Recklinghausen. Rotes Kreuz und Ärzte ohne Grenzen bühnenreif: Deutsche Erstaufführung jetzt in Recklinghausen. Unsere aktuelle Kritik.

Von Shakespeares „Coriolan“ bis zu Schillers „Wallenstein“ wandelte das Theater zuverlässig auf der Blutspur des Krieges, neu allerdings ist, dass das Internationale Rote Kreuz Stücke dieser Art mitfinanziert. Zu sehen Samstag bei den Ruhrfestspielen war die Deutschlandpremiere von „As Far As Impossible“.

„As Far As Ampossible“ erstmals in Deutschland

Spätestens der zweite Finanzier des Abends trägt den Grund für die überraschende Kooperation im Namen: „Doctors Without Borders“. Denn eben diese Ärzte ohne Grenzen bilden das vierköpfige Personal des dokumentarischen Theaterstücks. Zwei Schauspielerinnen, zwei Schauspieler geben ihnen ihre Stimmen. Was sie sagen über ihren Beruf, medizinische Hilfe zu geben in den weltweiten Zonen des Krieges, des Völkermords, der Menschenleben verachtenden Diktaturen, das basiert auf Protokollen. Der Theatermacher Tiago Rodrigues formte zum Drama, was ihm Ärztinnen und Ärzte erzählten.

„As Far As Impossible“: Vier Schauspieler sind Ärzte in Extremsituationen.
„As Far As Impossible“: Vier Schauspieler sind Ärzte in Extremsituationen. © Ruhrfestspiele 2024 | Magali Dougados

Die Aufführung beginnt im Vorhof des Projektes. Wir sehen Schauspieler, die Ärzte spielen, überrascht von einem Theater eingeladen zu sein, ihm berichten zu sollen, was ihre Arbeit ist. „It‘s a job!“ sagt einer. Eine andere: „Zeigt uns einfach als Leute, die so wenig Schaden wie möglich anrichten“. Natürlich wissen sie, dass das die bescheidene Variante ist, eine, die das Heldentum unterspielt und damit noch erhöht.

Mediziner in der Dauerkrise stellt „As Far As Impossible“ ins Zentrum eines dokumentarischen Theaters.
Mediziner in der Dauerkrise stellt „As Far As Impossible“ ins Zentrum eines dokumentarischen Theaters. © Ruhrfestspiele 2024 | Magali Dougados

Und dann kommt der Sog der Erinnerung. Er ist voll von Tod und Elend. Er läuft über von Erlebnissen, die kaum einem daheim zuzumuten sind. Nicht zuletzt, weil Leben retten für diese Menschen auch heißen kann: andere sterben zu lassen. Du hast vier Kinder, aber nur eine Blutkonserve, zwei davon sind zwei, eines fünf und eines acht. Am Ende erhält sie das Achtjährige. Denn wer in einem Land wie diesem so alt geworden ist, der hat die größte Chance, am Leben zu bleiben. „Das ist Mathematik“, sagt der Arzt. Er sagt es nicht kalt, er sagt es erschüttert über die Grenzen seiner Mission. Und dann schiebt er nach, dass das ganz offensichtlich nicht die Art von Geschichte ist, die seine Freunde daheim erwartet hatten.

Noch mehr Dokumentar-Theater

Die Produktion über Ärzte an Kriegsschauplätzen ist nicht die einzige Produktion der Ruhrfestspiele 2024, die mit dokumentarischem Material arbeitet

Am 16. Mai kommt in Recklinghausen „Hier spricht die Polizei“ zur Uraufführung. Der Abend kreist um Gewalt im Polizeialltag. Dazu hat die „werkgruppe2“ mit Hilfe der Gewerkschaft der Polizei, zahlreiche Interviews geführt mit Polizisten und Polizistinnen aus dem Ruhrgebiet geführt. Mehr Info über ruhrfestspiele.de

Der Abend hat pausenlose 110 Minuten, endend mit einem langen Schlagzeug-Solo von Gabriel Ferrandini, der von Beginn an, Rodrigues‘ Performance akustisch unterfüttert: Wie schrecklich leicht das ineinander übergehen kann, der menschliche Herzschlag und das Nachpulsen eines Bombenabwurfs....

Ruhrfestspiele: Szenen des Grauens aus dem Alltag der Ärzte

Szenisch ist der Abend komplett karg. Die Bühne entdeckt nur ein Laken-Dach, feindliches Bergmassiv und Lazarett in einem - der Ort, wo eben noch Massenvergewaltigungen stattfanden und jetzt einem Kind das Leben geschenkt wird. Es gibt keine Umzüge, kein Requisit, das Mimen-Quartett spielt ohne Ebenen, vorwiegend naturalistisch. Das ist das schlanke, ohne jede Visualisierung auskommende Kapital des Abends.

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Aber es stellt auf eine bedrückende Weise auch seine Flanke dar. Wer knapp zwei Stunden auf Französisch und Englisch (deutsche Übertitel) geflutet wird mit Textvariationen menschlicher Abgründe, kleinen Lichtblicken im Helferdasein und der Erkenntnis, dass wir hier vornehmlich von Sisyphos im weißen Kittel hören, der wird Opfer einer Lage, die wir aus den Nachrichten längst beschämt kennen. Ihn verlässt in dieser Produktion der „Comédie de Genève“ schlimmstenfalls Aufmerksamkeit und Teilnahme. Das von Rodrigues dramaturgisch durchaus klug montierte Grauen gerät unter die Räder einer selbst angefachten Inflation des Schreckens.

Noch zwei Aufführungen bei den Ruhrfestspielen Recklinghausen: Sonntag 5. Mai, 18h,Montag, 6. Mai, 19.30h. Es gibt noch Karten.