Eydernorn. „Die Insel der Tausend Leuchttürme“: Walter Moers gelingt ein Mythenmetz-Roman mit drohendem Weltuntergang, über den man herzlich lachen kann.
Wenn Walter Moers ein paar Elemente eines nicht ganz unbedeutenden Werks der deutschen Hochliteratur, bekannt „Zauberberg“ eines gewissen Thomas Mann, in seine Fantasiewelt Zamonien hinüberträgt, dann wird es monumental. Aber es ist auch klar: Der Schauplatz kann unmöglich im Gebirge liegen. Und so wandelt der Lindwurm und Dichterfürst Hildegunst von Mythenmetz nun über „Die Insel der Tausend Leuchttürme“ namens Eydernorn, deren Name auch für schlichtere Silbenzerhäcksler verdächtig nach einem ostfriesischen Eiland klingt und dem Helden einige wahrhaft außerfriesische Abenteuer beschert.
Und selbstverständlich ist der Titel pure Mythenmetzsche Übertreibungswut, denn auf Eydernorn stehen gerade einmal 111 Leuchttürme – und alle werden von genialischen Leuchtturmwärtern betreut, die ein äußerst nebulöses Geheimnis wahren.
Vögel heißen „Strandlöper“ und „Fackelfisch“ ist ein Tiefseefisch-Restaurant
Mythenmetz ist reif für die Insel, weil seine Bronchien an einer Bücherstaub-Allergie leiden, die er sich in der Stadt Buchhaim zugezogen hat. Er kommt aber auch, um die Schrulligkeiten der Inselbewohner zu studieren und schlicht, um Erholung und Inspiration zu finden.
Wenig überraschend in einem Zamonien-Roman: Die Insel wimmelt nicht nur vor Kuriositäten aus Flora, Fauna, Kunst und Kulinarik. Der Dichterfürst hat einige eigenwilligen Begegnungen mit den tölpeligen Vögeln namens Strandlöper, mit einem Tiefseefisch-Restaurant namens „Fackelfisch“ und einer bemerkenswerten Sportart namens „Kraaken fiecken“, die verdächtige Ähnlichkeit mit unserem Golf hat.
Walter Moers und Sven Regener, die beiden Ausnahme-Literaten des Landes
Und während man noch denkt, dass der als Briefwechsel erzählte Roman nichts weiter als eine heiter-amüsante Fantasy-Reiseerzählung ist, die kurioserweise nur aus den unbeantworteten Briefen von Mythenmetz an seinen Freund Hachmed Ben Kibitzer besteht, nimmt nach mehr als 250 Seiten plötzlich auch die Handlung an Fahrt auf: Mythenmetz trifft den greisen Lindwurm namens Gryphius von Odenhobler, der ihn auf die Spuren des mysteriösen Quaquappa bringt. Und von hier an steuert eigentlich alles auf einen Weltuntergang zu, den Mythenmetz gern verhindern würde.
Es gibt in der deutschen Populär-Literatur eigentlich nur zwei Bestseller-Autoren, deren Erfolgsgeheimnis vor allem in schrecklich amüsantem, oft geistreichem Herumschwadronieren liegt – auch wenn sie es auf völlig unterschiedliche Art tun. Der eine ist Sven Regener, bei dessen „Herr Lehmann“-Büchern das Geheimnis in ihrem rotzigen Sound liegt, in den treffenden Beobachtungen von Zeitgeist und Subkulturen, und darin, dass viele Figuren sich gegenseitig pointiert provozieren.
Hochliteratur und Pennälerwitze
Ganz anders Walter Moers, dessen Zamonien-Romane eigentlich aus der Welt des Käpt’n Blaubär stammen. Aber wenn sie um den Lindwurm und Dichterfürsten Hildegunst von Mythenmetz kreisen, sind sie in einem selbstverherrlichenden Tonfall verfasst, der keinen Zweifel daran lässt, dass sich der Verfasser an den großen literarischen Genies unserer Geschichte orientiert. An Herman Melville mit seinem „Moby Dick“ etwa oder an Gottfried Benn – all dies wird in eine feinsinnige Persiflage auf Literatur, Kulturbetrieb, Gastrokritik, Sport und Filmgeschichte gepackt, die zu analysieren gewiss für die ein oder andere Doktorarbeit taugen würde.
Andererseits wird aber auch nicht vor halbgaren Pennälerwitzen zurückgeschreckt, denen man die diebische Freude des Walter Moers anmerkt – sein „Kleines Arschloch“ ist eben doch noch nicht tot. Und das ist das Schöne an der „Insel der Tausend Leuchttürme“ und den anderen Zamonien-Romanen: Literatur ist, wenn man trotzdem lacht.
Walter Moers: Die Insel der Tausend Leuchttürme. Roman. Penguin-Verlag, 656 Seiten, 42 Euro. Hörbuch gelesen von Andreas Fröhlich (3 MP3-CDs, ca. 21 Stunden). Live: Lesung mit Christoph-Maria Herbst (u.a. „Stromberg“), 9.11. Köln, Theater am Tanzbrunnen.