Duisburg. Steppende Stubenmädchen zwischen Hollywood und Cannes. Die Rheinoper entdeckt ein vergessenes Werk Paul Abrahams. Die aktuelle Kritik
Es ist exakt 90 Jahre her, dass einer jazzend den Staub von der Operette blies und doch keinen Zweifel daran ließ, wie sehr er ihre Urahnen verehrte. Als 1934 „Märchen im Grand Hotel“ Premiere in Wien feierte, jazzte der jüdische Komponist Paul Abraham die alte Walzerseligkeit frech hoch. Das Publikum jauchzte, wie da einer den Sound Amerikas mit dem Dreivierteltakt vermählte. Doch saßen schon im Parkett die, die ihn und die Seinen vernichten wollten. Abraham verließ Europa - und scheiterte. So war der Jubel Mittwoch Nacht in Duisburg auch eine späte Verneigung. Eine starke Premiere!
Paul Abrahams „Märchen im Grand Hotel“, Deutsche Oper am Rhein
Wer will sich dem entziehen? Hier steppen die Stubenmädchen, es trällern tanzend die Filmbosse der Traumfabrik, selbst Staubsauger taugen zu Balletteinlagen und aus dem Wellness-Zuber im Spa der titelgebenden Herberge recken sich lasziv badende Venüsse empor. Was da los ist? Eine zugegeben ziemlich haarsträubend Knall-auf-Fall-Story, „Lustspieloperette“ eben. Marylou (Valerie Eickhoff), Tochter eines US-Filmtycoons reist nach Cannes, um echten Stoff für einen Blockbuster zu suchen („Ich werde mir meinen Film vom Leben kurbeln lassen!“). Sie findet in der ersten Adresse der französischen Riviera: Eine runterverarmte spanische Thronfolgerin mit Kauz-Gefolge, einen verknallten Kellner, der gar keiner ist - und steigt selbst als Zimmermädchen ein, um zum Ziel zu kommen.
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Eine Dünkel- und Standesklamotte? Und wie! Kurz: Wer allein in der Dauerfinsternis einer „Elektra“ selig ist, wird wohl besser draußen bleiben. Wer ein denkwürdig getanztes (Choreographie Katie Farkas) Show-Feuerwerk mit frechem Foxtrott, saftigem Swing, Tangoschritten und sogar herzwärmenden Arien alter Operettenschule schätzt, sollte sich die Rarität nicht entgehen lassen.
Michaela Dicus Regie langt richtig zu, gibt dem Genre-Affen reichlich Zucker: Was an Material von der Satire aufs Filmgeschäft bis zur Opernparodie in diesem Märchen steckt, dreht sie hochtourig detailsatt auf. Und liebevoll: Das bei Abraham etwas rätselhaft aufploppende Sängerquartett adelt sie zum chamäleonhaft-kommentierenden Kleeblatt im Stil der Comedian Harmonists.
Stepptanz, Tango, Jazz. Auch so kann Operette sein, Regie: Miachela Dicu
Zugegeben, 20 Minuten weniger hätten der Entertainment-Taille des Abend klar geschmeichelt. Und wenn die Typenparade mal nicht in die fünfte Ohnmacht fällt oder ihr Tanzbein wirbelt, dann hängen ein paar Dialogszenen tüchtig durch. Den Löwenanteil aber hat ein extrem gekonnter Bühnenspaß, in dem durchaus der Widerschein großer Vorbilder lodert, von „Fledermaus“ über „Mariza“ bis zum „Weißen Rössl“.
Der hohe Schauwert geht nicht zuletzt aufs Konto von Rifail Ajdarpasic, der per Drehbühne (schrecklich knarzend, bitte nachbessern!) Hollywood und Cannes, Whirlpool und Luxussuite, Rezeption und Dienstboten-Hinterhof als reines, nie ermüdendes Schauplatz-Karussell ankurbelt. Ein Coup: Als die Liebe zwischen spanischem Königskind (Operettensopran schönster Tradition: Sylvia Hamvasi) und Kellner Albert (Bariton Jake Muffett bietet auf zwei Metern schlaksiger Körpergröße einen geborenen Komiker) auf dem Gipfel der Bedrohung ist, teilt sich bei „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ (eigentlich aus Abrahams „Viktoria“) die Showtreppe wie einst das Rote Meer.
Daten und Karten
Paul Abraham: Märchen im Grand-Hotel. Ca 2h, 40 Minuten, eine Pause. Theater Duisburg, später auch im Opernhaus Düsseldorf.
Termine in dieser Spielzeit: 12. Mai (mit Familienkarte alle Plätze 10€!), 17. und 25. Mai. Im Juni: 8., 14., 21., 29. Und am 7. Juli.
Karten kosten zwischen 14 und 58 Euro. Theater Duisburg: Tel. 0203-28362100 oder operamrhein.de
Selbst wenn wir die bei Premieren übliche Fan-Claque abziehen: Das Applausometer schlug nach 160 Minuten voll aus. Der Jubel galt nicht zuletzt der überragenden Tänzer-Truppe, köstlichen Karikaturen wie Joachim Gabriel Maaß‘ Oberkellner und den Duisburger Philharmonikern unter Leitung von Stefan Klingele (no jokes about names), die Abraham derart zündend wie süß erblühen lassen, dass man ins Leitmotiv dieses Märchens ungehemmt einstimmt: „Das Wichtigste, worauf man brennt, ist ein Happy, Happy, Happy, Happy End.“