Pulheim-Brauweiler. Die tausendjährige Benediktinerabtei vor den Toren Kölns hat eine düstere Vergangenheit. Eine neu eingerichtete Ausstellung macht sie präsent.
Der Zynismus des Reporters ist kaum zu überbieten: „Dort wo Deutschland verkörpert wird durch Treue, durch Gottglauben, durch blühende Gärten und grünes Feld, durch Zeugen deutscher Geschichten und deutschen Ruhmes, dort schützt sich Deutschland vor den Menschen, die alles dies zerstören wollten. Gibt es ein besseres Erziehungsmittel?“ So schließt Herbert Koch seine ganzseitige Reportage in der „Essener Nationalzeitung“ vom 20. August 1933 mit der Überschrift „So sieht ein Konzentrationslager aus“.
Koch beschreibt eine „Sommerfrische“, einzig die Gitter vor den Fenstern scheinen die Abtei vor den Toren Kölns von einer Ferienanlage zu unterscheiden. Der befragte Kommunist beklagt allein, das ihm die Literaturauswahl in die Bibliothek nicht zusagt. Das Hauptproblem für die 800 Menschen sei, dass es nur für 200 Arbeitsmöglichkeiten gebe. Also eine Woche Arbeit. „Dann haben die Herren Kommunisten wieder drei Wochen Ruhe.“
Abtei Brauweiler bietet einen Blick in die düsteren Zellen der ehemaligen Arbeitsanstalt
Der Raum allerdings, in dem dieser Zeitungsartikel in Originalgröße zu lesen ist, straft den Text Lügen. Selbst heute, hell erleuchtet, strahlen die Kellergewölbe des ehemaligen Frauenhauses der Arbeitsanstalt etwas Düsteres aus. Links und rechts vom Gewölbegang können Besucherinnen und Besucher in die Einzel- und Gemeinschaftszellen blicken.
Im Gang lenkt ein kleines Kästchen in Augenhöhe den Blick auf die diversen Putzschichten. Immer wieder wurden die Wände übertüncht. Doch in den Zellen haben die Historiker des Denkmalamtes im Landschaftsverband Rheinland (LVR) sorgsam die Inschriften gesichert: Herzchen, Kalender zur zeitlichen Orientierung, Namen, Daten – sogar ein Gedicht wurde gefunden. Hier haben die Gefangenen mit Fingernägeln und womöglich mit Essgeschirr die wahre Geschichte des Ortes in die Wände geritzt. Die Geschichte der tausendjährigen Abtei Brauweiler, sie hat auch mehrere sehr dunkle Kapitel.
Bereits seit 2008 betreibt der heutige Eigentümer, das LVR-Denkmalamt, eine Gedenkstätte in eben diesen Kellerräumen, um auch die eigene Geschichte und die Geschichte der Vorgängerorganisationen zu dokumentieren, zu bewahren und ihre Botschaft in die Zukunft zu tragen. Bislang jedoch waren die Räume einzig im Rahmen von angemeldeten Führungen zugänglich. Dank einer Investition von rund 285.000 Euro, von denen die NRW-Landeszentrale für Politische Bildung knapp zwei Drittel beitrug, sind die Räume jetzt barrierefrei und mit einem zweiten Fluchtweg versehen, sodass der Besuch nicht mehr nur nach Anmeldung und in Kleingruppen möglich ist, sondern für jeden zu üblichen Öffnungszeiten.
Abtei Brauweiler: Schicksalsort in der Vergangenheit, ein Lernort in der Gegenwart
„In der Konzeption der Ausstellung haben wir zwei Betroffenengruppen im Fokus“, erläuterte Ulrike Lubek, Direktorin des LVR. Zum seien das „die Menschen, die hier Unrecht erfahren haben und ihre Angehörigen“. Immer häufiger kämen sie nach Brauweiler, um diesen Schicksalsort ihrer persönlichen Lebensgeschichte kennenzulernen oder wieder zu entdecken.
Zum anderen soll die Geschichte des Ortes an Jugendlichen vermittelt werden. „Das ‚Nie wieder‘ soll hier Ausdruck finden. Was ist hier passiert? Wie kann aus Demokratie Diktatur entstehen? Was sind die subtilen Mechanismen der Verführung zu Hass und Hetze?“
Passiert ist in Brauweiler schon einiges, bevor die Nationalsozialisten fast unmittelbar nach der Machtübernahme 1933 die im Wortsinne naheliegende Anstalt als eines der ersten Konzentrationslager im Land nutzten. Unter Napoleonischer Herrschaft wurde aus der heute tausendjährigen Benediktinerabtei ab 1802 ein „Bettlerdepot“.
Alkoholabhängige, Obdachlose, Prostituierte, viele Kleinkriminelle wurden hier in die „Korrigieranstalt“ geschickt mit der Behauptung, durch Zwangsarbeit finde so etwas wie Resozialisierung der Betroffenen statt. Diese Arbeitsanstalt bestand bis 1969. „Ab nach Brauweiler!“ war ein in großen Teilen des Rheinlandes gefürchteter Satz.
Wo Auguste Adenauer in der Abtei Brauweiler zum Verrat gezwungen wurde
In der NS-Zeit wurden hier zunächst politische Gegner des Regimes inhaftiert, nach den Novemberpogromen 1938 auch mehrere hundert Juden aus dem Rheinland: eine letzte Zwischenstation vor dem Transport ins KZ Dachau. In der Endphase des Regimes wurde die Abtei zum Gestapo-Gefängnis. Zwei Sonderkommandos waren hier stationiert. Zu den berühmtesten Insassen zählten Widerstandskämpfer der „Action Catholique“, der Edelweißpiraten und Auguste Adenauer.
Die Gattin des von den Nazis abgesetzten und aus der Haft geflohenen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer wurde hier gezwungen, den Aufenthaltsort ihres Mannes preiszugeben, der sich in den Westerwald geflüchtet hatte und dann kurzzeitig ebenfalls in Brauweiler inhaftiert wurde. Die Folter und der Verrat erschütterten Auguste Adenauer derart, dass sie nur wenige Monate nach Kriegsende starb.
Diese und etliche andere Geschichten der düsteren Seite der so idyllischen Abtei, von deren Hügel aus man in der Ferne die Türme des Kölner Doms sehen kann, sind nunmehr auf rund 340 Quadratmetern zu sehen, auch ohne Führung erschließbar und mit zweisprachigen Texttafeln (deutsch/englisch) versehen.
Ausstellung in der Abtei Brauweiler 0hne Voranmeldung gratis zugänglich, dienstags bis sonntags 9-17 Uhr
Über QR-Codes lassen sich Zeitzeugen-Gespräche ablauschen und ausführliche Biografien abrufen. Die Namen der Opfer, sie werden indes schon jetzt und kontinuierlich genannt, während ein Beamer die Namen auf eine der Zellenwände wirft. Schülerinnen und Schüler unter anderem aus Düsseldorf haben sie eingesprochen.
Noch, das betont auch die Leiterin des LVR-Denkmalamtes, Christine Hartmann, ist die Historie nicht komplett aufgearbeitet. Die Ausstellung wird somit womöglich noch ergänzt und erweitert. Geöffnet ist die gratis zugängliche Ausstellung im ehemaligen Frauenhaus der Abtei Brauweiler dienstags bis sonntags von 9 bis 17 Uhr, außer an Weihnachten und im Karneval.