sagt „Magie“ dazu.
Kritiker und Entwickler kommen in „Eternal You – Vom Ende der Endlichkeit“ zu Wort
Kritiker kommen ebenso zu Wort wie eine Psychologin und Entwickler, die in den USA, Neuseeland, Kanada oder Südkorea am ewigen Leben als Chatpartner oder Avatar tüfteln – Amazon und Microsoft hätten, so heißt es, längst Patente angemeldet. Kamera- und Drohnenfahrten führen über einsame Wälder, die Häuserschluchten von Los Angeles und Smart-Citys wie Sejong-Si in Südkorea, über allem der Schatten der Vögel. Dazu kredenzen Raffael Seyfried und Gregor Keienburg einen mal treibenden, mal melancholischen Elektrosound, der ebenfalls mit Hilfe einer künstlichen Stimme entstand.
Rein ästhetisch ist diese Doku eine Wucht und Wonne. Inhaltlich wirft sie wichtige Fragen auf, verliert sich aber schließlich im Geschichten-Erzählen. Und wenn am Ende die Mutter Jang Ji-Sung in der koreanischen Fernsehsendung „Meeting You“ mit VR-Brille und Spezial-Handschuhen ihre Tochter als Avatar ertasten und endlich wieder umarmen kann (35 Millionen Klicks im Internet!), drückt der Film nicht weniger auf die Tränendrüse als die TV-Show. Realität kann schrecklich sein.