Bochum. Quietschvergnügte Tragödie?! Wie Bochums Intendant Eugène Ionescos absurdes Theaterstück deutet. Unsere aktuelle Kritik.

Als das Theater erkannte, wie sinnlos es ist, auf der Bühne Sinn zu stiften, schlug die Stunde des Absurden. Die Sprache wurde reines Enthüllungswerkzeug; 35 Jahre nach Dada kam: Blabla. Geburtshelferin war „Die kahle Sängerin“. Eine Titelheldin, die (Schwester von Samuel Becketts „Godot“) im Stück nie auftritt. Stattdessen regiert die Bühne das Ritual der Konversation. Eugène Ionesco, Schöpfer des Werks, griff nicht nach dem Vorschlaghammer, um zementierter, im eigenen Saft schmorender Bürgerlichkeit den Scheitel zu ziehen. Er nahm ganz einfach ein Wörterbuch zur Hand. Das gute Essen, der gute Ton, die gute Sitte, Gäste zu haben... was im hohlen Plauderton beginnt, endet in einer gelallten Apokalypse. Eine Zimmerschlacht aus Kalendersprüchen und Konsonanten. Ist so ein Werk – im Schultheater hat es viel erduldet – heute aus der Zeit gefallen?

Schauspielhaus-Chef Johan Simons inszeniert „Die kahle Sängerin“ von Ionesco in Bochum

Johan Simons macht es am Schauspielhaus Bochum zur Chefsache. Dass schon Ionesco beklagte, das Aneinandervorbeibuchstabieren sei doch ganz und gar nicht zum Lachen, vielmehr die reine Tragödie menschlicher Zerrüttung, kümmert den Intendanten erstmal nicht sehr. Denn die szenische Endzeit mit vier schwarzen Flachbildfernsehern, doppelt so viel Lazarettbetten und 16 von oben gleißenden Neonröhren (Bühne: Sascha Kühne) läutet er nicht weniger ein als: die Stunde der Komödianten.

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Mit dem Publikum spazieren sie hinein, lauern in der ersten Reihe auf ihren Auftritt. Die Kostüme (Britta Brodda, Sophia Deimel): clownsbunt. Rot und blau die Gastgeber Mr. and Mrs. Smith, gelb und grün ihre Gäste, die Martins. Das sind Marius Huth und Jele Brückner. Und wenn der Abend bis zu ihrem Eintreten noch leicht zickte und klemmte im Tempo, im Erzählfluss, im Pointensetzen – er wuchert umgehend Richtung Triumph, da diese beiden grandiosen Mimen als jenes Paar einander umtigern, das vielleicht nie eins gewesen ist. Huth ist ein famos nervöser Körperspieler, dazu in der Kehle gesegnet mit den ulkigsten Zwischentönen. Seine Frau (oder nicht?): eine ladegehemmte Urgewalt der komischsten Sorte. Was das Duo hier an Nuancen der Schauspielkunst auffächert, ist so selbstherrlich im guten Sinne, dass einem fast gleich ist, ob man hier bei Shakespeare sitzt oder sich soeben eine von Botho Strauß‘ „Sieben Türen“ geöffnet hat.

Klassenbeste in der Schule der Clowns: Stefan Hunstein, Stacyian Jackson, Jele Brückner und  Marius Huth in Ionescos absurdem Drama „Die kahle Sängerin“ am Schauspielhaus Bochum.
Klassenbeste in der Schule der Clowns: Stefan Hunstein, Stacyian Jackson, Jele Brückner und Marius Huth in Ionescos absurdem Drama „Die kahle Sängerin“ am Schauspielhaus Bochum. © Hupfeld | Birgit Hupfeld Rottstr.5 44793 Bochum

Das übrigens sagt viel über den am Ende mit gutem Beifall bedachten Abend. Es scheint Johan Simons nicht zuletzt seine Truppe auch als Klassenbeste in der Schule der Clowns präsentieren zu wollen. Diese Inszenierung pfeift deftigst auf einen konsequenten Stil. Mal prescht sie wie Molière an die Rampe, dann liefert sie olympiareif das Konversations-Ping-Pong eines Alan Ayckbourn. Und niemand im Ensemble hat hier auch nur die geringste Angst, ein Dutzend Boulevard-Erbsen auf die Treppe eines Heiligtums der Theatergeschichte zu streuen. Am wenigsten Stefan Hunstein, in dessen Mister Smith ein Kaleidoskop von Typen lauert. Immer mit einem Bein im „Alles bloß Theater hier“, ist er im koketten Kontakt mit dem Publikum Snob vom Dienst, Freddie Frinton und irgendwie mal jeder von den Monty Pythons: Theaterdonner der zwerchfellerschütterndsten Art.

Daten und Karten

Die kahle Sängerin, Schauspielhaus Bochum, Großes Haus. 90 Minuten ohne Pause.

Die nächsten Vorstellungen sind am 5., 11 und 30. Mai sowie am 12. und 30. Juni.
Karten gibt es für 12€-37,50€. Schnäppchenjäger greifen am 30. Mai zu: Alle Karten 10€.
Kauf unter Tel 0234-33335555 oder schauspielhausbochum.de

Dem Klamottengewitter lauscht das Publikum (zumindest streckenweise) so quietschvergnügt, dass Simons‘ zweite Ebene es wohl nur vage erreicht. Selten flackern die Monitore. Aber wer genau hinsieht, der nimmt auf ihnen neben Jagdfliegern und verlogen heiler Welt etwa in der schwarzweißen Persilreklame der 1950er wahr, dass kurze Sekunden das graue Beamtengesicht Adolf Eichmanns hineingeschnitten ist. Hinten also die Endlösung im Antlitz personifizierter Bürokratie. Vorne die hohlen Phrasen der Verdrängung? Ein Ansatz, der sich in diesen 90 Minuten nicht recht durchsetzen kann gegen die Leichtigkeit, das ungehemmt Virtuose, die überrumpelnde Zirkusnummer namens Nonsens-Kommunikation, mit denen diese Regie-Arbeit oft erfrischend lustvoll den musealen Staub von der Glatze der Namensgeberin bläst. Kein Jahrhundert-Wurf, aber ein sehenswerter Abend.

Gibt dem Affen des Absurden mächtig Zucker: Stefan Hunstein ist eine der Stützen der Neuinszenierung „Die kahle Sängerin“, Premiere war am 25. April im Bochumer Schauspielhaus. Intendant Johan Simons führte Regie.
Gibt dem Affen des Absurden mächtig Zucker: Stefan Hunstein ist eine der Stützen der Neuinszenierung „Die kahle Sängerin“, Premiere war am 25. April im Bochumer Schauspielhaus. Intendant Johan Simons führte Regie. © Hupfeld | Birgit Hupfeld Rottstr.5 44793 Bochum