Recklinghausen. Recklinghausen: Stefanie Reinsperger als Thomas Bernhards „Der Theatermacher“ - das Gastspiel des Berliner Ensemble wurde zum Ereignis.
Da haben wir sie dann doch noch: die klassischen Festspiele. Überragende Schauspieler, ein grandioses Stück, Regie erster Güte: Das Publikum im Ruhrfestspielhaus hob mit seinem Jubel fast den Saal aus den Angeln, Thomas Bernhards „Theatermacher“ zu feiern. Das Berliner Ensemble war zu Gast in Recklinghausen.
Ruhrfestspiele Recklinghausen: „Der Theatermacher“ reißt das Publikum hin
Oliver Reeses Inszenierung genießt längst Kultstatus. Vordergründig könnte man glauben, das habe seinen Grund in der Theatermacherin, also einer Frau in der Hauptrolle. Tatsächlich aber ist es Minuten nach dem bronchial-zuckenden Beginn völlig bedeutungslos. Was Stefanie Reinsperger in diese Rolle hineingibt, unterwirft sich keinem modischen Gender-Diktat, das ist einfach Menschenbildnerei allererster Güte.
Wir erinnern uns: Dieser Theatermacher Bruscon ist ein selbsterklärter Gott der Bühne. Tatsächlich aber schmiert er sich mit einem brutal unterjochten Ensemble, das ausschließlich aus Familienmitgliedern besteht, durch die tiefste Provinz. Verlotterte Gasthöfe (Bühne Hansjörg Hartung) - links die Kirche, rechts der Schweinemastbetrieb - beherbergen die Bretter, die Bruscons Welt bedeuten. Und immer gibt es nur ein Stück, „Das Rad der Geschichte“.
„Der Theatermacher“ ist eines der besten Stücke Thomas Bernhards (1931-1989), eine von Hass durchtränkte Liebeserklärung ans Theater, aber es braucht auch die Besten. Und das Berliner Ensemble hat sie. Selbst Ältere, die noch den donnernden Traugott Buhre, den irrlichternden Lambert Hamel oder den Neurosen-König Ulrich Wildgruber als Bruscon haben erleben können, dürfen sich verneigen vor diesen pausenlosen 135 Minuten, deren Güte nicht zuletzt eine nahezu perfekte Timing-Balance von brausendem Klamottentempo und Elegien kompletten Versagens ausmacht.
Ja, gewiss, es ist der Abend Stefanie Reinspergers. Und ihr eigentliches Kunststück ist viel mehr als das rasend und rasant sich drehene Charakter-Kaleidoskop eines vielgesichtigen Theatermonsters. Diktator und Schmerzensmann, liebesbedürftiges Kleinkind, Fleisch gewordene Allmachtsfantasie und Galle-Gewitter gegen das saublöde Feuilleton: all das ruft die 36-jährige Österreicherin mit einer berauschend zirzensischen Selbstverständlichkeit ab. Aber das eigentliche Ereignis ist doch, dass diese Parade des Clownesken in jedem Stadium vom lallenden Baby bis zur blutrünstigen Despotie nicht als „Seht her!“ die Bühne passiert, sondern so unfassbar echt, authentisch, empfunden, durchlebt wird. Da ist eben kein Theater gemacht, da ist es gelebt.
„Der Theatermacher“ vom Berliner Ensemble: grandiose Darsteller
Ein Abend ist es auch, der den Geist des Ensembles feiert, jeder hier adelt die vermeintlichen Stichwortgeber um Bruscon herum. Christine Schönfeld als dessen Frau, trompetet ihren Text, der allein aus Husten besteht, hinreißend. Aus der Tochter kitzelt Dana Herfurth heraus: ein Mündel, das Vormund sein will. Adrian Grünewald als Sohn: Opfertierchen, begnadet erzkomödiantisch porträtiert. Und erst Wolfgang Michael, Wirt der Herberge. Wann war stockende Einsilbigkeit ein solcher Sturzbach an Beredsamkeit?!
Eine der rar gewordenen Theaterabende jener Sorte, die man nicht vergisst.
Heute gibt es im Ruhrfestspielhaus noch eine weitere Aufführung, sie ist restlos ausverkauft.