Dortmund. „Ring des Nibelungen“, zweiter Teil. Altstar Peter Konwitschny inszeniert „Siegfried“ an der Oper Dortmund.

Samstag, Wagner, „Siegfried“, dritter Aufzug, „der Berggipfel, auf dem Brünnhilde schläft“. Harfen malen die Unschuld der Walküre im Feuerbann, aus dem Orchestergraben lassen Dortmunds Philharmoniker in Holzbläsern und tiefen Streichern bittersüße Ahnung aufsteigen, welche Gefahr grenzenlose Liebe birgt. Da erhebt in Reihe 6 ganz mitgerissen ein Zuschauer vernehmbar die Stimme: „Geil. Leipzig, drei zu eins!“

So lagen zwei Großereignisse des Ruhrgebiets einen Moment ganz nah beieinander. Zu dem, wo statt Toren nur ein Tor die Handlung vorantreibt: Siegfried, „kindischer Held“, feierte heftig bejubelte Premiere im (beileibe nicht ausverkauften) Opernhaus. Nach der „Walküre“ war es Peter Konwitschnys zweite Produktion für den Dortmunder „Ring des Nibelungen“. Für den hat der nun 78-Jährige die Reihenfolge („Das Rheingold“, eigentlich die Eröffnung, folgt 2024) verwirbelt. Dass der Griff signifikanten Schaden anrichtet, kann man nicht sagen, weil Konwitschnys Regie bislang ohnehin eher assoziativ durch die Mythen-Oper spaziert. Szenisch überragend ist dieser „Siegfried“ jedenfalls nicht geraten, ihn eine Kreativitäts-Offensive zu nennen, wäre glatte Beschönigung.

Premiere Wagners „Siegfried“ in Dortmund, starkes Orchester, gute Sänger

Worum geht es? Der dritte Teil von Wagners Riesenwerk ist erstens die komischste, zweitens eine abenteuersatte Jungs-Oper: Siegfried, Vollwaise und halbstark, wird vom bösartigem Gnom Mime aufgezogen. Doch Knabe und Kraft verselbstständigen sich, er tötet, um voranzukommen, besiegt Großvater Wotan, und erlebt erste Lust in den Armen seiner Tante: Brünnhilde. Viel Altbekanntes sieht man, Mime als bastelndes Muttchen in Kittelschürze etwa, nicht wenige der vielen Dialoge sind szenisch erwartbar gelöst. Doch immer wieder blitzt auch Konwitschnys große Gabe des Überraschungsmoments auf. Als der Held im Drachenherausfordern nicht weiterkommt, stellt die Regie ihm mit Jan Golebiowski den famos auftrumpfenden Solo-Hornisten des Orchesters zur Seite. Da zeigt einer, wie im Theater Blech zu Gold gesponnen wird – und wie sie beide die Klingen kreuzen: Herrlich!

So hielten uns bei manch schwacher Lösung in der auf Dauer wenig erhellenden Enge von abgeranzten Wohncontainern (Bühne Johannes Leiacker) über die fünf Stunden neben der unkaputtbaren Wirkmacht der Musik ein paar juxige Einfälle bei der Stange. Wotan und Mime traf man beim Kampftrinken an. Und Fafner, von dem wir stets dachten, er könne als Drache nicht das Geringste mit dem vielen Gold anfangen, zeigt Schönlebe nach Zuhälter-Art: Adilette trifft goldene Badewanne. Einerseits Altherrenfantasie, andererseits rasant aufgewertet: Der Waldvogel, der Siegfrieds Karriere wegweisend anpfeift, ist eine keineswegs naive Federfee in roten Netzstrümpfen.

„Siegfried“: Peter Konwitschnys Regie hat gute Momente, aber auch Längen, es fehlt an Substanz

Keiner dieser Griffe lässt darüber hinwegsehen, dass Konwitschny substanzielle erzählerische Bögen nicht bietet, seine Lesart vorwiegend illustrativ an der Oberfläche kratzt, auch wenn sie (wie Erdas Weissagung aus der Kühltruhe) nicht ohne szenische Magie ist.

Am Pult der Dortmunder Philharmoniker steht Generalmusikdirektor Gabriel Feltz. Er wählt ein mäßiges Tempo, nicht jeder Sänger findet sich gleich ein. Das Orchester aber glänzt in dieser kontrollierten Klangekstase, auch in der Langsamkeit zerfällt hier nichts. Das Heroische wie das Verletzliche in Wagners „dunklem Scherzo“ singen die Musiker wundervoll aus.

Das vokale Niveau ist hoch. Daniel Franks Siegfried wirkt zwar nervös, zeigt aber bemerkenswerte Ausdauer, Kraft zur Attacke und sogar etwas schmelzige Italianità. Thomas Johannes Mayers Wotan bietet in göttlicher Autorität auch starke Macho-Farben, Matthias Wohlbrechts Mime hält auch als Tenor, was die grandios expressionistische Intensität seines Spiels verspricht. Morgan Moody (Alberich) als Mimes Bruder zieht im Duell Aktenkoffer gegen Blecheimer wacker mit. Eine Urgewalt: der tiefe Mezzo, mit dem Aude Extrémo die Erda singt. Stéphanie Müther (Brünnhilde) hat jedes ihrer Dortmunder Gastspiele zu einem Ereignis gemacht, so beglückend auch hier.

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WERK UND TERMINE

Oper Dortmund: „Siegfried“, 5h, zwei Pausen. Karten 16-52€, Tel. 0231-5027222.

Aufführungen: 29. Mai, 4. und 10 Juni.