Dortmund. Zwischen Bärenfell und Asthmapumpe: Peter Konwitschny inszeniert den „Ring des Nibelungen“. Buhs und Bravos. Unsere Kritik

Man hätte es gern für einen albernen Augenblick gehalten: Wotan mit Knochenkeule, sein zänkisches Weib Fricka im Bärenfell. Eine süße Rache für die Dutzendware zwanghaft aktualisierender Inszenierungen, in denen Rigoletto, Don Giovanni oder Carmen allesamt ausschauen, als hätten sie eine Kundenkarte von Hennes & Mauritz? Aber Peter Konwitschny meint es ernst. Seine himmlischen Herrscher hausen in der Höhle. Willkommen bei den Feuersteins!

Peter Konwitschny inszeniert „Das Rheingold“ in Dortmund

Am Ende wurde kräftig gebuht, aber Bravos gab es Donnerstag Abend nicht weniger. Gleichviel: „Das Rheingold“ („Walküre“ und „Siegfried“ hatten bereits Premiere) ist Konwitschnys bisher schwächstes Glied geworden im „Ring des Nibelungen“, den er an Dortmunds Oper schmiedet. Gewiss, nirgends steht geschrieben, dass nicht einer kommen darf, das Werk mit dem Faustkeil zu bearbeiten. Wenn es nur Erkenntnisgewinn brächte. Aber die mythengespeiste Ur-Suppe, die der 79-Jährige uns einbrockt, löffelt man mit geringstem Erkenntnisgewinn aus.

Steinzeit-Ansatz im „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Peter Konwitschny inszeniert „Das Rheingold“ in Dortmund.
Steinzeit-Ansatz im „Ring des Nibelungen“ von Richard Wagner. Peter Konwitschny inszeniert „Das Rheingold“ in Dortmund. © thomas.m.jauk | TMJ

Was der Steinzeit-Ansatz (unendlich weiter zurückliegend als Wagners zentrale Quellen der zwei Edda-Werke), bringen soll, bleibt das Geheimnis des Mannes, der sich mit diesem vorwiegend oberflächlichen Abend als Regie-Dinosaurier zeigt. Einfach nur, weil es eine Geschichte vom Anfang ist, der Urknall aller Weltenbrände? Alles ist hier angelegt, was zum langen Untergang führen wird: die Unvereinbarkeit von Kapital und individueller Freiheit, der Ersatz von Lust für Liebe, die Macht, die niemand erlangt, der nicht brutale Opfer bringt. All das reduziert auf tumbe Gesellen mit Trinkhorn? Immerhin: Der listige Gott Loge („Fast schäm‘ ich mich, mit ihnen zu schaffen“) weiß schon, dass man sich an der Feuerstätte auch einen Zigarillo anzünden kann.

Wer reich ist, verlässt die Höhle und wird zur Atommacht: Joachim Goltz (als Alberich im Anzug) und Fritz Steinbacher (dessen geschundener Bruder Mime, liegend) in der Mega-City Niebelheim .
Wer reich ist, verlässt die Höhle und wird zur Atommacht: Joachim Goltz (als Alberich im Anzug) und Fritz Steinbacher (dessen geschundener Bruder Mime, liegend) in der Mega-City Niebelheim . © Theater Dortmund / Thomas M. Jauk | TMJ

Auch Wagners große Kapitalismuskritik unter Tage ist undifferenziert dick aufgetragen. Kaum ist Wotans Gegner Alberich (herausragend: Joachim Goltz) durchs geraubte Rheingold zu Reichtum gekommen, regiert er samt goldener Krawatte aus dem Bürosessel die Mega-City Niebelheim. Jeder Regie-Zugriff im „Ring“ hat seine Chiffre für Alberichs Legion der Vollstrecker seiner Weltmachtidee. Bei Christine Mielitz waren es 2005 in Dortmund noch Glatzen in Springerstiefeln. Konwitschny setzt auf ein Heer von gedungenen Wissenschaftlern. Die Tarnkappe: ein Notebook. Der Nibelungenhort: unzählige, phallisch aufragende Atomraketen.

Daten und Karten

Richard Wagner: Das Rheingold, Oper Dortmund, ca 160 Minuten, keine Pause.
Aufführungen am 19. und 24. Mai, 1. und 8. Juni.

Karten 16-52€. Kartenverkauf: 0231-5027222 und auf www.theaterdo.de

Da umweht den Abend dann traurigerweise Tagesschau-Betroffenheit, undifferenziert, dick aufgetragen wie die vom Flüchtlingsschicksal umwehte Erdgöttin Erda (Melissa Zgouridi). Der Abend beginnt in der Höhle, er endet für die Herrscherkaste im Rollstuhl. Nun, da alles erreicht ist, haben sie die Tierpelze gegen Anzug und Kostümchen getauscht, Met fließt keiner mehr, Wotan hängt an der Asthmapumpe. Die Götter haben Pflegestufe drei. Wer solchen Typen den Puls fühlt? Die Rheintöchter haben auf Krankenschwester umgeschult. Aber ein bisschen politisch, findet Konwitschny, sind die Damen auch: Die Regenbogenbrücke, die nach Walhall führt, ist ein Protestbanner gegen die Lügen der Regierenden. Man sieht nichts an diesem Abend, was man nicht schon weiß.

Peter Konwitschny, nunmehr 79, führt Regie bei „Das Rheingold“ in Dortmund. Unser Archivbild entstand 2017.
Peter Konwitschny, nunmehr 79, führt Regie bei „Das Rheingold“ in Dortmund. Unser Archivbild entstand 2017. © dpa | Bernd Weissbrod

Enthusiastisch wird neben dem Ensemble vor allem das Orchester vom Publikum gefeiert. Tatsächlich zeigt es bravouröse Brillanz, die mächtig von Wagner beschäftigten Blechbläser glänzen durchweg. Und Generalmusikdirektor Gabriel Feltz weiß den Fluss der motivischen Anspielungen mit Raffinement zu kontrollieren, farbensatt, oft irisierend schön. Mitunter war das Klang-Volumen fast zu zurückhaltend, nicht jeder Sängereinsatz saß am Premierenabend perfekt. Im Ensemble sind bei Irina Simmes‘ Freia und Ursula Hesse von den Steinens Fricka Abstriche zu machen. Kerngesund, machtvoll, fast belcantisch: Tommi Hakalas Wotan. Eine Bank: Matthias Wohlbrechts Loge, Tenor von bittersüßer Charakterschärfe. Artyom Wasnetsov und Denis Velev gaben prächtig das Riesengespann.

Konwitschny hat erklärt, jeden der vier Ring-Teile als eigene Geschichte zu erzählen, komplett unabhängig von den anderen. Wagners Musik sagt zwar das Gegenteil, aber wir werden 2025 sehen, hören und berichten, was dem dann 80-Jährigen zum mythensatten Weltuntergang namens „Götterdämmerung“ eingefallen ist.